Apropos Angst: Irgendwas ist da
 
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Apropos Angst: Irgendwas ist da

Kolumne von Karin Reddemann

Den Ahnungslosen erzähle ich eine kurze, unspektakuläre Geschichte: Vor vielen Jahren bin ich durch einen Streb gekrochen, und es ist nichts passiert.

 

Für all diejenigen, die es besser wissen und mir ihre wundersamen Gedanken anvertrauen, ist es eine andere Geschichte: Vor vielen Jahren bin ich durch einen Streb gekrochen, und niemand war bei mir, der meine Angst mit mir hätte teilen können.

 

Es waren nur Ahnungslose dort. Ich konnte nichts erwarten. Sie vermissten kein Licht. Sie hörten nichts. Spürten nichts. Sie spielten in meiner Geschichte mit, ohne jemals davon erfahren zu haben. Ihre Rollen waren bedeutungslos, ihr Vokabular banal und nüchtern. Sie sprachen von Hitze. Enge. Ungemütlichkeit. Sie sprachen von lästiger Dunkelheit, als wäre da oben kompromisslos ewig ein unbeschwerter Sternhimmel, der jeden bösen Schatten verscheucht.

 

Ich fand es kalt dort. Es war so kalt und schrecklich und gleichsam so unaussprechlich für mich, dass mir nicht mehr einfiel, als diese einsame Furcht, die nur mir gehörte, ordentlich zu archivieren. Sie hat einen unvernünftigen Platz gefunden. So sollte es sein. Sie hilft mir, mich zu verstehen. Und Dunkelheit so zu definieren, wie es richtig ist. Es ist eine gute Furcht. Sie hält wach.

 

Vor vielen Jahren, als ich mich anschickte, durch diesen Streb zu kriechen, war mir klar, dass ich all das sehen würde, was man nicht sehen kann, wenn man die Nacht auf die gleiche unbekümmerte Art nimmt wie den Tag. Gottergeben, Gott gedankt. Unschuldig und unverflucht.

 

Es war ein ganz normaler Streb. Da unten. Unter Tage. Kein Museum mit pfeifender Putzkolonne am Morgen. Eine echte Zeche, über die heute der Wind weht und Kohlenstaub für die Urnen der Vergangenheit sammelt. Echte Kumpel, Flöze, Förderkörbe. Wie ich in den Berg gekommen bin … unwichtig. Ich war im Streb. Das allein zählt für meine Notizen. Ihr kennt sie. Ihr schreibt in dasselbe Buch.

 

Als ich mich damals auf allen Vieren durch diesen Streb bewegte, waren neun Ahnungslose vor mir. Christoph Moorsbach vom Feuilleton und Werner Chrostek von der Pressestelle krochen hinter mir her. Beide waren dick und schwitzten und maulten. Es war einfach, sie auf der Hälfte der Strecke zum Abbruch zu zwingen. Ich nannte Platzangst als Grund, sagte, ich müsse umgehend hier wieder raus, das genügte ihnen. Wir krabbelten rückwärts, bis wir uns umdrehen und letztendlich wieder stehen konnten. Und während die dicken schwitzenden Männer sich erleichtert zunickten, blickte ich zurück, sah die gelben Augen, die rostroten Lefzen, die Maden im verdorbenen Fleisch und die eisgrauen Haare und dachte, wenn die wüssten, dass ich weiß, was da ist … sein könnte … nein, was da ist. Mit allen abartigen Konsequenzen, in jeglicher Form und Erstaunlichkeit, die man sich vorstellen muss, wenn da kein Spiegel mehr ist, der dir ein Lächeln zeigt.

 

So war das. Im Streb. Ich weiß nicht, ob sie alle dort gewesen sind: Bruce Hundt, der The Cave gedreht hat, Neil Marshall, Regisseur von The Descent – Abgrund des Grauens, der Mann mit dem seltsamen Namen, Olatunde Osunsanmi, Macher von The Cavern – Abstieg ins Grauen. … Die Bilder ganz tief da unten, die sie zeigen, sind meine. Die hässlichen blinden Crawler, die Frischfleisch wittern, die Parasiten, die Pupillen, Haut, Verstand attackieren, die Kreatur mit dem verbrannten Gesicht … ich kenne sie. Sie tauchen auf, wenn ich im Streb bin. Der Boden unter mir wird schlammig weich, in ihm lebt was, berührt mich, die Wände tanzen, da sind Käfer, Krallen, Klauen.

 

Vorstellen kann ich mir meine Begleitung. So normal. So hilflos, so verzweifelt normal. Menschen, die mit mir in den Berg gehen, unwissend, neugierig, erwartungsvoll, dann lauschend, sehend, immer noch nicht begreifend. Misstrauisch urplötzlich allem, jedem gegenüber. Wütend, weil es kalt wird und unklar bleibt. Aggressiv. Und so furchtsam. So ängstlich. So panisch.

 

Es wird gesagt:

 

Es gibt den Himmel und die Hölle. Und es gibt etwas darunter …

 

Ich war im Keller. Im Moor. Im Wasser. Im Wald. Im Streb.

 

Da unten treffen wir uns. Immer wieder.

 

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Nachtrag

Apropos Angst: Wir freuen uns auf Beiträge unserer Leser·innen und/oder Autor·innen, die selbst zum Thema etwas zu sagen haben. Dass das so ist und nicht anders sein kann, bezweifeln wir nicht.

 

Denn:

»wenn einer keine Angst hat, hat er keine Phantasie.«

Erich Kästner

 

Eben.

 

Habt keine Angst, uns an folgende E-Mail-Adresse zu schreiben: brieftaube@…

(Domain für alle Mail-Adressen ist: fantasyguide.de)

 

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Apropos Angst


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Erstellt: 30.10.2021, zuletzt aktualisiert: 15.04.2024 09:15, 20243