Was das Herz begehrt (Autor: Robert Kirkman; The Walking Dead 4)
 
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Was das Herz begehrt

Reihe: The Walking Dead Band 4

 

Rezension von Christian Endres

 

Zum vierten Mal folgen wir Autor Robert Kirkman und dem mittlerweile hoffentlich bei allen Lesern nun endgültig etablierten oder wenigstens doch akzeptierten Zeichner Charlie Adlard, um in der von Zombies bevölkerten, ja schier überrannten Welt dem Schicksal einer kleinen Gruppe Menschen beizuwohnen, die Tag für Tag tapfer um ihr Überleben kämpfen und dabei sowohl von außen, wie auch von innen bedroht werden, wenn – in beiden Fällen – der Druck, den die Flut aus stöhnenden, wankenden Leibern sprichwörtlich erzeugt, einfach zu groß wird ...

 

Was begehrt es wirklich, dieses seltsame Ding, das wir Herz nennen? Will es Macht? Gewalt? Regeln? Gesetze? Blut? Sex? Die Abgründe des menschlichen Seins sind dunkel und tief, und zumeist reißen sie genau dann auf, wenn man eigentlich zwischenmenschliche Brücken oder wenigstens doch Fangnetze bräuchte. So ist es dann auch Rick und seinen so unterschiedlichen Gefährten nicht möglich, trotz neuer Zufluchtsstätte an eine Beruhigung der Lage zu glauben oder gar bloß ein paar Minuten zu verschnaufen. Egal ob es die verbliebenen Gefangenen in ihrer neuen Zuflucht sind, Misstrauen und Vorurteile zwischen den einzelnen Gruppenstücken, die ständige Furcht, die permanenten Entbehrungen, die seltsamen Liebesbeziehungen, die sich immer wieder ergeben und oftmals Triebe und echte Gefühle in einen grausamen Konflikt stellen – immer gibt es etwas oder jemanden, das oder der Spannungen innerhalb der Gruppe auslöst und verstärkt.

 

Kirkman treibt in Was das Herz begehrt diese Spannungen schließlich in mehreren Fällen auf die Spitze – und damit freilich irgendwann zur Eskalation. Brutal und schonungslos deckt er die Schwächen auf, die tief verborgen im Inneren eines jeden Mitglieds seiner Truppe lauern und nur auf ihre Chance warten, um bei großer Verzweiflung, großem Druck oder großen Entbehrungen irgendwann hervorzukommen. Wenn die alte Ordnung außerdem abgelöst wird und archaische Zustände und das Gesetz des Stärkeren bestimmen, wer überlebt und wer nicht, dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Fäuste fliegen, Beziehungen zu Bruch gehen, Sex und Macht Freundschaften und wahre Liebe zerstören und am Ende ein trostloser Scherbenhaufen zurückbleibt, aus dem sich nur mit Hängen und Würgen ein gläserner und zerbrechlicher Phoenix aus Buntglassplittern erheben kann – wenn überhaupt ...

 

Die Zombies indes halten sich bis auf wenige Action- und eine große Splatter-Szene gleich zu Beginn des Bandes wieder angenehm im Hintergrund. Durch ihre bloße, aber eben gewaltige und allgegenwärtige Präsenz hintern den Zäunen der Anstalt oder in den verborgenen und düstersten Winkeln des Gefängnisses schaffen sie vor allem die Rahmenbedingung für das, was Kirkman mit seinen Figuren unterdessen so anstellt.

 

In diesem vierten Teil der Saga geht ein spürbarer, ja zum Teil grausamer Ruck durch die Gruppe – es zerbricht Vieles, es gerät fast Alles ins Wanken, und selbst Rick, in den ersten beiden Bänden und, mit Abstrichen, auch noch im dritten Sammelband so etwas wie der vernünftige Ruhepol und sichere Anführer in all dem untoten und zwischenmenschlichen Chaos, droht unter der Last und der Verantwortung für seine schwangere Frau, seinen Sohn und seine Mitstreiter, die allein auf seinen Schultern ruht, langsam aber sicher zu zerbrechen. Die Lage spitzt sich schnell zu – und erreicht einen ersten unvermeidlichen Brenn- und Höhepunkt gleich zu Beginn des Bandes. Und es soll nicht der letzte Brennpunkt dieser Episode sein ...

 

Der Weg von Brennpunkt zu Brennpunkt, von Eskalation zu Eskalation, ist eine atemlose, temporeiche Hatz, quasi die XXL-Version bester Soap-Unterhaltung, garniert mit einem außergewöhnlichen Setting und obendrein Handlungen der Figuren, die man größtenteils nachvollziehen kann oder wenigstens doch als menschlich authentisch abnimmt. Einzig wirklicher Kritikpunkt der Geschichte ist für mich dann auch die sich stetig verändernde Cast, die manchmal doch recht unübersichtlich und schwer überschaubar wirkt – was mit Sicherheit auch an Adlards Stil liegen mag, der die Figuren ab und an etwas zu ähnlich gestaltet. Ansonsten überzeugt die Story durch ein irrwitziges Tempo, Abwechslungsreichtum und so viel zwischenmenschliche Spannung und plausibel wandelnde Konstellationen im labilen Beziehungsgefüge der Gruppe, dass man die Seiten gar nicht schnell genug umblättern kann und es Panel für Panel nur so knistert vor Anspannung, Gewalt und Konflikten.

 

Bis auf die Sache mit der Unterscheidung der Gesichter (was allerdings auch daran liegt, dass Kirkman die Gruppe seit Band zwei wirklich ständig erweitert oder dezimiert ...) macht Charlie Adlard wieder einen guten Job mit dem Artwork. Die Story führt ganz klar in diesem Tanz, doch die in Graustufen gestalteten Zeichnungen tragen sicherlich auch ihren Teil dazu bei, die beklemmende Lagerkollaps-Atmosphäre der Geschichtezu erzeugen. Egal ob ein Techtelmechtel im Fitnessraum, eine Splatterszene mit einem Zombie am Zaun oder eine wilde Schlägerei zwischen Freunden – Adlard fängt die Stimmung stets gekonnt ein.

 

Auch die Aufmachung des Hardover-Kleinbandes überzeugt einmal mehr: Ein stabiler Einband, gutes Papier, der nächste Teil des Zombie-Specials und dazu noch der gewohnt plakative Buchrücken sowie das anwachsende Cover-Breitwand-Motiv sprechen klar für die Cross-Cult-Ausgabe dieser Reihe.

 

Fazit: Die Bestie Mensch ist zurück im Zombieland – und wieder einmal wütet sie in Kirkmans beliebter Zombie-Saga, in deren vierten Teil der Autor uns Schlag auf Schlag packende Szenen liefert und zum Ende hin sogar noch eine höchst interessante Erkenntnis zu einem elementaren Bestandteil von The Walking Dead auf dem verbitterten Silbertablett des verzweifelten Wahnsinns liefert.

 

Story, Artwork, Aufmachung – der vierte Band von Kirkmans Zombie-Saga bietet so gut wie alles, was das Comicleserherz begehrt. Fans der Serie können bedenkenlos zugreifen und sich auf einen rauchenden Pageturner erster Güte einstellen.

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Comic:

Was das Herz begehrt

Reihe: The Walking Dead Band 4

Autor: Robert Kirkman

Zeichner: Charlie Adlard

Cross Cult

Hardcover, 144 Seiten

 

ISBN: 3936480346

 

Erhältlich bei Amazon

weitere Infos:


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Erstellt: 20.04.2007, zuletzt aktualisiert: 20.02.2023 19:18, 3801