Reihe: Sherlock Holmes 51
Hörspiel
Rezension von Oliver Kotowski
Rezension:
Dr. Watson stößt auf dem Rückweg zur Baker Street auf der Treppe mit einem heruntergekommen wirkenden älteren Herrn zusammen, der sich vage unhöflich – oder sehr zerstreut – verhält. Wohl ein neuer Klient, denkt sich Watson. In der Tat. Doch üblicherweise muntern neue Fälle den Meisterdetektiv Sherlock Holmes auf – heute wirkt er eher niedergeschlagen. Der neue Klient heißt Josiah Amberley und ist, wie es scheint, ein ziemlicher Pechvogel: Als Farbenhändler war er zu einigem Wohlstand gekommen, sodass er sich mit einundsechzig zur Ruhe setzen konnte, um seinen Lebensabend in einem schönen Landhaus zu genießen. Dazu fand er auch noch eine zwanzig Jahre jüngere, adrette Frau, die er heiratete. Das klänge doch alles sehr schön, wirft Watson ein. Ja, aber: Die Gattin entpuppte sich als treulos – sie beging eine Affäre mit dem Hausfreund Dr. Ernest. Und damit nicht genug: Vor kurzem brannten die beiden anscheinend mit dem Geld des gehörnten Gatten durch – er ist, sozusagen, ruiniert. Die Polizei hat den Fall schon abgeschrieben. Holmes bittet Dr. Watson, sich einmal das Haus Amberleys anzusehen, da er selbst noch mit dem Fall der koptischen Patriarchen befasst ist. Watson willigt ein und findet, dass das Haus in einem überraschend verwahrlosten Zustand ist – gerade zu verlottert. Überall liegen offene Farbdosen herum. Der Hausherr, ein eher unhöflicher Zeitgenosse, ist indes damit beschäftigt, das Haus neu zu streichen – angefangen beim Tatort, dem Saferaum. Seltsam, wie auch Holmes befinden wird. Außerdem wird der gute Doktor auf dem Heimweg von einem Unbekannten beschattet – sehr seltsam.
Ein Fall nach dem großen Jubiläum. Zunächst scheint alles altbekannt, wenn auch etwas kleinkariert: Einem Rentner, der zu etwas Geld gekommen war, ist die deutlich jüngere Frau mit dem deutlich jüngeren Hausfreund davongelaufen, wobei sie große Teile des Geldes mitgehen ließ. Holmes soll nun – ganz wie ein kleiner Versicherungsdetektiv – das Geld zurückholen. Holmes lässt sich breitschlagen, weil der arme Alte ihn dauert – eine Herausforderung scheint der Fall nicht zu sein, große Hoffnung auf Lösung macht man sich allerdings auch nicht. Bald aber wird nicht nur der betrogene Ehemann immer unangenehmer, es wird auch klar, dass irgendetwas an der Angelegenheit nicht koscher ist.
Der Fall hält genau das richtige Maß: Einige Entwicklungen errät man leicht, andere werden mit hübscher Überraschung aufgelöst – wer ist der Fremde, der Dr. Watson beschattet? Neben den Rätseln gibt es einige humorige Momente, die zum Teil auf den charmanten Witzeleien des Duos beruhen, zum Teil sich aus Holmes maßloser Arroganz und seinem gönnerhaften Gehabe, die er gegenüber anderen zutage legt, speisen. Beide deuten darauf hin, dass Holmes ein Rüpel ist, weil er fehlende Aufmerksamkeit fürchtet.
Auch beim Plotfluss wurde genau das richtige Maß getroffen: Es geht zügig voran, ohne dass dabei das Gefühl einer gewissen behaglichen Gemütlichkeit verloren geht, das doch so enorm wichtig für das Wesen der maritimschen Holmes-Reihe ist.
Wie üblich für die Reihe ist die Sprecherriege eher klein – dieses Mal werden sieben Sprecher aufgezählt. Die beiden Hauptrollen Holmes und Watson werden wie immer von ihren Stammsprechern Christian Rode und Peter Groeger gesprochen; sie machen ihre Arbeit routiniert gut, wie eh und je. Daneben gibt es noch drei etwas wichtigere Rollen. Zunächst ist da der unhöfliche Auftraggeber Amberley; der schon stimmlich ungehobelte Alte wird von Stephan Schwartz gesprochen. Schwartz ist seit den Fünfzigern immer wieder im deutschen Fernsehen zu sehen gewesen, zuletzt in Rosamunde Pilcher – Traum eines Sommers, oder als Stimme z. B. Andy Garcias zu hören gewesen. Auch in der Hörspielszene ist er kein Neuling: Detektei Bates und Gordon Black sind zwei der Reihen, zu denen er regelmäßig etwas beiträgt. Dann ist da noch der geheimnisvolle Fremde, ein jüngerer Mann, der auf den Namen Bartholomew Barker hört. Ihn spricht ein Schauspielerkollege von Schwartz: Peter Buchholz. Man konnte ihn z. B. 2002 in Großstadtrevier sehen und gelegentlich als Jeff Goldblums deutsche Stimmer hören. In puncto Hörspiel tritt er vor allem in Maritim- und Europa-Produktionen auf – H. G. Francis Gruselserie und Die drei ??? gehören zu seinen bekannten Reihen. Bleibt noch der Vikar J. C. Elman zu erwähnen; der wird von Reent Reins gesprochen, der gerade in der fünfzigsten Folge als Sir Robert Norberton zu hören war.
Die Performanz der Sprecherriege ist gut, auch wenn es für die Sprecher keine Gelegenheit zum Glänzen gibt, gibt es für mich keinen Anlass zum Kritisieren.
An der Inszenierung hat sich herzlich wenig geändert, und das ist generell auch in Ordnung. Sie ist gemäßigt modern mit Watson als Erzähler. Es gibt einen Klangteppich im Hintergrund der Spielszenen; leider ist mir die Geräuschkulisse etwas zu leise und etwas zu unspezifisch – in der Baker Street hört man stets ein leises Stimmrauschen und ein Stühleknarzen, das an ein im Hafen dümpelndes Segelschiff erinnert. Die verjazzten Musiken gemahnen an klassische Krimis und werden zur Szenenüberleitung verwendet. Insgesamt war die Inszenierung der Folge fünfzig etwas gelungener.
Fazit:
Der Ruheständler Amberley wurde von seiner Frau verlassen und bestohlen – der Mann ist ruiniert. Kann Holmes helfen? Der Farbenhändler im Ruhestand ist eine schöne Folge: Der Fall ist rätselhaft genug, bietet einige Nebenbezüge, die sowohl amüsant als auch in Hinsicht auf Holmes Charakter interessant sind; es geht bei aller Gemütlichkeit recht flott voran, nur an der Treffsicherheit der Geräuschkulisse lässt sich noch gut feilen. Kurzum: Der Fall wäre meines Erachtens die bessere Jubiläumsfolge gewesen, als es Shoscombe Old Place war.