Der amerikanische Ritter (Autor: Tod Wodicka)
 
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Der amerikanische Ritter von Tod Wodicka

Rezension von Ingo Gatzer

 

“Der amerikanische Ritter“ ist das Romandebüt des amerikanischen Autors Tod Wodicka, der ein echter Weltenbummler zu sein scheint: Geboren in New York, Studium in Manchester, jetziger Wohnort: Berlin. Eine ähnliche Reise unternimmt auch seine Hauptfigur, der 63-jährige New Yorker Burt Hecker, welcher eine besondere Leidenschaft für das Mittelalter hegt. Diese geht soweit, dass er auch alltags in einer Kutte herumläuft und Dinge wie Kaffee oder Kartoffeln meidet, weil sie NEE - nicht der Epoche (des Mittelalters) entsprechend - sind. Das hindert den bekennenden Liebhaber von selbst hergestellten Met aber nicht daran, in betrunkenem Zustand ein Auto zu stehlen. Da Burt noch nicht einmal im nüchternen Zustand in der Lage ist, ein Auto zu fahren, ist der Unfall vorprogrammiert. Dem Missetäter wird eine Aggressionstherapie verordnet. Seinen Vorlieben entsprechend entscheidet er sich an einem Workshop für mittelalterliche Musik teilzunehmen. Eine Exkursion der Gruppe nach Deutschland zur Wirkungsstätte der Mystikerin Hildegard von Bingen nutzt der Mittelalterliebhaber zu einem Abstecher nach Prag, um zu versuchen, sich mit seinem dort lebenden Sohn Tristan zu versöhnen. Der hatte ihn nach dem Tod von Burts Frau im Streit ebenso wie seine Tochter June verlassen. Am Ende kommt es zur Konfrontation zwischen Burt, Tristan, June und seiner verhassten Schwiegermutter Anna.

 

Eine Stärke des Romans von Tod Wodicka liegt in der Darstellung seines Protagonisten und Ich-Erzählers Burt Hecker, der sich eskapistisch in die Rolle seines mittelalterlichen Alter Egos Eckbert Attquiet flüchtet. Er flieht in die Geschichte um seiner persönlichen Geschichte zu entkommen. Bald wird deutlich, dass nicht nur Kaffee und Kartoffeln NEE sind, sondern auch Burt selbst. Das gilt erst recht, wenn er durch den Verlust seiner Familie den einzigen Halt im Mittelalter findet, der ihm zudem Trost durch Alkohol bietet.

 

Diese Tragik lässt der Autor mit einer gewissen Komik kontrastieren, die durch Burts teilweise mittelalterlich geprägte Sichtweise und seine ironischen Betrachtungen herrühren. Gerade hier finden sich die gelungensten sprachlichen Sequenzen von Tod Wodicka, etwa wenn er seinen Protagonisten denken lässt, die Frankfurter Skyline sei wie New York City „wären ihr acht Zehntel ihrer Zähne ausgeschlagen worden“ oder wenn Burt durch eine verarztete aber blutende Kopfwunde wie ein japanischer Kamikaze-Pilot aussieht. An diesen Stellen zeigt sich das schriftstellerische Talent des 31-jährigen Autors.

 

Durch eine nicht-lineare Erzählstruktur gelingt es Wodicka dem Plot zumindest anfangs eine gewisse Dynamik zu verleihen. So erfährt der Leser erst nach und nach wie und warum es zur Trennung zwischen Burt und seinen Kindern gekommen ist. Kapitel für Kapitel lernt er den innerlich zerrissenen Protagonisten mehr zu begreifen.

 

Leider verliert der Roman gerade im zweiten Teil an Fahrt. Statt dem Nebeneinander von Burts Geschichte und seiner Gegenwart dominieren zu sehr die Erinnerungen an die Vergangenheit. Ist es zunächst noch spannend den Charakter des Hauptprotagonisten immer deutlicher enthüllt zu bekommen, langweilt der Autor seine Leser im zweiten Teil leider manchmal durch Redundanzen und Wiederholungen. Manches wäre besser für den aufmerksamen Leser angedeutet als wiederkäut worden. Beispiel gefällig?

“´Du bist wirklich so unglaublich spießig, dass du schon wieder cool bist, wusstest du das?` Auf der einen Seite war cool, auf der anderen Seite war eindeutig uncool. Ich war auf der eindeutig uncoolen Seite, aber so weit, dass ich schon wieder den Bogenschlag auf die coole Seite geschafft hatte.“

Manchmal ist weniger mehr. Auch das recht abrupte Ende kann nicht ganz überzeugen, obwohl einige Elemente zu gefallen wissen.

 

Die Übertragung von Anke Caroline Burger aus dem Amerikanischen kann insgesamt als gelungen bezeichnet werden. Nur ganz selten verwendet die Gewinnerin des Christoph-Maria-Wieland-Preises für herausragende Übersetzungen von 2003 einmal ein nicht ganz passendes Wort, etwa wenn sie einmal statt des korrekten Adjektivs “unzurechnungsfähig“ den Begriff “unzurechenbar“ verwendet. Kritisieren kann man allerdings die sehr freie Übersetzung des Originaltitels “All Shall Be Well; And All Shall Be Well, And All Manner of Things Shall Be Well“ mit “Der amerikanische Ritter“. Es ist zu vermuten, dass der Verlag hier einen prägnanten, griffigen Titel gewünscht hat. Dabei wurde aber übersehen, dass Tod Wodicka mit seinem, von der englischen Mystikerin Juliana von Norwich entlehntem Titel, dem Buch viel mehr gerecht wird, zumal auch Burt Heckers Alter Ego kein Ritter, sondern einen Kellerer darstellt. Auch das Originalcover, auf dem der Titel wie ein mittelalterlicher Text auf Pergament präsentiert wird, wirkt passender als die von Klett-Cotta gewählte Nah-Aufnahme einer römischen Tunika.

 

Der ganz große Wurf ist das Erstlingswerk von Tod Wodicka nicht geworden. Dafür wird dem Leser gerade in der zweiten Hälfte des Buches zu wenig Neues, Spannendes oder Mitreißendes geboten. Der vielschichtige Doppelcharakter Hecker/Attquiet ist zwar interessant entworfen und dargestellt, kann aber nicht den ganzen Roman tragen. So bleibt “Der amerikanische Ritter“ ein nur partiell überzeugendes Debüt, das besonders bei der Darstellung des exzentrischen Hauptprotagonisten und durch Wodickas immer wieder aufblitzendes sprachliches Talent - das für die Zukunft sicherlich einiges verheißt, wenn der Autor lernt, wann er sich etwas stärker zurücknehmen muss - gefällt. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202403272115208e1a5b8c
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Der amerikanische Ritter

Autor: Tod Wodicka

Originaltitel: All Shall Be Well; And All Shall Be Well, And All Manner of Things Shall Be Well

Übersetzerin: Anke Caroline Burger

Erscheinungsdatum: März 2009

Verlag: Klett-Cotta

Art: gebundene Ausgabe

Seitenzahl: 298

ISBN-10: 3608936084

ISBN-13: 978-3608936087

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 22.04.2009, zuletzt aktualisiert: 27.02.2024 17:30, 8616