300 von Frank Miller und Lynn Varley
Rezension von Martin Weber
Ganz klar, Frank Miller ist ein alter Macho, der Geschichten für Leute erzählt, die ein Faible für Machotum haben. Anstatt wie sonst seine eigenen Mythen zu kreieren, greift er allerdings bei >300< thematisch auf eine der größten Heldentaten mit realem Hintergrund zurück.
DIE HISTORISCHEN FAKTEN
Das persische Reich ist DIE Großmacht im fünften vorchristlichen Jahrhundert. Scheinbar nichts vermag auf lange Sicht der gewaltigen Militärmaschinerie dieses Vielvölkerstaates widerstehen. Der persische König Dareios kann – typisch für die meisten Herrscher – den Hals nicht voll bekommen und hat daher ein begehrliches Auge auf den Peloponnes geworfen. Zur damaligen Zeit existieren viele verschiedene Stadtstaaten in Griechenland, die sich gerne untereinander bekriegen und noch kein echtes Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt haben. Erst die Bedrohung durch Dareios führt dazu, dass sich die griechischen Stämme zusammenraufen und gemeinsam gegen den äußeren Feind antreten. Alle Griechen? Nein, denn die Spartaner feiern lieber ein religiöses Fest als in den Krieg zu ziehen, was etwas merkwürdig anmutet, da gerade ihre Kultur auf den Kampf fixiert ist. 490 kommt es in der Nähe von Marathon zur Schlacht gegen die persische Invasionsarmee, in der sich die vereinigten griechischen Streitkräfte durchsetzen. Als sich die Spartaner endlich dazu bequemen, auf dem Schlachtfeld vorbeizuschauen, ist die Entscheidung bereits gefallen.
Einige Jahre später folgt Xerxes seinem Vater Dareios auf den Thron und er macht sich daran, die Schmach der Niederlage von Marathon zu tilgen. Er mobilisiert ein Heer von unglaublichen 250 000 Soldaten, das die aufmüpfigen Griechen endgültig unterwerfen soll. Die sind zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen. Ihre beste Chance besteht darin, die Angreifer an einem Pass in den Thermophylen (auf deutsch „die heißen Tore“, weil es dort Schwefelquellen gibt) aufzuhalten. Da der Durchgang im Fels nicht sehr breit ist, können die Perser hier ihren größten Trumpf - ihre Überzahl - nicht ausspielen. Im August 480 vor Christus treffen nun die Armeen aufeinander: 7000 Griechen gegen über 200 000 persische Krieger (die konkreten Zahlen variieren je nach Quelle). Auf Seiten der Verteidiger stehen allerdings nur 300 aus dem Volk der Spartaner. Deren Zahl ist so gering, weil sie ohnehin mit einer Niederlage rechnen und darum Kräfte für eine spätere Fortsetzung der Auseinandersetzung in Reserve halten wollten. Leonidas, der Anführer der Spartaner, scheint zudem darauf zu spekulieren, dass der heldenhafte Widerstand der wenigen ein Fanal für alle freiheitsliebenden Griechen sein wird.
Wie die Sache ausgegangen ist, sollte aus dem Geschichtsunterricht bekannt sein. Und wer ein gutes Gedächtnis hat, der erinnert sich außerdem noch an folgendes Zitat, das zum Gedenken an diese Schlacht als Inschrift an Ort und Stelle eingemeißelt wurde:
„Wanderer, kommst du nach Sparta,
verkündige dorten,
du habest uns hier liegen gesehen,
wie das Gesetz es befahl.“
KOMMENTAR
Die geschilderten geschichtlichen Ereignisse adaptiert Frank Miller auf seine ganz eigene Weise. Natürlich darf man dabei nicht erwarten, eine exakte historische Aufarbeitung vorgesetzt zu bekommen, denn es ist nicht der Sinn eines Comics, in allen Belangen wissenschaftlich akkurat zu sein. Was für den Autor zählt, ist das Erzählen einer Saga von Pflichterfüllung, Opferbereitschaft, Ehre und Mut. Wo es ihm angeraten erscheint, verändert er die Ursprungsgeschichte für seine Zwecke.
Seine Hauptfigur ist der spartanische König Leonidas, der ein alternder, erfahrener Krieger ist, der nicht nur für die Freiheit seines Volkes streitet, sondern ebenso für das Ideal einer neuen Zeit, in der Vernunft über Aberglaube sowie Zusammenhalt über kleinliche Zwistigkeiten gesiegt haben. Frank Miller verklärt ihn damit zum Vorkämpfer einer aufgeklärten Gesellschaft, die das Licht der Rationalität gegen die dumpfen Horden aus dem Osten verteidigt, was – wenn man die Leistungen des persischen Reiches objektiv betrachtet – ziemlich gewagt ist. Zwar liegt die Wiege unserer westlichen Kultur ohne Zweifel im antiken Griechenland, doch gerade die engstirnigen Militaristen aus Sparta als Vorreiter des zivilisatorischen Fortschrittes zu charakterisieren, ist überzogen und fragwürdig; und genau das ist dann der einzige Kritikpunkt, den ich zu beanstanden habe. Die spartanischen Krieger – wie sie wahrscheinlich wirklich waren und wie sie auch Miller in weiten Teilen skizziert - sind zwar ein tapferer, aber unsympathischer und gnadenloser Trupp mit extrem intoleranter Weltsicht.
Neben dem stoisch-heldenhaften Leonidas bleibt nur wenig Platz für andere Figuren wie den unerfahrenen Stelios, den missgestalteten Verräter Ephialtes, dem Geschichtenerzähler Dilios und Großkönig Xerxes, dessen Optik mehr an einen afrikanischen Stammesfürsten als an einen persischen Herrscher erinnert.
Frank Millers Zeichenstil mag man oder mag man nicht, jedenfalls bleibt er sich wieder treu, denn seine Darstellungen sind wie gewohnt roh und kraftvoll, setzen auf Wucht und nicht auf filigrane Detailfreude. Damit passen sie ideal zur Unbarmherzigkeit der erzählten Geschichte. Auch die Farbgebung von Lynn Varley stellt sich in den Dienst der gewünschten Atmosphäre, wenn düstere Erdfarben und blutiges Rot zum Einsatz kommen, was die Schroffheit und Brutalität von Landschaft und Geschehen betont.
>300< ist ein Hardcover, das im für Comics ungewöhnlichen Querformat ausgeliefert wird. Papier-, Druck- & Verarbeitungsqualität sind erstklassig, was beim stolzen Preis von 29,80 € allerdings vorausgesetzt werden darf.
FAZIT
Dieses Comic-Buch ist nichts für Zartbesaitete. Frank Millers Interpretation der Schlacht bei den Thermophylen ist brutal und dünstet pures Testosteron aus. Wer blutrünstige epische Erzählungen liebt, die bildgewaltig von Heldenmut, Kampf und Opferbereitschaft berichten, sollte sich den Luxus gönnen und >300< käuflich erwerben.
P.S.:
>300< wird gerade verfilmt und soll im Sommer 2007 in die heimischen Kinos kommen. Die Macher setzen dabei nicht auf Realismus, sondern verwenden dieselbe Technik für die Erstellung des Filmhintergrundes, die auch schon bei >Sin City< zum Einsatz kam. Übrigens gibt es bereits eine cineastische Adaption des Stoffes; sie stammt aus dem Jahr 1960 und trägt den Titel >Der Löwe von Sparta<.