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Mit Geschichte und Fantasie

Zum 2. Todestag von Robert Merle

 

von Ralf Steinberg

 

Die französische Literatur ist reich an Autoren, die das turbulente und pikante Leben ihrer Landsleute zu schildern vermögen, bunt und fröhlich, als auch ernst und wahrhaftig. Die enge Verknüpfung von Historie und Roman verfügt über berühmte Romanciers, wie Victor Hugo, Emile Zola, Anatole France oder auch den beiden Dumas. Stets verbirgt sich hinter einer fesselnden Geschichte auch eine feine Exhumierung lieb gewonnener Legenden, ohne Ressentiments, dafür umso angefüllter mit dem Esprit der französischen Lebenslust. Was man ja auch erwarten kann, von einem französischen Roman.

Robert Merle steht mit seinem Werk in dieser langen Reihe ehrwürdiger Literaten nicht schlecht da,

Die Franzosen entbrennen schnell und heiß für ihre Autoren, ihre Verehrung setzt uns Deutsche in Erstaunen - welcher deutsche Autor wird tatsächlich geliebt?

 

Wenn tausende aufgewühlter Leser Jules Verne oder Victor Hugo zu ihrer letzten Todesstätte geleiten, ist das Ausdruck dieser Liebe. Auch Robert Merle hatte sich in die Herzen der Franzosen geschrieben, wenn auch sein Begräbnis weniger spektakulär war.

Seine Romane zur französischen Geschichte, die dreizehnbändige Fortune de France, sind so französisch wie ein Flirt im Café oder der revolutionäre Streik am Nachmittag.

Merle verfasste dabei nicht gefällige Massenware, vielmehr hauchte er einer wichtigen französischen Epoche (unter den französischen Königen Francois I. bis Ludwig XIV) Leben ein, schrieb darüber fundiert und anhand von Quellen, die erst kurz vorher von Historikern zugänglich gemacht worden waren. Er arbeite von 1977 bis kurz vor seinem Tod, am 28.03.2004, an dieser Reihe und sie gilt zu Recht als sein Hauptwerk und als eines der bedeutendsten historischen Werke der französischen Literatur.

 

Aber auch mit La mort est mon métier (1952, Der Tod ist mein Beruf), über das Leben des Rudolf Höß, Kommandant des KZ Auschwitz, Die Insel über die Meuterer der Bounty und Hinter Glas, dass sich mit den Studentenunruhen an der Pariser Sorbonne 1968 befasste, bewies Merle seine Vorliebe für Themen, die geschichtliche Bedeutung besitzen. So schrieb er zum einen gegen das Vergessen an und legte zum anderen auch Zeugnis ab, von seiner zutiefst humanistischen Weltanschauung. Darin liegt wohl auch einer der Gründe, warum seine Bücher besondere Beachtung in der DDR fanden.

 

Ähnlich dicht am wissenschaftlichen Kenntnisstand seiner Zeit sind auch seine phantastischen Romane, die ihn berühmt machten, etwa Ein vernunftbegabtes Tier, Malevil und auch Die geschützten Männer. Die Auseinandersetzung mit menschlichen Schwächen, die sich während einer extremen Situation zum Guten wie zum Schlechten hin auswirken, führte zu besonders plastischen Figuren. Dabei verließ Merle nie den Pfad sorgfältigen Erzählens, blieb er dem Leser keine Seite einer Idee schuldig.

In Malevile schuf Robert Merle das Abbild einer Apocalypse, die den Zusammenbruch der Zivilisation und das Bestreben der Überlebenden nach einer neuen, besseren Gesellschaft, mit sorgfältig erarbeitetem Realismus widerspiegelt. Der Held ist das Produkt aus verborgenen Kräften und einer nicht minder starken Gemeinschaft. Hier ist eine Hoffnung zu spüren, die dem Thema aber auch der Entstehungszeit (1972) so nicht innewohnten. Aber für Merle war sie vorstellbar.

Dass er auch anders kann, verstörender, bewies er spätestens mit Madrapour 1976, das sich wie eine Parabel auf die dekadente Ausweglosigkeit des Bürgertums am Ende des kalten Krieges liest. Die Befreiung aus der fliegenden Falle wird zwischen Zwang und Wahl stets mit dem Tod enden und vielleicht ist die Freiheit auch nichts weiter, als das Verlassen von Enge; für den Franzosen Merle ein Quell der Revolution.

 

Robert Merle ist einer jener hervorragenden Autoren, deren Romane in den Bestenlisten meist fehlen, dennoch von Mund zu Mund weiterempfohlen werden und so vielleicht nachhaltiger wirken, als so mancher Topseller.

 

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Erstellt: 30.03.2006, zuletzt aktualisiert: 11.07.2024 19:06, 2049