Das Geheimnis des 12. Kontinents von Antonia Michaelis
Rezension von Bine Endruteit
Karl Sonntag hat seinen Namen, weil er an einem Sonntag gefunden wurde "...und 'Karl' der Name war, der auf irgendeiner Liste als nächstes dran kam. Er lebt in einem Kinderheim. Seit sein bester Freund Achim adoptiert wurde, ist er ganz schön einsam. Die rote Wut, die er im Bauch spürt und die ihn gemeine Sachen tun lässt, gewinnt jetzt immer öfter die Oberhand. Karl ist nicht der Schlaueste, aber er ist stark. Und wenn jemand schlecht über ihn redet, dann schlägt er zu. Inzwischen ist das leider so oft vorgekommen, dass er von der Schule fliegen soll.
Karl träumt davon, von seinem Vater gefunden zu werden. Er ist fest davon überzeugt, dass dieser ein Kapitän ist und dass er ihn nur verloren hat. Darum konnte er sich auch bei den Familien, die ihn bisher adoptiert hatten, nicht gut benehmen: Sie waren ja alle nicht die richtigen. So sieht er keinen anderen Ausweg mehr, als wegzulaufen. Er packt sein Spielzeugboot und eine Zahnbürste ein und macht sich auf den Weg. Nach der ersten Nacht im Freien sieht er etwas Merkwürdiges. Eine ganze Menge Leute stehen am Fluss und betrauern ihr untergegangenes Schiff. Doch diese Leute sind winzig, gerade mal so groß wie Karls Finger. Und sie haben sein Spielzeugschiff entdeckt. Sie würden es gerne benutzen, da ihres ja verloren gegangen ist. Karl gibt sich ihnen zu erkennen, denn schließlich ist es sein Boot, über das sie da reden. Und so kommt es, dass der Junge sich mit dem kleinen Volk gemeinsam auf die Reise macht, denn diese konnten ihn tatsächlich auf ihre Größe schrumpfen.
Also macht sich die Gruppe auf den Weg, um Verlorenes zu finden. Karl sucht nach seinem Vater und auf einem Schiff ist er ihm bestimmt schon näher, als im Kinderheim. Und auch die Winzlinge haben etwas verloren, das sie wieder finden wollen. Karl freundet sich mit Sven an, dem Jungen mit dem Holzbein. Zusammen erleben sie unglaubliche Abenteuer und Karl lernt sehr viel über Freundschaft und seine Wut im Bauch.
„Das Geheimnis des 12. Kontinents“ von Antonia Michaelis ist eine Mischung aus Abenteuer-, Märchen- und Fantasyroman. Es macht Freude, Karl auf seinem Weg zu begleiten. Anders als in den meisten Büchern ist der Protagonist hier nicht besonders schlau oder mutig. Karl ist eher nicht so gut im Denken und überlässt das anderen. Er ist dafür zwar groß und stark, aber mit seiner immer wieder auftauchenden Wut gereicht ihm das auch oft zum Nachteil. Die Geschichte wird aus Karls Sicht erzählt, so dass man genau nachfühlen kann, was gerade in ihm vorgeht und wie er sich weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung macht auch einen besonders interessanten Punkt des Buches aus. Aus einem Jungen, der nicht sehr helle ist und der sich oft prügelt, wird ein ganz anderer Mensch, dem es gelingt, sich in den Griff zu bekommen und mit seiner Wut sogar sinnvolle Dinge zu tun und nicht nur zu zerstören.
Die Illustrationen von Ralf Nievelstein geben immer wieder einen Eindruck von der Umgebung oder Dingen, die in der Geschichte auftauchen, ohne zu viel zu verraten. Ein besonderer Gag in dem Buch sind die Kapitelanfänge, in denen die Autorin in kurzen Sätzen schon einen Überblick darüber gibt, was passiert. Aber natürlich klingt das alles sehr kryptisch und der Sinn erschließt sich erst, wenn man den entsprechenden Text wirklich gelesen hat.
„Das Geheimnis des 12. Kontinents“ ist ein gelungenes Jugendbuch, auch wenn einige Dinge sehr weit hergeholt sind. Je mehr sich das Geheimnis löst, desto unglaublicher werden die Zufälle, die passieren. Aber schließlich handelt es sich hier um eine phantastische Geschichte, so kann man das getrost außer Acht lassen und einfach die Story genießen. Am Ende des Buches fragt man sich nur, warum der Titel nicht „Im Schatten der Torte“ lautet. Aber warum man sich das fragt, sollte jeder Leser selbst herausfinden.