Aus Äonen
 
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Aus Äonen

Rezension von Karl-Georg Müller

 

Die Redaktion des Magazin „Cthuloide Welten“ legt mit dem vorliegenden Sammelwerk nach „Hinter den Schleiern“ das zweite Werk vor. Dabei wurde nicht nur der Umfang des Bandes im Vergleich zum Vorgänger erhöht, sondern auch die Anzahl der Abenteuer. Gleich fünf Szenarien entführen in verschiedene Zeitepochen. Abgerundet wird das alles durch einen speziell für eine Zeitschiene entworfenen Quellenteil.

 

Es liegt auf der Hand, dass die Abenteuer chronologisch fein säuberlich geordnet sind. Den Anfang macht „Der Blutsauger von Schwarzbrunn“, geschrieben von Stefan Franck, angesiedelt im Jahre 998 AD - und damit prädestiniert, den Quellen- und Abenteuerband „Cthulhu 1000 AD“ als Grundlage daneben zu legen. Und wen mag es wundern, dass zur beginnenden Zeit der Scholastik, in der Wissenschaft und Theologie ineinander greifen und erste Ansätze dazu zeitigt. Ein Kloster bietet sich als Handlungsort förmlich an, eine Lokalisation, die wie geschaffen ist in diesem ausklingenden düsteren Zeitalter für geheimnisvoll, vielleicht gar schaurige Umtriebe.

 

Es wird niemanden erstaunen, dass dort, wo die Charaktere auftauchen, gleich ein Mord geschieht. Doch ist dies nicht der erste Todesfall, der die Menschen in der kleinen Gemeinde verstört, und, was noch erschütternder ist, die Opfer waren allesamt Kinder. Elsbeth also ist tot, und blutleer wurde sie im Wald entdeckt. Und noch weitere drei Kinder bleiben verschwunden – womit sich die Aufgabe für die Gruppe wie von selbst ergibt, so sie denn nicht herzlos sind und wieder ihres Weges ziehen. Wenn sie aber Mut fassen und den Geschehnissen auf den Grund gehen wollen, dann werden sie sich näher mit dem Kloster und seinen Mönchen beschäftigen müssen. Natürlich keine leichte Aufgabe, und schon gar nicht eine ungefährliche. Beendet wird das kompakte Abenteuer auf eine sehr endgültige Weise für die Bewohner Schwarzenbrunns und das nahe liegende Kloster ...

 

„Garten der Lüste“ von Lucya Szachnowksi und Gary O’Connell (ergänzt um Texte von Ulrike Bogdan und Frank Heller) klingt sehr anzüglich (eher scheint es sogar die wollüstigen Saiten in uns zum Schwingen bringen zu wollen), startet aber klerikal-korrekt, denn die Heilige Inquisition steckt hinter all dem, womit die Spieler beschäftigt werden sollen. Spanien im Jahre 1597 sind Ort und Zeit der Handlung, die vorgefertigten Charaktere rekrutieren sich aus einer Handvoll Priestern und Laien im Dienste dieser hochheiligen Institution, für die sie sich in einem „abgelegenen Bergdorf“ (wie mir beim Schreiben auffällt, ist mir mein Lebtag lang noch kein Bergdorf unter die Füße geraten, das nicht abgelegen gewesen wäre ...) einzufinden haben. Denn dort, oh heilige Maria, soll eine Jungfrau urplötzlich schwanger sein.

 

Mehr noch als im vorhergehenden Abenteuer trügt der Schein, und vieles ist nicht so, wie es auf den ersten Blick anmutet. Für die Charaktere bedeutet dies sehr viel detektivische Arbeit, also Spuren sammeln und hochnotpeinliche Verhöre (wenn auch diese nicht ganz im Sinne der Inquisitoren vonstatten gehen, stehen sie doch dabei mehr im Rampenlicht, als ihnen genehm sein kann), damit sich die verstreut im Bergdorf versteckten Mosaiksteinchen zu einem Bild ... na ja, eben halt des Grauens fügen. Das alles wird mit Hilfe eines recht detaillierten Ablaufplans der Ereignisse geprägt, der es natürlich mit sich bringt, dass die Charaktere auf viele Entwicklungen nur reagieren können. Das wiederum sehe ich nicht als problematisch an, denn es gibt durchaus Aktionsmöglichkeiten, die ein arg schematisches Handeln unterbinden. Was besonders gefällt, sind die Hintergrundinformationen über beispielsweise die Spanische Inquisition, denn alleine mit dem Material aus „Cthulhu 1000AD“ (das ein zweites Mal zum Tragen kommt) ist es nicht getan.

 

Das dritte Szenario bezeichnet sich als Abenteuer im Paris der 1890er, heißt „Die Zeit der dunklen Träume“ und stammt von Steffen Köhn. Für diejenigen, denen Paris als echter Cthulhu-Schauplatz auf den ersten Blick weniger geeignet erscheint als London oder Arkham, hält das Abenteuer eine inspirierende Überraschung bereit: ein Parallel-Paris, eine Zwischen-Welt, die nicht von jedem betreten werden kann, von der aus aber ein großer Einfluss auf die Menschen in der „realen“ Welt genommen wird. Napoleon Bonaparte selbst hat sich als Träumer dorthin begeben, ist er doch Mitglied in einer Loge, die auf der verderblichen Suche nach esoterischem Wissen ist. Napoleon lebt nicht mehr, aber die Loge besteht weiter, und mit ihr ein unheilvolles Instrument, das just zu der Zeit aktiviert wird, als einer der Spieler sich in Paris aufhält.

 

Der „erwählte“ Charakter steht im Verlaufe des gesamten Abenteuers wegen seiner verstörenden Träume mehr oder weniger im Mittelpunkt des Geschehens. Das ist ganz schön, weil man doch als Spieler sehr gern in eine tragende Rolle schlüpft. Aber es führt auch dazu, dass sich die Aktionen auf eben diesen Träumer fokussieren und ihn als alles entscheidenden Charakter betonen. Das kann für die übrigen Teilnehmer durchaus unbefriedigend sein, denn um ihn dreht sich alles, auch das Augenmerk der im Hintergrund agierenden Mächte wird sich auf ihn richten: die anderen Charaktere sind nicht viel mehr als Staffage (weswegen ich ein wenig anzweifeln mag, dass die für die Umsetzung der Ziele nicht nötigen Personen so wie vorgesehen entführt werden, sondern viel eher doch auf schnellstem Wege beseitigt). Die Atmosphäre jedoch, die sich durchaus dicht und dunkel durch das Ambiente aufbaut, die gefällt.

 

Ein wenig Quellenmaterial gefällig? „Reise zur anderen Seite“ verschafft einen kondensierten Querschnitt durch die überreiche irische Mythologie und Geschichte: weit vor Christi Geburt reichen die Ursprünge der Firbolg zurück, die Irland besiedelt haben sollen, ihnen folgten in schöner Regelmäßigkeit mysteriöse Völker wie die Fomorii oder die Thuatha de Danann. Was an der übersprießenden Sagenwelt mit der Wirklichkeit in Einklang steht oder durch die Jahrhunderte und Jahrtausende in Mythen und Legenden eigenwillig verbrämt wurde, ist nicht gesichert. Aber genau dies macht die Insel mit ihren Erzählungen für Cthulhu so ergiebig, denn alles, was an Erkenntnissen wissenschaftlich abgesichert ist, wirkt als Bühne für ein Cthulhu-Abenteuer nicht derart glaubhaft, dass wir dort obskure Scheußlichkeiten und grauenhafte Geheimnisse vermuten wollen.

 

Sehr gelungen werden die „gute“ und die „böse“ Seite der Anderswelt herausgearbeitet, die sich aus dem Seelie Court und dem Unseelie Court heraus definieren: die Königin Maeve symbolisiert die lichte Seite, während Amadan-na-Briona (ihr ehemaliger Gefährte) das Schattenreich regiert. Das alleine genügt schon, um als Brandherd für feurige Konflikte zu dienen.

 

„Fairy Tales“ dient gleich der praktischen Anwendung des erworbenen Wissens. Stefan Geisler entführt die Spieler an die Ostküste Amerikas in den 1920ern. Ein überschaubar kleines Dorf mit vornehmlich irisch-stämmigen Einwohnern mutiert zum Brennpunkt übersinnlicher Ereignisse ... doch halt, so übersinnlich sind sie ja gar nicht, denn für die Dörfler wird all das, was für als Phantastereien abkanzeln, zu einer äußerst realistischen Bedrohung. Nicht zum ersten Mal in diesem Abenteuerband streckt ein Kult seine Finger aus, um Pein und Qual über Menschen zu bringen, und wieder sind sie weniger Herr ihrer eigenen Sinne als vielmehr willfährige Werkzeuge einer dunklen Macht (und um welche es sich handelt, sollte nach dem erwähnten Quellenmaterial an weniger als zwei Finger abzuzählen sein). Natürlich wurde auch die Anderswelt nicht ohne Not recht ausführlich beschrieben, so dass der Spielleiter gleich auch diese Kenntnisse (die er ruhig noch durch weiteres Quellenstudium in einschlägigen Büchern zu den irischen Sagen vertiefen mag, um das Flair angemessen weitergeben zu können) an die Frau und an den Mann bringen kann.

 

Gerade bei diesem Szenario gefallen mir die angefügten Handouts ganz außerordentlich (obwohl ich diese insgesamt sehr loben muss), denn die Auszüge aus Büchern veranschaulichen sehr gut die Geschichte. Und werden sie gekonnt vorgetragen, dann betonen sie auf gelungene Weise die Stimmung.

 

Einen beträchtlichen Zeitsprung vollführen wir mit dem abschließenden Abenteuer „Das Icarus-Projekt“ von Christoph Maser und Matthias Oden. Im Jahre 2643 folgt das Raumschiff Icarus seinem Vorgänger Daidalos ins Zentrum des Universums. Die Daidalos hatte zwar den gewagten Sprung geschafft, aber dann kein Lebenszeichen mehr senden können. Wirtschaftlicher Druck sorgt dafür, dass ein Schwesterschiff gebaut wurde, ausgestattet mit einer doppelten Besatzung, um einen erneuten Totalausfall zu unterbinden. Ob das etwas nützt? Die Frage ist höchst überflüssig, handelt es sich doch um ein Cthulhu-Abenteuer, noch dazu einen mit vorgefertigten Charakteren – und das aus sehr gutem Grund.

 

Jedenfalls werden die Individuen es noch bereuen, aus dem Kälteschlaf geweckt worden zu sein. Das, was ihnen im demolierten Raumschiff entgegentritt, ist mehr als bedrohlich. Wie ernst die Situation wirklich ist, offenbart sich aber erst beim Gang durch die verschiedenen Module. Schritt für Schritt erweitert sich das Panoptikum der Schrecklichkeiten, bis es letztlich in der Erkenntnis kumuliert, von Beginn an keine Überlebenschance gehabt zu haben. Ein Abenteuer wirklich nur für harte Gemüter ...

 

Die Aufmachung des Abenteuerbandes ist einmal mehr vorzüglich und lässt keinen Spielraum zu nörgelnder Kritik. Die Handouts sind mit Liebe zum Detail gestaltet, die Illustrationen fast durchweg sehr bildhaft, so dass sie die eingerahmte Handlung wirklich verdeutlichen. Auch die zeitgenössischen Fotographien sind gut gewählt und eignen sich, um dem Text noch eine Nuance mehr an Flair beizufügen.

 

Von ebensolcher Qualität sind die geschriebenen Beiträge, die aufgrund ihrer zeitlichen Vielfalt zumindest ein gehöriges Maß an Abwechslung garantieren. Und natürlich auch vermeiden, dass man sich allzu sehr an seinen Charakter gewöhnt, denn die meisten Szenarien eignen sich insbesondere als One-Shots: zügig vorbereitet, fertige Charaktere, meist an einem oder zwei Abenden (oder Tagen) zu spielen. Leckere Appetithäppchen für zwischendurch (was ein beiderseitiges Vergnügen sein kann: Cthulhu lässt anrichten ...)

 

Letztendlich: „Aus Äonen“ ist ein guter Abenteuerband, der für jeden Geschmack genug auftischt, dass man davon richtig satt werden kann. Wohl bekomm’s ...

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404260845433597d00e
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Aus Äonen

Cthulhu-Abenteuerband

178 Seiten

Softcover

ISBN: 3-930635-90-9

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 17.07.2005, zuletzt aktualisiert: 12.02.2015 17:07, 664