Torpedo (Gesamtausgabe, Bd. 1)
 
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Torpedo Gesamtausgabe Bd. 1

Rezension von Christian Endres

 

Cross Cult hat sich in den letzten zwei, drei Jahren als Verlag etabliert und hervorgetan, der sich nicht zwingend auf die »Helden des Mainstreams« stürzt und auch einmal ein verlegerisches Wagnis eingeht, wenn dafür der künstlerische Wert hoch im Kurs steht und man einen Comic oder eine Serie veröffentlichen kann, die vor allem den eigenen Ansprüchen als Leser uns Sammler bunter bzw. schwarzweißer Bilderheftchen genügt. Dennoch lässt man auch bei CC nicht außer Acht, was einem der Markt und der Erfolg bisheriger Titel und Serien diktieren, und so suchte man nach einem »Nachfolger« für Frank Millers siebenbändige Hard-Boiled Comic Noir-Reihe Sin City, die ja nun im November zu ihrem Abschluss kommen wird. Mit der spanischen Serie Torpedo glaubte man schließlich, einen entsprechenden Titel gefunden zu haben – und schickt nun, passend zur Frankfurter Buchmesse und kurz vor dem »Ende« von Sin City, im Oktober den ersten von fünf Bänden um den Auftragskiller Luca »Torpedo« Torelli ins Rennen ...

 

Luca Torelli ist ein italienische Auswanderer, der im Amerika der 30er Jahre als Auftragskiller zwar nicht unbedingt sein Glück sucht, aber eben doch das beste aus seinem Leben und seinem fragwürdigen Talent machen möchte. Ein skrupelloser, zynischer und recht raubeiniger Bursche, der sich auch einmal durch den »Liebesbeweis« einer schönen Frau für seine »Hilfe« bezahlen lassen möchte, und der eine überbordende Quelle schwarzen Humors und düsterer Abgeklärtheit ist.

 

Wer einen kennt, der kennt sie also alle, möchte man meinen, wenn man sich mit einem weiteren Helden des derzeit so beliebten und erfolgreichen Comic noir beschäftigt. Doch auch wenn die Protagonisten der Bücher und Comics des Hard-Boiled-Thriller-Genres in gewissen Grundzügen und Elementen ihres Wesens einander wohl immer ähnelten, ähneln und ähneln werden, gibt jeder Autor seinem Helden ungeachtet aller Geradlinigkeit und allem noirs einen ganz eigenen Dreh mit, indem er die Mischung der altbewährten Zutaten seinem Geschmack und Empfinden nach anpasst. Im Fall von Enrique Sánchez Abulí bedeutet dies, dass er Luca Torelli mit einer ordentlichen Portion schwarzem Humor, einem dicken Fell, was Rückschläge anbelangt, und natürlich einer extrem trockenen Schnauze und extrem ungalanten Redeweise bestückt hat – von einem unfreiwillig komischen Compagnon Rascal ganz zu schweigen. So ist unser werter Auftragskiller Torpedo trotz aller Verbundenheit letztlich also ein Stück weit anders als Millers Dwight oder Marv, ein Stück weit anders als Collins Racheengel O’Sullivan und erst Recht ein Stück weit anders als Hammetts Sam Spade, ohne dass Sánchez und seine Hauptfigur sich dabei allzu weit von den wichtigen Archetypen des Genres hinfort bewegen. Unterm Stich also eine gelungene Gratwanderung, was die Charakterisierung des werten Herrn Torpedos anbelangt.

 

Das Artwork des ersten Bandes teilen sich zwei Künstler: Die ersten zwanzig Seiten – also die gesamte erste Story – gestaltete die im März diesen Jahres verstorbene Künstler-Legende Alex Toth, wohingegen die restlichen 120 Seiten von Jordi Bernet grafisch zu Papier gebracht wurden. Bernets Stil gefällt mir dabei auch deutlich besser und erinnert ein wenig an eine Mischung aus Will Eisner, Berni Wrightson und Hugo Pratt: Hier sind Gesichter noch Gesichter, schöne Frauen noch schöne Frauen, alte Autos noch alte Autos und markige Typen eben noch echte markige Typen, die man auseinanderhalten kann und die auch in ihrem zeichnerischen Gewand Charakter haben – oder eben nicht ...

 

Diese Schwarzweiß-Seiten sind ein kleiner Augenschmaus, wohltuend anders im Vergleich zum heutigen Mainstream der großen Verlage und natürlich sehr klassisch, dabei aber auch unglaublich atmosphärisch. Bernets Stil passt einfach haargenau zu dieser Art von düsteren Hard-Boiled-Geschichten um Luca »Torpedo« Torelli und begeistert Seite für Seite – eine Perle der Comic-Kunst der 80er Jahre und des Comic noir.

 

Die Aufmachung des kleinen A5-Hardcovers aus dem Hause Cross Cult weiß wie immer zu gefallen, und so zitiere ich mich einfach einmal selbst: Wer einen kennt, der kennt sie alle! Trotzdem macht es immer wieder Spaß, einen gebundenen CC-Band in die Hand zu nehmen, darin zu blättern und darin zu lesen. Ich kenne Torpedo nicht im Original, doch haben die Zeichnungen auch im kleineren Hausformat von Cross Cult noch ihre Wirkung und ihren Reiz. Als Extra spendiert CC den Lesern diesmal ein Interview mit E. S. Abulí, das Andreas Mergenthaler im Sommer per eMail mit dem Autor geführt hat. Eine runde Sache also, die das Lesevergnügen auch unter bibliophilen Gesichtspunkten einmal mehr hervorragend abrundet. Einzig die Tatsache, dass nicht jede Story ein eigenes Deckblatt bekommen hat, stört ein bisschen das Gesamtbild, doch werden hier wohl auch zum einen die Kürze manch einer Geschichte, zum anderen auch die Auswirkungen auf die Gesamtseitenzahl und den Verkaufspreis des Bandes eine Rolle gespielt haben ...

 

Fazit: Den Klassiker-Anspruch von Torpedo möchte ich nach dem ersten Band noch einmal offen und vorerst gänzlich unkommentiert lassen. Um hierzu eine endgültige Aussage zu treffen, muss die Qualität der Kurzgeschichten auch in den Folgebänden wenigstens so hoch und vor allem auch konstant bleiben, wie im ersten Sammelband nun. Das Potential zum Klassiker besitzt Abulís Serie mit ihrem schwarzhumorigen Vorzeige-Killer aber definitiv, und so freue ich mich schon auf weitere Geschichten dieses neuen, irgendwo aber eben auch alten schwarzweißen Sterns auf dem düster-schmutzigen Walk of Fame der Hard-Boiled-»Helden« ...

 

Torpedo ist ein waschechter Comic noir, der sich inhaltlich irgendwo zwischen Millers Sin City, Collins Road to Perdition und unzähligen anderen menschlichen und urbanen Drecksäcken der Hard-Boiled-Literatur wiederfindet. In Sachen Artwork überzeugt der erste Band dabei zudem durch eine wunderschöne Optik und – wie üblich, muss man fast schon sagen – abermals durch eine gelugene Aufmachung. Was will man als Comic-Leser und -Sammler also mehr?

 

Ein beeindruckender Start der fünfbändigen Gesamtausgabe von Torpedo.

 

Kaufen. Lesen. Genießen.

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404191734112e6d8ab0
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Comic:

Torpedo Bd. 1

Text: E. S. Abulí

Zeichnungen: Alex Toth, Jordi Bernet

Verlag: Cross Cult

Hardcover, A5

Sprache: Deutsch

ISBN-Code: 3936480443

Anzahl Seiten: 144

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 08.10.2006, zuletzt aktualisiert: 28.12.2022 16:07, 2867