Der Scardeen-Krieg - DUST Bd.3
Reihe: DUST
Martin Kay, Alessandra Mancinelli, Thomas Folgmann & Norbert Seufert
A5 Paperback, ca. 220 Seiten Umfang,
Titelbild: Rick F. van Koert,
Atlantis-Verlag
ISBN 3-936742-45-6
Erhältlich bei: Atlantis-Verlag
Band 3 beinhaltet die "Dust"-Hefte 8 bis 10 in überarbeiteter Form, ein Vorwort des Autors sowie ein umfangreiches Glossar aus dem DUST-Universum.
Disclaimer:
Freigabe zur Weiterveröffentlichung der Leseprobe besteht, soweit vom Autor nicht anders angegeben nur für "FantasyGuide.de". Für alle weiteren Veröffentlichungen ist die schriftliche Zusage des Autors erforderlich.
Leseprobe:
Die beiden Toten auf der Titelseite der Washington Post gingen auf sein Konto. Er legte es als Notwehr aus. Jeder Richter des Landes würde ihm dafür einen Mord anhängen. Nicht nur in diesem, sondern auch in etwa siebenundzwanzig anderen Fällen allein im letzten Jahr.
Harry Thorne schlug den Innenteil der Zeitung auf und überflog kurz den Artikel über die beiden getöteten Mitarbeiter des Außenwirtschaftsministeriums. Es gab keinen Hinweis auf einen Täter oder gar Mord. Der Reporter schrieb von einem Unfall. Thorne faltete die Zeitung wieder zusammen und steckte lächelnd eine Zigarette an. Die Toten waren keine Mitarbeiter eines Ministeriums gewesen, sondern Agenten der CIA. Aber das stand natürlich, wie so vieles, nicht in der Zeitung.
Thorne lehnte sich auf der Parkbank zurück und schloss die Augen. Er genoss die letzten Sonnenstrahlen des warmen Dezembertages. Leider wurde seine Ruhe gestört. Jeder andere hätte die Schritte vielleicht nicht bemerkt, aber seine Sinne hatten sich im Laufe des letzten Jahres extrem geschärft.
»Guten Morgen, Ian«, sagte Thorne, immer noch lächelnd.
Die Schritte verstummten auf den letzten paar Metern. Thorne öffnete die Lider und blickte nach rechts. Gelangweilt zog er eine Augenbraue hoch und musterte den hochgewachsenen Mann im karierten Flanellhemd und hochgekrempelten Ärmeln. Wie üblich trug er Jeans und Cowboystiefel. Er wirkte wie jemand der hier zufällig vorbei schlenderte, einzig seine Kleidung mochte nicht so recht nach Virginia passen. Obwohl Ian keine Jacke trug, unter der er ein Schulter- oder Hüftholster hätte verbergen können, war Thorne vorsichtig genug, den anderen nicht zu unterschätzen. Er wusste, dass der Marshal bewaffnet war – wenn auch nicht unbedingt mit konventionellen Waffen, die man bei einem Bundesbeamten, der er vorgab zu sein, erwartete.
»Harry Thorne«, sagte Ian mit ausdrucksloser Miene. »Ist schon eine Weile her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«
Thorne setzte sich aufrecht hin, schürzte die Lippen und nickte. »Etwas über ein Jahr, wenn ich mich nicht irre. Sie haben mich im NSA-Gebäude in Los Angeles hängen lassen.«
»Kommen Sie, Harry, ich hatte keine andere Wahl.«
»So? Nach all den Jahren, die ich Ihnen vertraut habe, in denen wir zusammengearbeitet haben?«
Er stand auf und ging an Ian vorbei ohne ihn zu beachten. Keine zwei Sekunden darauf, war der Marshal bereits an seiner Seite. Thorne blickte sich aufmerksam im Park um. Vereinzelt kreuzten Spaziergänger und Jogger ihren Weg, doch insgesamt waren zu der frühen Stunde nicht viele Leute unterwegs. Der perfekte Ort für einen Hinterhalt – oder für einen weiteren Mord, je nachdem aus welcher Perspektive man die Sache betrachtete. Thorne war auf der Hut. Er wusste, dass er Ian nicht trauen konnte. Er hatte es schon immer gewusst, dass irgendwann der Zeitpunkt kommen mochte, an dem der Marshal sein eigenes Spiel durchzog und die Belange der NSA nicht mehr berücksichtigte. Doch Harry konnte sich einfach nicht vorstellen, dass seine Zeit bereits so früh abgelaufen sein sollte. Er konnte sich nur einen Reim darauf machen: Das Erscheinen Shadow Commands und der Außerirdischen vor über einem Jahr passte Ian und seinen Leuten alles andere als in den Kram. Sie hatten wahrscheinlich schneller handeln müssen als ursprünglich geplant.
»Und haben Sie noch Kontakte zur NSA?«, fragte Thorne.
»Machen Sie Witze?«, entgegnete Ian. »Sie waren unser Verbindungsmann. Niemand sonst weiß von unserem Aufenthalt auf diesem Planeten – und das ist auch gut so.«
»Ich habe mir schon gedacht, dass das Gefasel über den Austausch von Technologien nur ein Trick ist.«
Ian zog die Brauen hoch. »Tatsächlich?«
»Natürlich, für wie dumm halten Sie mich? Ich habe nur versucht herauszufinden, was Sie wirklich hier wollen. Früher oder später hätte ich Sie und Ihre Komplizen hochgehen lassen. Aber leider kam uns Shadow Command dazwischen und wir hatten plötzlich einen gemeinsamen Feind.«
Sie bogen vom Hauptweg auf einen schmalen Trampelpfad ab, um trotz der frühen Stunde vor neugierigen Blicken sicher zu sein. Dennoch kamen ihnen nach einigen Metern zwei knapp bekleidete Joggerinnen schwitzend und keuchend entgegen. Hätte Harry sich nicht in die Büsche gedrückt, dann wäre er glatt mit ihnen zusammengestoßen. Ein Adrenalinstoß schoss durch seinen Körper. Er wusste nicht, wer für Ian arbeitete und wer nicht, denn die Tarnung der Fremden war nahezu perfekt. Und er wollte ganz bestimmt nicht selbst zum Opfer irgendeines Killers werden. Aber die Frauen liefen weiter, und langsam entspannte er sich wieder.
»Shadow Command hat uns im letzten Jahr nicht beschäftigt«, sagte Ian und riss Harry wieder aus seinen Gedanken. »Sie waren ja dabei, als wir die leere Basis in der Mojave-Wüste gefunden haben. Anscheinend ist man mit dem erbeuteten Schlachtschiff in den tiefen Raum aufgebrochen.«
Thorne lachte rau auf. »Sie glauben, das Problem Shadow Command hätte sich erledigt? Sie haben nicht die geringste Ahnung. Im letzten Jahr habe ich mehr über diese mysteriöse Organisation herausgefunden, als mir selbst lieb ist.«
»So?«, machte Ian. »Ganz allein? Bemerkenswert.«
»Oh«, meinte Thorne. »Ich hatte schon Hilfe.« Er fingerte einen scheckkartengroßen Gegenstand aus der Jackentasche hervor und balancierte ihn zwischen seinen Fingern.
»Eine Ghostcard?«, fragte Ian verwundert. »Sie haben mir mal erzählt, es gäbe nur sehr wenige in hohen Regierungskreisen. Ich wusste nicht, dass Sie eine besitzen.«
»Ich hab sie jemandem abgenommen, der dafür keine Verwendung mehr hat«, erklärte Thorne wie beiläufig und erinnerte sich an die bildhübsche Agentin, die ihn das ganze letzte Jahr auf Trab gehalten hatte.
Eileen ... Eileen Hannigan, dachte er und sah sie wieder vor seinen Augen. Was für eine Verschwendung.
»Und was haben Sie über Shadow Command herausgefunden?«, hakte Marshal Ian nach.
Thornes Lachen wurde lauter, und er schüttelte den Kopf. »Halten Sie mich für so dämlich, Ian? Unsere Partnerschaft endete vor etwa einem Jahr oder haben Sie das vergessen?«
»Wir könnten doch noch mal von vorn anfangen«, schlug der andere vor. »Sehen Sie, wir mussten Gossett befreien. Er war der einzige lebende Beweis, dass Shadow Command überhaupt existiert.«
»Er war?«, fragte Thorne.
Ian seufzte. »Wir haben alles aus ihm herausgequetscht, was er wusste. Danach war er wertlos für uns – und ein Sicherheitsrisiko.«
Thorne empfand nicht das geringste Mitleid für den ehemaligen CIA- und Shadow-Agenten. Die NSA wäre nach seinem Verhör in Los Angeles nicht anders verfahren und hätte ihn ebenso abserviert. Thorne interessierte es auch nicht, ob Ians Leute noch mehr aus Gossett herausbekommen hatten, als er selbst. Er war sich sicher, dass er mittlerweile mehr wusste, als Gossett auch nur entfernt geahnt hatte.
»Und Hurley haben Sie sich auch geschnappt?«, fragte Thorne und beobachtete genau die Reaktion des anderen. Die Überraschung war gelungen.
»Woher wissen Sie ...?«
»Das war nicht schwer, nachdem ich einen Bericht der CIA einsehen konnte, die in Golden, Colorado nach ihm gefahndet haben. Ihr Amnesieeffekt hat bei dem Barbesitzer von Tom’s Inn nicht ganz gefruchtet, fürchte ich. Nach einem Schuss Angel Dust war er recht gesprächig und erinnerte sich an zwei U.S. Marshals, die hinter Jeremiah Hurley her waren. Was wollten Sie von dem Jungen? McLaird ist doch längst mit seinen Freunden über alle Berge.«
Ian blieb stehen. Thorne ging noch drei, vier Schritte weiter, ehe er sicher war, dass der andere ihm nicht folgte. Er stoppte ebenfalls und schaute sich nach allen Richtungen um. Sie befanden sich in einem kleinen Waldstück. Die Strahlen der Morgensonne reichten nur vereinzelt durch die Baumkronen. Keine andere Menschenseele war zu sehen. Der perfekte Ort für einen Hinterhalt.
»Jeremiah Hurley gehört zu uns«, sagte Ian langsam. Thorne entging nicht, dass der Marshal seine Finger hinter den Gürtel verschränkt hatte.
»Ein Agent?«
Ian schüttelte den Kopf. »Ein Flüchtling ... aber wir haben ihn wieder nach Hause geholt.«
»Aha«, machte Thorne, nahm einen letzten tiefen Zug von der Zigarette und schnippte sie dann in Ians Richtung. Dann zog er seine Waffe blitzartig unter dem Jackett hervor und schoss auf Ian. Die erste Kugel durchschlug seine Brust, trat an seinem Rücken wieder aus und verfing sich im Stamm eines nahen Baumes. Zwei weitere Geschosse zerfetzten seine Halsschlagader. Milchig weißer Schaum schoss in hohem Bogen aus der Wunde. Ian taumelte rückwärts und griff sich an die Kehle. Auf sein Gesicht trat ein Ausdruck von Überraschung, doch nur Bruchteile einer Sekunde später brach er in lautstarkes Gelächter aus.
Jetzt war es Thorne, der völlig erstaunt den Lauf der Waffe sinken ließ. Seine Kinnlade kippte herunter und er glaubte weder seinen Augen noch Ohren zu trauen. Ian hätte tot sein müssen. Voller Zweifel blickte Thorne auf die Pistole in seinen Händen, dann auf die Wunden, die er dem Marshal zugefügt hatte. Sie bluteten ... aber weiß und nicht rot!
»Was zum Henker ...?«
»Haben Sie geglaubt, alles über uns zu wissen?«
Das war nicht Ians Stimme. Thorne fuhr herum und sah gerade noch aus den Augenwinkeln die grünen Lichtkreise auf sich zurasen. Eine Welle von Schmerz und Übelkeit durchfuhr seinen Körper. Er sank augenblicklich in die Knie, rollte über den Rasen und ließ die Pistole fallen. Thorne wollte schreien, doch kein Ton kam über seine Lippen. Er war nicht einmal in der Lage, auch nur einen Finger krumm zu machen. Sein Körper schien vollständig gelähmt zu sein - selbst das Atmen fiel ihm schwer, und sein Herz schlug quälend langsam. Er lag reglos auf dem Pfad am Waldrand des Parks. Ian kam auf Thorne zu, beugte sich über ihn und fühlte seinen Puls. Dabei tropfte dieses merkwürdige Blut auf sein Gesicht und lief in seine Mundwinkel hinein. Thorne ekelte sich und befürchtete, sich übergeben zu müssen. Plötzlich sah Ian auf und nickte irgendjemandem außerhalb Thornes Sichtbereich zu.
Schließlich beugte sich eine weitere Person über ihn. Bei ihrem Anblick dachte er, er wäre gestorben und schon im Himmel angekommen. Denn er sah in die strahlenden Augen einer wunderschönen Frau und ihr Haar leuchtete in einem bräunlichen Goldton, da die Sonne in gerader Linie direkt hinter ihrem Kopf stand.
Doch dann tauchte ein Name in seinem Gedächtnis auf: Marshal Liz! War sie schon immer so strahlend schön gewesen?
Ian hatte sie ihm ganz am Anfang ihrer Bekanntschaft vorgestellt, lange bevor sie das erste Mal von Shadow Command gehört hatten. Er wusste, dass nur sie für Gossetts Entführung aus dem NSA-Gebäude vor einem Jahr verantwortlich sein konnte, und plötzlich fand er sie nicht mehr anziehend.
Zwei weitere Gestalten näherten sich. Wenn er gekonnt hätte, hätte Harry Thorne in diesem Moment laut aufgestöhnt: Es handelte sich um die beiden Joggerinnen, die ihnen entgegen gelaufen waren. Also gehörten sie auch zu Ians Leuten.
»Sie hätten nicht zurückkommen sollen, Harry«, sagte der Marshal. »Jetzt bleibt mir nichts anderes übrig, als Sie zu Gossett zu bringen. Oh, ich weiß, dass Sie mir nicht antworten können, aber glauben Sie mir, ich an Ihrer Stelle wäre jetzt lieber tot.«