Walhalla Rising (DVD; Abenteuer; FSK 16)
Rezension von Torsten Scheib
Rezension:
Die Wikinger … besonders friedliebende Zeitgenossen mögen sie ja nicht unbedingt gewesen zu sein. Da wurde geplündert, gemordet und vergewaltigt, was sich in Ufernähe befand – zumindest bei der höchst kriegerisch veranlagten Kaste jenes faszinierenden Volks. Andererseits waren sie stolze Menschen, deren Glaube bis heute nichts von seiner Faszination eingebüßt haben mag, zur Zeit des christlichen Mittelalters allerdings als heidnischer Unsinn gebrandmarkt wurde, den es auszutreiben galt.
In ebenjene Epoche entführt uns der aus Kopenhagen stammende Regisseur Nicolas Winding Refn. Es ist das Jahr 1000 A.D. und die Zeiten sind ebenso brutal wie der Nordwind eisig. Irgendwo in den Bergen lebt ein kleiner Stamm, angeführt von Häuptling Barde (Alexander Morton), dessen Unnachgiebigkeit besonders der namenlose Gefangene (Mads Mikkelsen) tagein, tagaus in voller Härte zu spüren bekommt. Wie ein Tier wird der einäugige Kämpfer in einem Käfig gehalten; ohne Schutz vor den Widrigkeiten der Natur. Falls überhaupt, so wird dem Schweigenden lediglich eine Schüssel dünne Brühe zuteil, ehe man ihn wieder ins Freie zerrt, wo er zum Vergnügen von Barde und dem Rest des Stammes stets von neuem gegen Widersacher anzutreten hat. Doch sind diese Kämpfe keine harmlosen Prügeleien. Vielmehr ist jedes Gefecht eine brutale, gnadenlose Schlacht, in der es um Leben und Tod geht. Doch keiner der Krieger und Kriminellen kann Einauge auch nur annähernd das Wasser reichen. Mit erbarmungsloser Präzision tötet er einen nach dem anderen – mit bloßen Händen.
Bis ihm das Schicksal unvermittelt die Chance zur Flucht ermöglicht. Mit der Kraft einer außer Kontrolle geratenen Naturgewalt schlachtet Einauge einen Peiniger nach dem anderen, bis zuletzt nur noch der kleine Junge Are (Maarten Stevenson) zurückbleibt, der dem mysteriösen Krieger fortan folgt – in angemessener Entfernung, versteht sich.
Als das höchst ungleiche und sich misstrauende Duo jedoch auf einen Trupp Christen stößt, deren Ziel eine Pilgerfahrt gen Jerusalem ist, schließen sich die beiden zusammen und betreten das Schiff der Männer. Doch ihre Fahrt steht unter keinem günstigen Stern. Dichter Nebel, kein Anzeichen von Wind und die rasch zur Neige gehenden Nahrungs- und Wasservorräte säen schon sehr bald Hass und Misstrauen unter den Männern. Allerdings gilt der Argwohn weniger dem Anführer, sondern Einauge und Are, die in den Augen der Männer einen Fluch mit an Bord gebracht haben.
Doch schließlich landet der sinistre Pilgertrupp an fremden Gestaden – dem heiligen Land? Oder handelt es sich bei dem Land doch um die sprichwörtliche Hölle?
Da wird einer der Männer hinterrücks von einem Pfeil getroffen …
Eins vorweg: Wer bei Walhalla Rising coole, muskelbepackte Hünen, fetzige Musik, schnelle Schritte und denkwürdige One-Liner erwartet, der sollte von diesem Film Abstand nehmen. Ganz bewusst hat sich Regisseur Refn für ein sehr langsames, geradezu schwerfälliges Tempo entschieden, welches den Streifen wie einen roten Faden durchzieht. Selbst erfahrene Cineasten werden wohl ein Weilchen brauchen, bis sie sich auf den Arthouse-Stil des Films eingestimmt haben. Das Ausharren lohnt sich jedoch: dank der Gemächlichkeit entfalten besonders die ohnehin schon eindrucksvollen Naturaufnahmen eine Kraft, der man sich nicht entziehen kann; komplettiert durch die Unbändigkeit jener Bewohner, die besagte Landstriche bewohnten beziehungsweise heimsuchten. Allen voran der mysteriöse „Einauge“, hervorragend verkörpert durch Mads Mikkelsen. Auch wenn man über den geheimnisvollen Fremden, wenn überhaupt, lediglich Fragmente seiner Vergangenheit erfährt – von der Tatsache völlig abgesehen, dass er kein einziges Wort spricht - , so lässt ihn der dänische Mime dennoch lebendig werden; verraten einzelne Gesten und Ausdrücke mehr als so mancher gesprochene Satz. Und dass man sich ihm besser nicht in den Weg stellen sollte, machen die vereinzelten, überwiegend ziemlich heftigen Szenen deutlich, in denen der einäugige Krieger Knochen bricht, Bäuche aufschlitzt oder mit der Axt einen Opponenten köpft.
Doch so brutal er auch sein mag, so integriert sich diese martialische Gewalt nahtlos in die vorhandene, urwüchsige Geschichte und bereichert „Wallhalla Rising“ sogar noch um einige, zugegebenermaßen reichlich blutige Höhepunkte. Was die restliche Bildersprache betrifft, so hat sich Nicolas Winding Refn zweifellos an zwei bedeutenden Kollegen orientiert: Ingmar Bergmann und – teilweise – Werner Herzog, respektive dessen Meisterwerk Fitzcarraldo (1982). Lange Dialogpassagen werden hier durch simple, aber dennoch äußerst ausdrucksstarke Einstellungen ersetzt, in denen jedes Wort, ja jedes Hüsteln im Grunde schon zuviel ist. Und wie bei Bergmann stellt der Mittelpunkt eine existenzielle Frage dar; eingebettet in einen wahren Abstieg hin zum Herzen der Finsternis und damit vergleichbar mit Hauptdarsteller Klaus Kinski im besagten Herzog-Streifen.
Auch wenn „Walhalla Rising“ weder verurteilt, noch übermäßig propagiert, so ist die Aussage beziehungsweise Auseinandersetzung mit religiösem Fanatismus und deren Folgen in den Herzen besessener Männer überdeutlich. Dabei wird auch sehr schnell klar, wer die eigentlichen „Bösen“ sind – und das Einauge ganz gewiss nicht dazugehört.
Fazit:
Kraftvoll, urgewaltig, poetisch, beeindruckend – „Walhalla Rising“ ist sicherlich alles andere als leichter Stoff. Wer sich jedoch auf den Film einlässt, wird mit einem Kunstwerk belohnt, welches noch sehr lange im Kopf des Betrachters nachhallen wird.