Der Blitztrust von Siegfrid von Lutz
Rezension von Ramona Schroller
Klappentext:
„Tadellose Gewitter auf Bestellung zu haben, innerhalb kürzester
Frist! Würde sich das in Reklamen und Annoncen nicht allerliebst
ausnehmen?"
So der aberwitzige Plan des Multimillionärs Calvert, ein Monopol auf
die Elektrizität zu erzwingen und damit die Welt zu erpressen. Doch
ein russischer Anarchistenbund will den Erfinder des Blitztrusts, Graf
Markowitsch, liquidieren - und hier betritt der Meisterdetektiv
Sherlock Holmes die Bühne und ein absurdes Tohuwabohu grotseker
Ereignisse in London und St. Petersburg beginnt.
Ein verschollenes Juwel der wilhelminischen Unterhaltungliteratur.
Inhalt:
Der Mulitmillionär Calvert hat einen Plan: Er will alle Elektrizität
der Welt an einem Punkt des Planeten bündeln und somit sein ohnehin
nicht geringes Vermögen noch erweitern. Ihm zu Hilfe ist der Russe
Graf Markowitsch, der den „Blitztrust", so die Bezeichnung des ganzen
Unternehmens, gegründet hat.
Doch dann geht schief, was nur schief gehen kann und eine
Anarchistengruppe junger Exilrussen nimmt den Grafen aufs Korn. Er
soll liquidiert werden, und zwar von niemand anderem als Calverts Sohn
Ronald!
Rezension:
Sherlock Holmes, die Urgestalt des Detektivs, war nicht nur im
heimatlichen England der Renner seiner Zeit. Auch in Deutschland hatte
er schon früh Anhänger und Fans. So tut es denn auch nicht Wunder,
wenn sich auch deutschsprachige Autoren finden, die seine Abenteuer
aufzeichneten, mal mit, mal ohne Conan Doyles Zustimmung.
Siegfried von Lutz gehört zu denen, die dem Urkanon (so die
Bezeichnung der Geschichten aus Conan Doyles Feder von Fans) noch das
eine oder andere hinzufügten. Manchmal ohne große stilistische und
erzählerische Brüche, manchmal allerdings auch mit denselben. Manch
einer dieser Autoren hatte nicht wirklich den Mut, sich Conan Doyles
Erzählstil anzueignen und ließen, entgegen den Originalgeschichten,
den Meisterdetektiv in der dritten Person agieren, ohne seine
„Ich-Stimme" Doktor Watson.
„Der Blitztrust" ist ein solcher Fall. Siegfried von Lutz scheint sich
auch nicht allzusehr mit den Aufzeichnungen des Holmes'-Erfinders
Conan Doyle ausgekannt zu haben, denn er verpaßt dem Detektiv eine
Ehefrau, die es aber, so im Kanon eigentlich durchgängig beschrieben,
nie gegeben hat.
Zu seiner Ehrenrettung sollte auch erwähnt werden, das von Lutz seinen
Sherlock Holmes „nur" als Nebenfigur auftreten läßt, um die Geschichte
des Blitztrusts noch etwas breiter anzulegen. Sein eigentliches
Anliegen, eben die phantastische Geschichte der E-Diebe, gibt den
Rahmen und zieht sich durch das ganze, schmale Büchlein, während
Holmes nur im Mittelteil der Erzählung auftritt, seinen Fall löst und
sang- und klanglos wieder abzieht.
Wirklich witzig dagegen die Figur Vere de Montin, ein Freund des
Vermißten jungen Ronald Calvert. Dieser junge Mann bildet sich ein, es
besser als der Meisterdetektiv mit seiner nicht gerade geringen
Erfahrung machen zu können. Ja, er verfolgt Holmes sogar, weil er ihn
für jemand anderen hält - einen Heiratsschwindler, um genau zu sein.
De Montin ist so herrlich naiv gezeichnet, daß es einfach Spaß macht,
über ihn zu lesen.
Phantastisch auf jeden Fall ist die Geschichte des Blitztrusts. Heute
zeigt die Physik, daß etwas, wie Calvert und seine Mitstreiter es sich
ausgeheckt haben, nicht möglich ist. Man kann die Elektrizität
schlicht und ergreifend nicht aus den Leitungen ziehen und irgendwo
bündeln und einlagern, sonst hätten wir heute sicher nicht das Problem
mit der Energie.
Faszinierend dagegen ist, wie die damaligen Autoren dachten und sich
einen interessanten Aufhänger erdachten und ihre Geschichte darauf
aufbauten. Phantastisch, wahrlich! Und diese Haupthandlung zu lesen
macht wirklich Spaß und läßt moderne Leser schmunzeln. Gleichzeitig
aber stellt man sich auch die Frage, was in rund einhundert Jahren die
Leser schmunzeln lassen wird, wenn wieder neue Erkenntnisse heutige
Theorien und Phantasmen über Bord geworfen haben.
Alles in allem bleibt ein amüsanter, wenn auch sehr kurzer Lesegenuß
aus einer Zeit, die eigentlich noch gar nicht so weit zurückliegt. Für
Holmes-Fans, die ihrer Sammlung auch kurioses zumuten möchten,
durchaus geeignet.