300
 
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300 von Frank Miller und Lynn Varley

Rezension von Christian Endres

 

Schon ein knappes Jahr bevor uns Zack Snyder mit einer Verfilmung des Stoffes beglücken wird, erfährt Frank Millers Comicadaption der historisch belegten ersten Schlacht bei den Thermopylen eine furiose Neuauflage bei Cross Cult. Grund genug, sich noch einmal intensiv mit der Geschichte, der Geschichte und – natürlich! – der Geschichte dieses einmaligen Breitwand-Comicepos zu beschäftigen ...

 

480 vor Christus. Da ein Orakelspruch korrupter Priester einen ordentlichen Feldzug verhindert, macht sich Leonidas, König von Sparta, gemeinsam mit seiner dreihundert Mann starken Leibgarde zu den Thermopylen auf, um dieses geographisch wichtige Nadelöhr gegen die anstürmenden Horden der Perser zu verteidigen. Voller Inbrunst kämpfen die Spartaner mit wenigen schlecht ausgebildeten Verbündeten gegen die persischen Invasoren und stellen sich tapfer dem Feind, schlagen mit großem kämpferischen Geschick, eiserner Disziplin und dem unbändigen Willen zum Sieg sogar die Elitekrieger König Xerxes und dessen asiatischer Horden zurück, deren Name allein schon Legion ist. Wie so oft in der von Kriegen durchsetzen Geschichte der Menschheit braucht es dann am Ende auch einen folgeschweren Verrat, um das Blatt der Schlacht entscheidend zu wenden. Und wie so oft birgt die bittere Niederlage des Einzelnen den Keim zum Sieg des Ganzen ...

 

Frank Miller ist nicht der erste und mit Sicherheit auch nicht der letzte Künstler, der sich einige, nun, künstlerische Freiheiten herausnimmt, um eine Hand voll dramaturgischer Wogen seiner Geschichte zu glätten, indem er mitunter den streng historischen Kontext ein wenig außer Acht lässt. Dabei handelt es sich jedoch um ein völlig legitimes Mittel, das höchstens den Historikern unter den Comiclesern sauer aufstoßen wird. Ich garantiere an dieser Stelle also nicht, dass jede Gürtelschnalle aus dem richtigen Metall gefertigt wurde, jede Speerspitze die richtige Form hat oder die Elefanten und Kamele der persischen Eroberer wirklich auf dem Schlachtfeld herumgetorkelt sind – aber ich garantiere reinen Gewissens, dass solche historischen Spitzfindigkeiten den Lesegenuss dieses Comics in keinster Weise schmälern.

 

Zumal die eigentliche Story vollauf überzeugt, historical corectness hin oder her. Die gesamte Geschichte von »300« ist, wie man es von Miller nicht anders erwartet, von vorne bis hinten konsequent durchgestylt, gerade was Dialoge, Erzähltempo und Einstellungen anbelangt. Da stimmt jede Perspektive, jedes Wort und jede Textbox. Alles erscheint als homogene Einheit und ähnelt den dreihundert wackren Spartanern in mancherlei Hinsicht, insbesondere was Geschlossenheit, Leidenschaft und Kraft angeht. Hervorragend auch die spannende und geschickt angeordnete Abfolge der einzelnen Storyelemente: Wir haben erzählerische Zeitsprünge zu Beginn der Geschichte, allenthalben durchaus lyrische Textpassagen, immer mal wieder ruhige Feldlager-Szenen mit disziplinarischen Maßnahmen oder ruhigen Lagerfeuergeschichten aus der Antike und natürlich durchwegs heftiges Schlachtengetümmel, das den Boden erzittern lässt. Trotzdem gibt es stets einen (blut)roten Faden, der sich durch die Story zieht, und die oben schon erwähnte Einheitlichkeit der Geschichte wird dank kluger Erzählweise ebenfalls stets gewahrt.

 

Wenn Frank Millers Zeichnungen und Lynn Varleys Colorierung aufeinandertreffen, dann ist ein gutes Endergebnis vorprogrammiert – und es verdammt schwer, nicht mit Superlativen um sich zu schmeißen. Wie schon bei ihren gemeinsamen Arbeiten an Batman oder Ronin überzeugt das Endergebnis vollauf. Sicherlich wird nicht jeder Frank Millers Zeichenstil mögen, und manch einer hätte mit Sicherheit lieber eine Colorierung á la liquid anstelle der düsteren Töne von Lynn Varley, doch möchte ich mir »300« gar nicht in einem anderen optischen Gewand vorstellen. Es ist allein schon wegen der Farben und der detailgenaueren Zeichnungen kein zweites Sin City, aber dennoch schon weitaus feiner und reifer als Millers Ronin, jedoch auch keine Superheldenkost wie sein Daredevil. Genau das richtige »Mittelmaß« also, doch bewegt sich dieser Begriff für meinen Geschmack schon wieder viel zu weit von der eingangs angesprochenen Superlativen-Schlacht weg und wird dem tollen, teilweise für Miller wieder einmal typisch innovativen Artwork des Bandes in keinster Weise gerecht ...

 

Dass die Cross-Cult-Hardcover Leckerbissen für Sammler sind, sollte sich mittlerweile herumgesprochen haben. Doch was man dem geneigten Leser mit »300« kredenzt, das ist schon des Wahnsinns fette Beute. Rein vom Format her wartet der Sammelband, der wie sein US-Pendant die fünf ab 1998 erschienen Einzelbände zusammenfasst, mit einem geschlossenen Format von satten 28,5 auf 22,5 cm auf und tanzt damit schon allein von seiner Größe und seiner Form her ganz schön aus der Reihe. Doch dieses Format braucht er auch, um die von Miller als Doppelseiten angelegten Pages gebührend zu präsentieren, jedes Panel und jede Zeichnung ohne lästige Übergänge im Breitwandformat festzuhalten. Ein dickes, angenehm raues Papier, ein schlichtes, aber sehr stimmiges Cover, das an Kinoplakate früherer Tage erinnert, sowie ein sauberer Vierfarbdruck runden das optische Erscheinungsbild dieses überformatigen Monsters gebührend ab und führen zur Höchstnote in der allseits beliebten Kategorie Aufmachung und Gestaltung.

 

Fazit: »300« ist mehr als ein actionreich-blutiges Spektakel mit historischer Grundlage oder die beinahe perfekte Vorlage für einen Sandalenfilm, der mit seinen dreihundert tapfren Spartanern und jede Menge packender Kampfszenen im Frühsommer des nächstes Jahres unsere Kinos stürmen wird. Dieser Comic von Ausnahmekünstler Frank Miller ist eine kunstvoll inszenierte Ode an die Hoffnungslosigkeit, ein Abgesang auf Trostlosigkeit, Verrat und Tod – und letzten Endes ein Loblied für Tapferkeit und Würde.

 

Sicherlich sind knapp dreißig Euro recht happig und auf den ersten Blick sogar ein wenig abschreckend, doch hat hier eben ganz klar Qualität den Vorrang. Außerdem sollte man sich immer das Überformat und die daraus resultierende Menge an Bildern, Textboxen und Sprechblasen ins Gedächtnis rufen, wenn man sich über die Lesedauer Gedanken macht. Ganz zu schweigen davon, dass »300« ein Comic ist, den man immer wieder lesen kann und will ...

 

Das ist Blasphemie. Das ist Wahnsinn. Das ist »300«.

 

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Comic:

300

Text, Zeichnungen: Frank Miller

Colorierung: Lynn Varley

Verlag: Cross Cult

Überformat, Hardcover

Sprache: Deutsch

ISBN-Code: 3936480303

Anzahl Seiten: 88

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 28.06.2006, zuletzt aktualisiert: 31.12.2023 11:30, 2468