Artikel: Es war einmal … Geburt eines Genres
 
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Es war einmal … Geburt eines Genres

Artikel von Karin Reddemann

 

1968 war noch nicht das Jahr meiner Wunder. Das kam zwölf Jahre später: Levi’s stonewashed, erster Tequila-Hochgesang und Abba mit »I have a Dream« auf dem Plattenteller. Und in den Schaukästen der alten Studio-Lichtburg hingen Plakate, die Männer in langen Mänteln zeigten.

 

Fotos von einem bärtigen Kerl mit Mundharmonika zwischen den Zähnen. Nahaufnahmen von stahlblauen Augen, von nur noch zu grimmigen Schlitzen verengten Augen, von wunderschönen schwarzen Augen. Henry Fonda. Charles Bronson. Claudia Cardinale.

 

Oh ja, die kannte ich sehr wohl. Diesen Film, der da im jüngst renovierten Nachkriegs-Kino, das irgendwann einem Eros-Center weichen musste, bevor dort auf dem Hügel an einem der Stadttore eine Seniorenresidenz gebaut wurde, mit zwölfjähriger Verspätung so großartig bildgewaltig angekündigt wurde, kannte ich nicht.

Eine Geschichte, eine Musik

Spiel mir das Lied vom Tod. C’era una volta il West. Once upon a time … 1968 von Sergio Leone gedreht und um die Welt gebracht. Das Geburtsjahr des Genres war es nicht. 1965 brachte Für ein paar Dollar mehr den Italowestern in die Schusslinie der von nun an Versessenen.

 

Gnädig getroffen von einem Gefühl, das sengende Glut zur leichten Sommerbrise werden lässt. So verdammt gut erträglich. Schmerzfrei gebrandmarkt von einer berauschenden Gewalt, die meine eigenen Fäuste nur auf sanfte Art ballen lässt. Keine Gegenwehr. Der Italo-Western ist meine Vision, seitdem ich 1980 am verrotteten Bahnhof irgendwo in staubiger Steppe auf Irgendwas gewartet habe.

Und es bekam: Das Besondere. Eine Geschichte. Eine Musik. Ich flüstere sie mir seitdem immer wieder zu, mein Kopf summt mit. So einmalig ist das.

 

Und völlig verzaubert von diesem einem Großen erfuhr ich, so verflucht jung und dumm und umgehauen mit damals grad mal lausigen siebzehn Jahren, erst eine ganz und gar lästige Weile später, dass dieser begnadete italienische Löwe, dieser Leone, schon lange zuvor die Pferde auf seine eigene Weise gesattelt, seine Jungs, Männer, Killer, Träumer wie Perlen in Austern gefunden hatte.

 

Die Dollar-Trilogie

Die Dollar-Trilogie Mitte der 1960er war vorangegangen, Eastwood, Van Cleef, Wallach zogen längst den schnellsten Colt, tranken längst den besten Whisky, und ich holte sie ein, setzte mich ganz hinten hinein in den Saloon, unter einen Baum in der Nähe des Lagerfeuers, in den Zug, der nur eine Station weiterfährt.

 

Dort sitze ich heute noch. Beobachte. Lausche. Vergesse nicht.

 

Langweilig wird das nicht, Gott und des Teufels Hallelujah bewahre, obgleich seit Jahrzehnten niemand Neues mehr vorbeikommt, der immer noch nicht am Galgen hängt. Krasser Satz. Zu brutal?

 

 

»Nein. Nur Kino.«, sagt der Blonde. Clint »Qué Hombre!« Eastwood in zivil:

 

»Ich mag töten nicht. In einem Film darüber zu phantasieren ist eine Sache. Aber ich fand es noch nie lustig, ein Leben von diesem Planeten zu entfernen.«

 

Märchen der Verdorbenen

Etwas desillusionierend oder wie jetzt? Der raue Wolf wahrhaftig lammfromm? Tatsächlich ist es genau das, was die eine Sache ausmacht: Wir lassen Phantastisches zu. Wir genießen es. Auch das Harte, Zynische. Das charakterlich Verdorbene. Wir wollen die harte Hand. Das dürfen wir uns auch ohne Skrupel erlauben. Weil wir ein Märchen sehen, wenn wir erleben, wie so meisterhaft magisch unmoralisch die Leinwand gesprengt wird. Die Unbarmherzigkeit, Radikalität und Kompromisslosigkeit des Italos, hinter der Stirn vor allem Rache, Eigennutz und Zynismus, ist genauso Phantasieprodukt wie das Guter-Mensch-Sein oder Gut-Werden-Wollen des klassischen amerikanischen Western-Darlings. Django (Franco Nero, 1966) bleibt wie ein amerikanischer Hondo (John Wayne , 1953) gleichsam dieser spezielle Kerl aus der Wunderlampe. Die Vorstellung zaubert ihn herbei, heraus kommt unser gewünschtes Entertainment.

 

Sergio Leone, Sergio Corbucci, Enzo G. Castellari, das sind Geschichtenerzähler, die mit Staub und Bourbon auf der Zunge ihre Bohnensuppe löffeln und dem Mond Es war einmal … zuflüstern. Und dann malen sie, während dieses besondere Nachtlicht, das auf sie fällt, Äste, Knochen und Heile-Welt-Sorgen knackt, ihre faszinierenden Bilder: Schwarzweiß. Grellbunt. Blutrot. Weltausstellung mit Film-Musik, die so unverwechselbar ist wie der Schrei eines Kojoten in der Wüste. Der Kuss einer Lady mit Schnappmesser unter dem Rock. Das Klicken eines Revolvers vor dem Schuss. Die Uhr beim Duell. Der Mexikaner als »Italo-Indianer«. Der Drehort Andalusien. Und ferner: Der schnelle Schnitt zwischen Händen, Gesichtern und Pistolen. Die italienische Einstellung: Detailaufnahme. Nur noch Augen. Was für Augen!

 

Bruno Nicolai, Carlo Sarina, Angelo Francesco Lavagnino und, mit knallender Peitsche allen voranpreschend, begleitet von Pfiffen, Schreien, Oboe, Fagott, E-Gitarre und Synthesizer, Maestro Ennio Morricone … unvorstellbar, das Ganze, ohne ihre Kompositionen. Die sind keine normale Begleitung. Nicht bloß Stilmittel. Sie spielen mit. An vorderster Front. Als Quentin Tarantino Uma Turman in Kill Bill 2004 unter der Erde bei »L’Arena« aus Il Mercenario (Die gefürchteten Zwei, 1968, Regie: Corbucci) um ihr Leben kämpfen ließ, war das Gänsehaut-Huldigung im Hochformat. Tarantinos zweite große Verneigung vor dem »Spaghetti-Western« erfolgte, – wissen wir alle in Dankbarkeit –, 2012 mit Django Unchained.

Kniefall vor den Italos

Verdiente Hommage nach fast vier Jahrzehnten. Mitte der 1970er gingen für die italienische Sichtweise auf den Wildwest-Mythos, zweifellos einmalig begnadet in der Filmgeschichte, die ganz großen Lichter aus. Low-Budget-Produktionen, teils freilich einfach nur schlechte Imitationen, die es vorher schon gegeben hatte, wurden noch gemacht. Komödien übernahmen Kulissen und kernige Kerls wie Bud Spencer und Terence Hill, aber die so herrlich rau-böse Zeit war passé. Zuviel Witz, zuviel Krawumm: Nobody (1973) nach einer Leone-Idee mit dem smarten Hill gilt da noch als Ur-Italo-salo(-o)nfähig. Regie führte Tonino Valerii. Drei Jahre später kam Keoma – Das Lied des Todes (Regie: Castellari) mit Franco Nero als wortkargem Rächer nach Django-Muster auf die Leinwand. Letztes legendäres Loblied auf ein Irgendwo, Irgendwie. Und Tusch.

 

Es war einmal … so herrlich einfach ist das. Und ebenso unkompliziert sagt er, der allmächtige Schöpfer der markigen Jungs mit Schmutz im Kopf und an den Stiefeln, was da wirklich abgeht, wenn so scheinbar cool Störfaktoren weggepustet werden:

 

»Mut ist nichts anderes als die Angst, die man nicht zeigt.«

(Sergio Leone)

 

Furchtsame (Anti-)Helden in tiefster Seele? Oh nein. Wir lieben diese Art von Tapferkeit. Wir lieben wie Eastwood diesen besonderen Blues.

 

»Es ist schon komisch, dass dieser Westerntyp den Blues mag und das Gefühl des Schmerzes in den Liedern, aber das ist auch Futter für seine Seele.«

(Eli Wallach über Clint Eastwood)

 

So ist das mit den Namenlosen. Auch nur Menschen. Und wenn Jill McBain zu Harmonica sagt: »Sweetwater wartet auf dich«, und er antwortet: »Irgendwer wartet immer«, dann brauchen wir auch wahrlich kein romantisches Happyend. Dann brauchen wir den einsamen Reiter auf seinem Weg zum Horizont. So soll’s sein. Und bleiben.

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Erstellt: 21.02.2020, zuletzt aktualisiert: 31.05.2022 08:09, 18335