Der Glöckner von Notre-Dame (Autor: Victor Hugo)
 
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Der Glöckner von Notre-Dame von Victor Hugo

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Der Glöckner Quasimodo, unansehnlich, bucklig und einäugig, aber unendlich gutherzig, verliebt sich in die schöne Zigeunerin Esmeralda. Doch nicht nur sein Aussehen, sondern auch die beiden Widersacher, sein düsterer Herr Claude Frollo und der Hauptmann Phöbus, stehen dieser Liebe im Weg. Zahlreiche, kunstvoll verknüpfte Nebenhandlungen und -figuren, pittoreske Schauplätze, Kunst und Kultur im Umkreis der mächtigen Kathedrale fügen sich zu einem beeindruckenden Panorama mittelalterlichen Lebens in Paris.

 

Rezension:

Die Franzosen sind in der Verehrung ihrer Nationaldichter emotionaler und vielleicht auch nachhaltiger als wir Deutschen. Victor Hugo schrieb sich mit nur wenigen Werken in die Herzen der Grande Nation und auch wenn wir heute im wesentlichen ein von Filmen geprägtes Bild des Glöckners von Notre-Dame vor Augen haben, gibt es nur wenige, denen die Geschichte von Esmeralda und Quasimodo unbekannt ist.

Wer das Buch liest, wird zunächst feststellen, wie weit entfernt der in den Kultur Kanon übernommene Storybogen von der ursprünglichen Geschichte entfernt ist. Dabei ist nicht zuletzt der Wunsch nach einem positiven Ausgang der Geschichte ein Zeichen für die Wertschätzung der Figuren, für die große emotionale Bindung, die Hugos Roman vermittelt. Wahrscheinlich hätte es das Buch nicht in die Herzen der Menschen geschafft, wenn am Ende tatsächlich alle heil und glücklich davon gekommen wären. Gerade das große tragische Ende aber setzt sich fest, gibt dem Geschehen eine Schwere, die den Grundstein legte für die heutige Rezeption. So wie Quasimodo als Synonym für das verkannte Wesen unter hässlicher Schale und Esmeralda als Opfer einer intoleranten Gesellschaft gilt, verdanken sie es der Tiefe, mit der Hugo ihr Schicksal besiegelt,dass aus ihnen keine schnell vergessenen romantischen Figuren wurden, wie sie.

 

Dabei handelt der Roman von mehr als nur dem verkrüppelten Glöckner und der schönen Tänzerin. Hugo stellte die Kathedrale Notre-Dame in das Zentrum seines Mittelalterromanes. Als er mit den Arbeiten an dem Roman begann stand die Kirche mitten in einem Zerfallsprozess. Niemanden schien es zu stören, dass das kulturelle Erbe durch Leichtsinn und Achtlosigkeit verfiel. Gegen diese Katastrophe schrieb Hugo an. In einem Schlüsselkapitel, dass wegen Honorarstreitigkeiten erst in einer späteren Ausgabe des Buches erschien und das Hugo »Dieses wird jenes töten« betitelte, schlägt er einen weiten Bogen der Kunstgeschichte um aufzuzeigen, wie sehr die Architektur zur Sprache der Menschheit gehört, dass vor dem Buchdruck nur über die Baukunst Ideen und Gedanken versinnbildlicht wurden in einer Sprache, die jeder zu verstehen mochte. Und ganz besonders Notre-Dame muss als beredtes Zeugnis der Franzosen gelten. Erst durch den Buchdruck gaben sich die Menschen ein anderes Werkzeug sich auszudrücken und für andere zu konservieren. In Hugos Augen verlor die moderne Architektur den Anspruch, zu berichten, zu erzählen. Dieser Vorwurf zieht sich durch den gesamten Roman, immer wieder weist er auf den Zeichenverlust hin, der das Auslöschen mittelalterlicher Baudenkmäler aus dem Antlitz der Stadt mit sich bringt. Ersetzt durch nichtssagende und lächerliche Häuser. Eine Kritik, die in ihrem Kern auch heute noch gilt, da Architekten sich mehr um ihren Ruf kümmern und grauer Beton als Heiligtum gilt.

Diese Modernität ist auf einen Kunstgriff zurückzuführen, den Klaus-Peter Walter in seinem Nachwort erläutert. Hugo weist den Leser beständig darauf hin, einen Roman über die Zeit 1482 zu lesen. Es gibt Reflexionen mit der Moderne, also Hugos Frankreich des Jahres 1830. Der Leser kann sich nicht einfach so im Mittelalter verlieren, sondern wird gezwungen, Bezug zu nehmen zu seiner eigenen Zeit. dadurch wird die große Schwelle deutlich, die das Ende des Mittelalters bildet. Das betrifft sowohl die Gesellschaft mit ihren radikalen Strafen und Regeln, als auch die Kunst, die durch den Buchdruck deutlicher verändert werden wird, als alles vorhergehende vermochte.

Darum auch endet der Roman so schrecklich. Der Gegensatz muss so deutlich sein, damit man nicht nur erkennt, wie weit der Fortschritt uns vom Mittelalter trennt, aber auch die eigentlich simpel gestrickten Motive, die zu Esmeraldas Hinrichtung führen, sind weiterhin vorhanden. Es sind letztlich nur Kleinigkeiten, die über Tod und Leben entscheiden.

Wobei diese Entscheidung ebenfalls Thema des Romans ist. Nicht umsonst beginnt er mit dem gewichtigen Wort Verhängnis. Dem schicksalhaften Zwang der Ereignisse, aus dem sich die Figuren nicht zu lösen vermögen. Das Leben von Esmeralda ist fremdbestimmt. Zu keiner Zeit kann sie dem Verhängnis ausweichen, dass ihr durch Claude Frollo, Ludwig XI oder Gringoire bereitet wird. Das Unausweichliche ist dabei nicht nur eine Melange aus den verschiedenen Motiven und der sprichwörtlichen Enge des Mittelalters. Hugo zeigt, dass jede seiner Figuren in ein Korsett gezwängt ist, dass ihm nur wenig Spielraum lässt. Schaut man sich etwa den zentralen Konflikt Frollos an, der seine Leidenschaft und sexuellen Bedürfnisse unterdrücken, ja sogar bekämpfen muss, weil er sie als falsch und zerstörerisch einstuft, einfach weil es dem Verhaltenscodex seiner und durchaus auch noch Hugos Zeit entspricht. Frollo ist aber nicht der keusche und tiefgläubige Kirchenmann. Längst hat er die Grenzen des religiösen Wissens verlassen, da er mehr will, neue Erkenntnisse sammeln will. Er wendet sich der Alchemie zu, die letztendlich zu den Böden gehört aus denen sich die modernen Wissenschaften entwickelten. Dieser Drang nach Wissen hat ihn bereits der Kirche entfremdet, sein Wunsch, sich seinen Trieben hingeben zu können, kratzt nun auch an den moralischen Werten.

Zwar erwidert Esmeralda seine Liebe nicht, aber allein schon, sich dazu zu bekennen, wird für Frollo zu einer enormen persönlichen Leistung, die ihm viel abverlangt und die er nicht vollständig verkraftet.

Es ist nicht möglich, Hugos Figuren auf wenige Eigenschaften zu reduzieren. Selbst der nur kurz auftretende Monarch entwickelt eine tiefe Wirkung, da er in wenigen Kapiteln sowohl als Staatsmann, als auch als Mensch mit Fehlern und Vorlieben dargestellt wird, der ebenfals mit den äußeren Bedingungen nur soweit interagieren kann, wie es sehr enge Grenzen ihm gestatten.

Und über allem steht die gewaltige Masse der Kathedrale mit ihrer Seele Quasimodo. Sie dient nicht nur als Schauplatz sondern auch als Verbindung zwischen den Figuren und ihrer Welt und darüber hinaus auch mit uns, die wir heute nach Paris kommen und in der Galerie nach dem Echo suchen, dass Hugos unsterbliche Figuren dort zurückgelassen haben.

 

Fazit:

Der dtv spendiert dem Leser mit der vollständigen Ausgabe des »Glöckners von Norte-Dame« eine literarische Kostbarkeit, deren Lektüre sich selbst dann lohnt, wenn man meint, durch die Filme bestens über die Handlung bescheid zu wissen. Denn Victor Hugo schrieb mehr als ein Liebesdrama. Dieser Roman ist eine ganze Welt.

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Buch:

Der Glöckner von Notre-Dame

Original: Notre-Dame de Paris, 1831

Autor: Victor Hugo

Übersetzer: Friedrich Bremer und Michaela Meßner

Nachwort: Klaus-Peter Walter

Titelbild: Auguste Steuben

dtv, Oktober 2009 (1994)

Taschenbuch, 618 Seiten

 

ISBN-10: 3423137673

ISBN-13: 978-3423137676

 

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 05.02.2010, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 9982