Traumfrau (Autor: Harald Evers)
 
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Traumfrau - Eine kurze SF-Phantasie

Autor: Harald Evers

 

Es war einer jener trüben Tage, wie sie auf den Kolonialwelten nicht eben selten sind - ganz besonders hier auf Aurigae 3. Müller hatte schon seit Wochen kaum zu tun, der Raumhafen lag still und verlassen unter dem trüben Licht der fernen Sonne und der Computer spuckte weder eine Orbitalpeilung noch irgendeine gottverdammte Liste aus. Müller las den ganzen Nachmittag in einem zerfledderten Comicbuch.

Schließlich sah er auf seine Armbanduhr - Viertel vor Fünf. Gott sei Dank. Trotz der öden Tage, sagte er sich, gibt's doch manchmal einen Hoffnungsschimmer im Leben eines gestrandeten Raumfahrers. Heute Abend würde endlich Lisa's Kneipe wieder aufhaben - der einzige Lichtblick am öden, rötlichen Himmel dieser vergessenen Welt. Endlich mal wieder ein bisschen was los, endlich wieder Mädchen und genießbares Bier.

Er raffte sich aus seinem Sessel hoch, schaltete die Anlage auf automatischen Nachtbetrieb, und ging zum Spind, um seine alte, braune Ledertasche zu holen.

Um Viertel nach Fünf war er zuhause. Ein nettes kleines Dachappartement in einem der höchsten Wolkenkratzer von Aurigae-Stadt - wenn man fix war, konnte man sich in der Saure-Gurken-Zeit, wenn die Touristen wegen den Winterstürmen ausblieben, eine schöne Bleibe sichern. In den letzten Jahren hatte er sich auf diese Weise von einem Rattenloch im Subsoil-Bereich bis hier herauf gearbeitet.

Müller schaltete seine Komfort-Nasszelle ein, entledigte sich seiner Kleidung und gestattete sich ein ausgiebiges warmes Bad mit den raffiniertesten Duftölen. Gegen sechs war er frisch gebadet und angekleidet. Seine Super-Spezial-Küche (Marke Gut & Teuer) hatte ihm inzwischen ein üppiges Mahl bereitet - man mochte gar nicht glauben, dass so etwas synthetisch zu erzeugen war. Während er aß, umfing ihn seine Musikanlage mit schmeichelnden Klängen, während die Texte des Nachrichtensprechers im Fernsehen auf drahtlos-neuralem Wege direkt in seinen Kopf geleitet wurden - ohne die Musik zu stören. Gegen halb acht war er bestens gelaunt und fertig für den Abend, jetzt fehlte nur noch die Hauptsache: ein paar gute Drinks und ein schickes Mädchen.

 

Als er um halb neun Lisa's Kneipe betrat, war er nicht der erste. Eine Menge Leute hatten sich schon versammelt, die Männer waren frisch rasiert; die Mädchen verbreiteten wohlriechende Parfümwolken und zeigten aufreizende Kurven. Cooler Sound drang mit verhaltener Lautstärke aus den Lautsprechern und die Drinks auf dem Tresen lockten mit exotischen Farben.

Müller erblickte Lisa, die gute alte Lisa, so mollig wie immer, mit dem selben, verschmitzten Lächeln auf den Lippen, für das sie schon seit Urzeiten hier bekannt war. Mit einem Grinsen schritt er zum Tresen, schwang sich auf einen Hocker und reichte Lisa die Hand.

"Hi, Müller, altes Haus! Das gleiche wie immer?" lautete ihre knappe Begrüßung, so als ob er gestern zum letzten Mal hier gewesen wäre - und nicht vierzehn Monate zuvor.

Müller suchte rasch nach einer gewitzten Erwiderung... doch er kam nicht mehr dazu, zu antworten. Denn in diesem Moment betrat eine junge Frau das Lokal. Sie ließ Müller alles vergessen, was er je über Perfektion gehört oder erfahren hatte. Ihr rotes, luftiges und knapp geschnittenes Kleid enthüllte mehr als es verbarg, sie war von wahrhaft königlichem Wuchs. Ihr Gesicht schien wie von einem alten Meister in Marmor gemeißelt und ihr Haar war wie ein Ozean von weichen, dunkelroten Wellen. Was Müller jedoch am meisten bezauberte, war das kleine Lächeln, das sanft ihre Mundwinkel und ihre strahlenden Augen umspielte.

Er saß wie versteinert - der Drink, den Lisa vor ihn stellte, war für einen fernen, anderen Müller, einen Müller, der irgendwo in einer Kneipe saß und nicht für den, der gerade die Fleischwerdung all seiner Träume anstarrte.

Und dann geschah es: Ihre Blicke streiften ihn, blieben für einen Moment an ihm hängen und sie schenkte ihm ein Lächeln - ein un-glaub-lich-es Lächeln. Müller schmolz dahin.

Später fragte er sich, warum in aller Welt es ihn eine geschlagene Viertelstunde gekostet hatte, ehe er sich durchringen konnte, zu ihr an den Tisch zu schlendern - eine Viertelstunde, in der die entsetzliche Gefahr bestand, dass ihm irgend ein anderer Mann im Lokal zuvorkommen könnte. Aber er hatte Glück.

Als er schließlich bei ihr war, begrüßte sie ihn mit einem weiteren Lächeln und er konnte nicht fassen, dass es so etwas gab. Er fragte, ob er Platz nehmen dürfte, und sie hatte nichts dagegen. Langsam normalisierte sich sein Puls und ehe er sich's versah, befand er sich in einer angeregten, niveauvollen Unterhaltung. Wie er erwartet hatte, verfügte sie über eine beachtliche Bildung und allerfeinste Umgangsformen. Müller gratulierte sich im Stillen.

Alles weitere schien sich nur noch wie eine Formsache zu gestalten. Er spendierte ihr ein paar Drinks - die sie tatsächlich auch trank. Müller staunte. Sie bekam sogar einen leichten Schwips, und wurde um so zutraulicher. In weniger als einer Stunde hatte sie ihm einen ersten, leichten und sehnsuchtsvollen Kuss mit ihren unfassbar weichen Lippen auf die Wange gehaucht. Um exakt zehn Uhr zahlte Müller die Rechnung, verließ mit ihr das Lokal, hielt ein Class-A-Taxi an und betrat nur eine halbe Stunde später mit ihr sein Appartement. Die Automatik hatte inzwischen alle Spuren des Bades und der Mahlzeit beseitigt, alles klappte prima.

Er bot der jungen Frau - sie hieß Rosella - Platz an und besorgte ein paar Drinks. Gleich darauf saß er neben ihr auf seiner samtweichen Couch und nahm den Faden der Unterhaltung wieder auf. Es gefiel ihm, dass sie, obwohl inzwischen recht heiter und gelöst, sehr mit ihrer Körperlichkeit geizte - außer dem Kuss war nichts gewesen. Das erregte ihn nur um so mehr.

Sie sprach über dies und das, wies ihn lächelnd zurück, als er ein paar Mal frech nach ihrem Knie langte und tat im Übrigen alles, was einen Mann nur so aus der Fassung bringen kann. Irgendwann stand Müller auf, um zwei weitere Drinks zu bereiten - und merkte dabei, dass er reichlich erhitzt war. Diese Rosella war unglaublich.

Als er dann mit den beiden Drinks zurück zur Couch kam, war sie bereits nackt.

Müller stockte. Etwas schnürte ihm die Kehle zusammen. Er ließ beinahe die Drinks fallen - obschon der Körper Rosellas einen Anblick bot, der einen rechten Mann zur Raserei bringen sollte.

Sie stand auf, schritt mit wiegenden, aufreizenden Bewegungen auf ihn zu und sagte: "Na?"

Müller schluckte.

Sie nahm ihm beide Drinks aus der Hand, stellte sie ab und schmiegte sich verlangend an ihn. "Möchtest Du mich nicht haben?"

Müller wich einen Schritt zurück. Ihm kam ein dunkler, schrecklicher Verdacht.

Rosella folgte ihm nach und klammerte sich plötzlich heftig an ihn. Ihr heißer Atem strich über seine Wange, ihre Fingernägel schnitten verlangend in seine Schultern.

Müller schluckte ein letztes Mal. Er befreite sich aus ihrer Umarmung. "Hör, Mädchen!" sagte er fest. "Bist Du sicher, dass..."

Doch Rosella hörte nicht auf das Stichwort.

Plötzlich sprang sie mit einem wilden Satz auf ihn zu, riss ihn mit sich zu Boden und grub ihre Lippen wild und verlangend in seinen Hals. Müller schrie auf.

Aber zum Glück war er irgendwie vorbereitet. Mit einer heftigen Bewegung schüttelte er sie ab, sprang auf und stürmte in den Flur. Dort riss er eine kleine Tür auf, wühlte unter Gerümpel und brachte einen riesigen Baseball-Schläger zum Vorschein.

Mit einem Satz war er zurück im Zimmer, wo sich die überraschte, wunderschöne und völlig nackte Rosella eben aufrappelte - die Rosella, die garantiert jeden Mann zur Raserei gebracht hätte - und schlug ihr mit aller Kraft den Schläger über den Kopf.

Rosella grunzte und brach zusammen. Müller holte aus und donnerte ihr in Todesangst den Schläger quer über den Rücken, dann nochmal und nochmal - solange und so hart, bis jedes Leben aus der wunderschönen Rosella gewichen war und sie reglos am Boden lag.

Müller atmete schwer. Der schwere Schläger entglitt seiner Hand und polterte neben ihm auf den Boden.

Rosellas einst makelloser Körper war aufs Entsetzlichste entstellt, die Gliedmaßen verrenkt und zerschmettert.

Müller ließ sich auf die Couch sinken, und kippte sich unter schwerem Atmen beide Drinks in schneller Folge hinunter. Nachdem er eine Minute gesessen und sich beruhigt hatte, griff er zum Telefon und wählte.

"Hier Beta-Cybernetics, Kundendienst," meldete sich eine freundliche, weibliche Stimme. Womit können wir dienen?"

"Müller. Nummer A-13245." sagte Müller schweratmend.

Er wurde mit dem zuständigen Sachbearbeiter verbunden. "Hallo Müller!", tönte jovial eine Stimme durch den Hörer. "Na, wie steh'n die Aktien?"

"Schlecht! ", sagte Müller. Plötzlich brauste die Wut in ihm hoch. "Sie können mich aus ihrer Kundenliste streichen!" bellte er. "Wenn es ihren Ingenieuren innerhalb von Jahren nicht gelingt, diesen verdammten Bug zu beseitigen, dann gute Nacht! Nie wieder werde ich Dienste von Firmen wie der ihren in Anspruch nehmen, und ich zahle auch keinen Heller mehr an Sie, verstanden? Übrigens, den Schrott von ihrer gemeingefährlichen Robot-Lady sollten sie besser gleich abholen! Sonst muss ich ihn auf Ihre Kosten beseitigen lassen...!"

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240419173438c5204864
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Disclaimer

Original-Kurzgeschichte (unveröffentlicht)

"Traumfrau"

von Harald Evers

Copyright 1996 (c) by Harald Evers. Alle Rechte vorbehalten.

Keine Veröffentlichung - auch nicht auszugsweise - ohne vorherige Absprache mit dem Autor!


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Erstellt: 19.05.2005, zuletzt aktualisiert: 28.12.2018 09:08, 324