So ein Mann, so ein Blick: Es kann nur einen geben
 
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So ein Mann, so ein Blick: Es kann nur einen geben

Artikel von Karin Reddemann

 

Er heißt Al Bundy. Die Welt kennt ihn. Kennt seine Füße. Seine Kloschüssel. Seinen Dodge. Seinen legendären Ruhm. Nicht?! Also bitte:

 

»Du hast garantiert schon von mir gehört. Polk High School, Chicagoer Stadtmeisterschaft 1966, der Fullback mit der Nr. 33. Vier Touchdowns in einem Spiel!«

 

Klingelt. Bei uns auf jeden Fall immer noch. Wir sind die, die ihren eh oft unnötig strapazierten Intellekt vorübergehend in die Sockenschublade gestopft haben, um ungestört und unbelastet vom bitteren Ernst so mancher Stunde zu gucken. Einfach nur zu gucken.

 

Was da damals los war mit uns Verschworenen, im normalen Wahnsinn Verwirrten kann man nicht einfach so erzählen, ohne in eine gewisse Erklärungsnot zu geraten. Punkt ist: Wir liebten einen Schuhverkäufer mit stinkenden Socken, ungeputzten Zähnen und übler Laune, für den Dosenbier als Hauptnahrung galt und der in einem schlabbrigen T-Shirt mit der Aufschrift »NO MA’AM« das Patriarchat verkündete. Und der für Schnappatmung bei allzu empfindlichen Gemütern sorgte, wenn er Sätze wie eben diesen von sich gab.

 

»Ich verkaufe Schuhe nicht des Geldes wegen. Ich bin hier, um dicke Frauen zu foltern.«

 

Schäbig? Grundsätzlich egal. Einem Al Bundy sei es nachgesehen, er kriegt sein Fett schon weg. Seine Frau bekocht ihn mit Pizzakrümeln und Hundekuchen, so viel zu lachen hat er nicht.

Steakmesser für Hundekuchen

Sein gequältes Grinsen steht für das Steak, das er nie kriegt. Für den Sex, den er nicht will. Für das Geld, das er nicht hat. Und NO MA’AM steht für National Organization of Men Against Amazonian Masterhood, ergo »Nationale Organisation von Männern gegen Amazonen-Machtausübung«. Solch einen Blödsinn befürwortet man selbstredend nicht. Taten wir auch nicht. Bei Al Bundy blieben wir politisch neutral.

 

Wirklich geschmackstreu waren wir auch nicht. Ed O’Neill, der das Oberhaupt der Bundy-Familie spielte, – Ehefrau Peggy (Katey Sagal), Tochter Kelly (Christina Applegate), Sohn Bud (David Faustino), Hund Buck und »Boss« Al mit einer Original Ferguson (= Luxus-Clo) als Chefsessel –, ist keiner der Traumtypen aus Hollywoods Beau-Liga. Das Männerbild war anders. Für die legendären Bravo-Starschnitte hielten Ende der 1980er, als die Sitcom Eine schrecklich nette Familie (Married with Children) erstmalig im US-Fernsehen lief, Don Johnson und Patrick Swayze her. Echte Kerle eben.

 

Anfang der 1990er kaufte RTL den amerikanischen Quotenhit für das deutsche Publikum, – 259 Episoden, verteilt auf elf Staffeln –, und wir wurden Al-gierig, obgleich im Kino Kevin Costner als Traumtyp-Bodyguard und die schönsten Blutsauger aller Zeiten alias Tom Cruise, Brad Pitt und Antonio Banderas (Interview with the Vampire: The Vampire Chronicles) sehr wohl bewiesen, dass normalerweise ein anderes Kaliber herhalten müsste, um süchtig zu machen.

Fette Füße, feine Schuhe

Ed O’Neill ist keiner, den man sich freiwillig an die Wand pinnt. Partout kein Anwärter auf den Sexiest-Man-alive-Titel. Oder, in seiner Paraderolle als Al Bundy, auf einen der vorderen Plätze in unserer Top-100-Ikonen-Liste. Kein Überwesen. Kein geheimnisumwittertes Genie. Kein Cartoon im Tresor. Nur ein Mann, der zu dicke Füße in zu enge Schuhe zwängen muss, einen 74er Dodge Dart Sport fährt, der nie anspringt, und an ein Stückchen Seligkeit glaubt, wenn er »Big ’Uns« (Pornoblättchen) vor der Nase hat.

 

O’Neill, Lehrer und Theaterschauspieler, bevor Al Bundy sein Los und Siegel wurde, ist freilich auch einer, der ehrlich bekennt, nie ein Paul Newmann gewesen zu sein. Gut. Das brauchte er aber auch nicht. Er brauchte nur zu gucken, wie nur er gucken kann: Herrlich dämlich. Solch ein blöder Blick, – sorry, Mr. O’Neill –, kann unsterblich machen. Zumindest für eine gewisse unkomplizierte Endlichkeit.

 

Die US-amerikanische Sitcom Married … with Children spielt in einem Vorort von Chicago im Bundesstaat Illinois und präsentiert alles andere als eine heile, harmonische Comedywelt Marke Bill Cosby Show. In »Married … with Children« gibt’s Friede-Freude-Eierkuchen nicht, es herrscht das normale Chaos. Noch eine zufriedenstellend fette Spur mehr als bei uns selbst. Die Nachbarn stehen nonstop auf der Matte, Marcy und ihre Gatten, erst Steve, dann Jefferson, gehören zum Inventar als reine Nervensache.

 

Familie Bundy praktiziert tägliches Survival-Training, frech, fröhlich, dreist und immer genau so schrecklich nett, wie es sein sollte. Tochter Kelly ist süß, blond, sexy und immer doof. Sohn Bud schlau, klein, gerissen und immer geil. Ehefrau Peggy ist rothaarig, auf vulgäre Art schön, faul und immer gierig. Und Al: Hasst sein Leben, ist zynisch, will so viel oder zumindest das Nötigste und bekommt einfach gar nichts. Ausnahmslos immer. Im Stich freilich lässt er Frau und Kinder nie, der treusorgende Löwe, dem die Mähne grau wird vor Gram, weil niemand ihn füttert. Ihn respektiert. Ihn einfach nur schlafen lässt. Der jammert, anstatt zu brüllen, und mit ungewaschenen Pranken los schleicht, um die undankbare Sippe zu versorgen.

 

Solch eine Familie findet man nicht nebenan. Will man auch nicht finden. Es genügt voll und ganz, diese eine zu mögen, sogar ganz furchtbar zu mögen, die einen auf der Straße weder grüßen noch anquatschen noch anpumpen wird.

 

»Ich persönlich liebe es, eine Show zu sehen und zu vergessen, dass es AIDS gibt.«

 

Ron Leavitt, Drehbuchautor und Macher von »Eine schrecklich nette Familie«, sagte das, und in einfacherer, aber grundsätzlich vergleichbarer Form wollten wir unsere Sympathie für derbe Komik und munter dahin geklatschte Geschlechterklischees auch so verstanden wissen.

 

Sagen wir’s mal so: Wer sich tagsüber mit physikalischer Gesetzmäßigkeit oder oder neugotischer Lyrik beschäftigte, wollte und musste sich nicht groß verteidigen, wenn er nachts oder am frühen Abend RTL Plus einschaltete. Für irgendwie genialen Quatsch, dessen Tiefsinnigkeit wir ergründen konnten. Wir konnten das auch sein lassen.

Al-Bundy-Rudelgespräch

1992 startete »Married with Children«, und der Einzug des Bundy-Clans in unsere heimischen Wohnzimmer blieb alles andere als still und heimlich. Ich war damals Gerichtsreporterin, und ich stand mit einer bunt zusammen gewürfelten Truppe vor dem Saal der Strafkammer auf dem Flur. Verhandlungssache Einbruchsdiebstahl, Körperverletzung im minder schweren Fall. Sitzungspause. Alle rauchten. Wir durften das und niemand von uns starb.

 

Wir, das waren der Staatsanwalt, die Protokollführerin, der Angeklagte, sein Anwalt, die Mutter des Angeklagten plus kleiner Schwester, die Frau von der Jugendgerichtshilfe, zwei Zeugen, die schon ausgesagt hatten und sich deshalb zu uns gesellen durften, nebst dem Kollegen von der anderen Tageszeitung vor Ort. Damals gab es tatsächlich zwei, und niemand dachte an den kalten Tod der Druckerschwärze. Zumindest nicht laut.

 

Kurzum: Wir standen auf dem Flur, ausnahmslos gut gelaunt, und unterhielten uns über eine ausgesprochen bekloppte Folge mit Außerirdischen, die Al Bundy heimlich für Forschungszwecke seine schmutzigen Socken klauen. Solch ein aufgewecktes Rudelgespräch hatte ich bis dahin nur ein einziges Mal erlebt: Als es um jene den Globus erschütternde Frage ging, wer in Dallas auf J.R. Ewing geschossen hatte. Steinzeiterinnerungen. Aber nicht die schlechtesten.

 

Wiederholungen der »Schrecklich netten Familie« gibt es immer noch, etliche Anbieter kramen in der Kiste. Geschenkt. Al Bundy soll jetzt schweigen dürfen, er gehört nicht ins 21. Jahrhundert. Hören können nur wir ihn noch, die wissen, dass man einen Fernseher auch ein-, um-, ausschalten kann, indem man sich vom Sofa erhebt, streckt, tief durchatmet, sich per pedes direkt vor den Apparat begibt und versiert an ihm herum drückt. Anderes Programm? Andere Lautstärke? Flimmern auf der Mattscheibe? Wieder hoch von der Couch, same procedure. Wie schön war das denn?!

 

»Endlich habe ich den Rolls Royce der Fernbedienungen, den Kanalmeister 2000. Dieses Baby kann alles. Man kann die Kanäle fortlaufend vorwärts und rückwärts schalten, als würde eine Frau immer neben dem Fernseher knien. Mit so einer Fernbedienung würde ich sogar schlafen.«

(Al Bundy)

 

Ed O’Neill spielte seit 2009 den Jay Pritchett, väterlicher Kommandeur des Pritchett-Dunphy-Delgado-Tucker-Familienclans, in der US-Sitcom Modern Family, die mit elf Staffeln durchaus ihren Erfolgsstatus hat. Hinein geschnuppert habe ich. Da sehe ich einen Fremden, der seine Sache gut macht. Aber unser Al ist das nicht mehr. Den haben wir in Stein gehauen. Der Blick ist gelungen. So einen hatte nur einer.

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Erstellt: 05.04.2020, zuletzt aktualisiert: 28.02.2024 16:07, 18476