Der 77. Grad (Autor: Bill Napier)
 
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Der 77. Grad von Bill Napier

Rezension von Christine Schlicht

 

Der britische Buchhändler und leidenschaftliche Jäger alter Karten Harry Blake wird von dem reichen Lord Sir Toby Tebbit gebeten, ein mit einem seltsamen Code verschlüsseltes, 400 Jahre altes Manuskript zu enträtseln, das angeblich von einem unbekannten entfernten Verwandten an ihn vererbt wurde. Blake nimmt das Manuskript mit und verbirgt es, doch schon kurz bevor er sich in die Entschlüsselung vertiefen kann, wird ihm ein irrsinnig hohes Angebot dafür von einer unbekannten Frau gemacht, die ihm droht, dass es unangenehm werden kann, wenn er nicht darauf eingeht. Als sein Auftraggeber ermordet wird, vermutet er, dass es mit dieser Frau und dem Manuskript zu tun hat.

 

Die Tochter des Toten bittet ihn jedoch, mit seinen Forschungen fortzufahren, auch wenn ihm nicht wohl bei der Sache ist, zumal er feststellen muss, dass in sein Haus eingebrochen wurde. Bei seinen Nachforschungen wird er erneut bedroht und man schlägt ihn nieder, er kann aber das Manuskript retten.

 

Mit der Historikerin Zola Khan entziffert er das Manuskript des Schotten James Ogilvie, eines ungewöhnlichen jungen Mannes, der zu intelligent für die Schafzüchterei ist und vom Pfarrer lesen und schreiben und noch einiges mehr lernt. Er wandert nach London um dort sein Glück zu versuchen. Wegen des Mordes in Notwehr, den er in London begeht, bleibt ihm nur die Flucht auf ein Schiff, auf dem er anheuert wie so viele andere, denen der Boden zu heiß geworden ist.

 

Es ist die Zeit von Königin Elisabeth I. 1585 organisiert Sir Walter Raleigh eine Expedition in die Karibik. Ihr Ziel: der 77. Grad, der Längengrad Gottes, den bis dahin die Spanier für sich allein beanspruchen. Was genau dort geschehen soll, wird zunächst nicht klar und Blake und Zola geraten immer tiefer in gefährliche Situationen. Und nicht nur sie, auch Debbie, die jugendliche Tochter des Lords wird mit hinein gezogen. Scheinbar wittert sie nur ein Abenteuer, doch sie hat ein ernsthaftes Interesse, die Familienchronik zu vervollständigen.

 

Immer mehr zwielichtige Personen kommen ins Spiel und Zola und Harry sind permanent auf der Flucht. Des Rätsels Lösung findet sich in dem Tagebuch. Die Expedition, die der Königin eigentlich eine Vormachtsstellung in der neuen Welt sichern sollte und somit den Protestanten, wird von Anhängern Maria Stewards unterwandert, die eine kostbare Reliquie bei sich führen: Ein Stück des wahren Kreuzes Christi. Es soll die Position des katholischen Glaubens sichern.

 

Finanziell und auch Interessehalber von einem reichen Sammler unterstützt, reisen Harry, Zola, Debbie und der undurchsichtige Dalton nach Jamaica, von wo das Tagebuchursprünglich kam. Auf der Suche nach Hinweisen auf Debbies Vorfahren finden sie ein weiteres Tagebuch. Doch ihre Verfolger sind schneller. Unter der Drohung, das Debbie und Zola ermordet werden, muss Harry auch dieses Buch möglichst schnell entziffern, um das Versteck der Reliquie zu finden. Ein Wettlauf mit der Zeit...

 

 

Was ist an diesem Buch eigentlich Mystery? Es ist ein Thriller, das auf jeden Fall, der auf einem Geheimnis aus alten Zeiten beruht und wieder einmal den armen John Dee, die Kalenderumstellung dieser Zeit, Verschwörungen und Geheimbünde, die fehlende Möglichkeit, die Längengrade zu bestimmen, da es an zuverlässigen Uhren mangelt und die Hintergründe der Expeditionen Walter Raleighs nach Amerika ausschlachtet, die nach der vorherrschenden Meinung verborgenen Zwecken dienten.

 

Es ist auf jeden Fall ein gut recherchiertes Buch, doch die ganzen Verschwörungstheorien hat man in anderen Werken schon deutlich stilvoller beschrieben bekommen, wenn auch meist mit anderen Ergebnissen. Hier dienen sie eigentlich nur dazu, die Handlung, die Jagd nach der Reliquie und das Aufspüren selbiger überhaupt möglich zu machen. Mysteriös ist daran nichts.

 

 

Das soll nicht heißen, dass dieses Buch langweilig sei. Im Gegenteil, es ist ziemlich atemlos, wenn es um die drei Möchtegern-Schatzsucher geht. Harry Blake ist normalerweise mehr der Jäger verlorener (oder besser: Verstaubter) Schätze, die in irgendwelchen Läden in vergessenen Truhen auf ihn als Finder warten. Allerdings eher ein erfolgloser Schatzsucher. Debbie ist ein neugieriger und abenteuerlustiger Teenie und Zola Khan die Wissenschaftlerin, die sich gern als Vamp gibt. Oder nicht? Jeder Leser wird sie anders betrachten, denn die Charaktere bleiben leider ziemlich flach und sind zum Teil ziemlich archetypisch. Besonders die „Bösewichter“, die wirklich ziemlich einseitig sind, sowohl von der Handlungs- als auch von der Denkweise. Erinnert ein bisschen an die schlechteren Bond-Filme. Sie verfolgen stur ihren Weg und dieser wird von Leichen gepflastert.

 

Die Zwischenhandlung, das Tagebuch des James Ogilvie, ist da eine rechte Erholung. Diese historische Erzählung ist recht kurzweilig und gibt einen recht guten, scheinbar sauber recherchierten Einblick in die Lebensumstände jener Zeit und die politischen Verwicklungen, auch wenn die Figur des Ogilvie selbst ein wenig unglaubwürdig ist. Es ist in dieser Zeit, selbst wenn der junge Mann tatsächlich nichts anderes getan hätte, als dem geheimnisvollen Pfarrer Dinwoodie zu lauschen, irgendwie nur schwer vorstellbar, dass der Sohn eines Schafhirten so viel Wissen in sich aufnehmen kann und sich noch als Halbwüchsiger auf den Weg nach London macht, den Kopf voll mit Formeln, geheimem Wissen und den Werken der alten Griechen.

 

Was völlig fehlt, sind diese Dinge, die „Mystery“ wohl im allgemeinen Verständnis ausmachen: Unerklärliche Vorgänge oder gar Wunder. Unerklärlich ist in dieser Geschichte gar nichts. Es ist ein Thriller, mit allem, was dazu gehört, Schießereien, unerschrockene Helden, Heimlichtuerei, reiche Mäzene und Verfolgungsjagden inbegriffen. Aber nichts Mysteriöses außer den Dingen, die wohl nie wirklich nachvollzogen werden können, wie das Leben des John Dee. Wo auch immer er begraben liegt, seine Ruhestätte dürfte deutliche Anzeichen eines Rotationsmodus aufweisen.

 

Nichts desto Trotz eine unterhaltsame, fesselnde und spannende Urlaubslektüre, wenn wegen Hitze und Bikinis rundherum gehobene Literatur nicht in den Kopf geht. Ein „Pageturner, bei dem man sich die Finger wundblättert“, wie es in der Edinburgh Times laut Klappentext stand, ist es aber eher nur für Genre-Fans. Man kann gut auch mal zwischendrin aufhören und in den Pool springen.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240427014036db9c35dd
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Der 77. Grad

Autor: Bill Napier

Broschiert: 412 Seiten

Verlag: Droemer/Knaur (Juli 2007)

ISBN-10: 3426633345

ISBN-13: 978-3426633342

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 29.07.2007, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 4590