Der Sandmann von Ernst Th. A. Hoffmann
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
Die faszinierende Erzählung von 1816 vom Studenten Nathanel, dessen Begegnung mit dem Wetterglashändler Coppola traumatische Kindheitserinnerungen weckt, besticht durch einen facettenreichen Handlungsstrang und einen unerschöpflichen Motivreichtum.
Rezension:
Die phantastischen Geschichten von Ernst Theodor Amadeus Hoffmann sind heutzutage eher im Zusammenhang mit Jacques Offenbachs Oper ein Begriff. Auch Der Sandmann ist in Hoffmanns Erzählungen zu finden. Gemeinhin wird Hoffmann den Spätromantikern zugeschrieben und „Der Sandmann“ als Kunstmärchen gesehen.
Dieser germanistische Ansatz kann dem Phantastik-Fan egal sein. Eines der zentralen Motive ist eine Roboterfrau, ein künstlicher Mensch, in den sich die Hauptfigur Nathanel verliebt. Zwar wird nicht ganz klar, inwieweit die Geschichte in all ihren Konsequenzen eine Beschreibung der Realität ist, aber die erschreckende Passion für ein künstliches Geschöpf ist ein typisches Element der Phantastik. Im Nachwort, dessen Autor leider nicht genannt wird, gibt es zudem noch psychologische Interpretationen, für die es auch tatsächlich gute Argumente gibt.
Etwa die Fixierung Nathanels auf Augen, die nicht nur ein Spiegel unserer selbst darstellen , sondern sogar als Tor zu Seele den Weg in das Ich bilden. Wenn auch die Argumentation im Nachwort etwas verworren und selbstverliebt bleibt, eröffnet sie einige Pfade in die Rezeption der Erzählung.
Unter modernen Gesichtspunkten liest man schnell ein frühkindliches Trauma in die Angst vor dem Sandmann hinein. Die wilde Mischung aus Ammenmärchen und Alchemie-Umgebung legen sich kräftig auf das kindliche Gemüt, kein Wunder also, dass sich der Geist verwirrt. Oder ist es gar kein Hirngespenst? Wird Nathanel Opfer eines perfiden Gauners, der ihn mit technischen oder magischen Tricks vernichten will?
So erstaunlich zeitlos sich die Erzählung gibt, so bedrückend ist ihre Stimmung. Ein Verzweifeln an der Welt, die hoffnungslose Folgerichtigkeit des Dramas lassen auch heute noch keinen Leser kalt, selbst wenn man unter Sandmann inzwischen etwas anderes versteht.
Die Edition folgt der Erstausgabe von 1817 und ist um Anhänge zur Werksgeschichte und interessanten Anmerkungen ergänzt worden. Vielleicht hätte man alle Nachtstücke entsprechend zusammen neu herausgeben sollen.
Fazit:
Eine klassische phantastische Erzählung, die ihren dunklen Reiz durchaus in die Moderne zu tragen vermag.