Die Bibel-Verschwörung (Autorin: Julia Navarro)
 
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Die Bibel-Verschwörung von Julia Navarro

Rezension von Michel Bernhardt

 

Jedem seine Verschwörung! Wer steckte wirklich hinter dem Attentat auf John. F. Kennedy? Waren die Amerikaner am 20. Juli 1969 wirklich auf dem Mond oder hatten Richard Nixon und Stanley Kubrick der Weltöffentlichkeit hier einen Bären aufgebunden? Was geschah wirklich in der berüchtigten Area 51? Und wer steckte in Wahrheit hinter den Anschlägen aufs World Trade Center im September 2001? Seit einiger Zeit beschäftigt eine weitere Frage – wenn auch ursprünglich literarischer Provenienz – Millionen Gemüter weltweit: Hatte Jesus Christus eine Ehefrau und existieren somit möglicherweise göttliche Nachfahren auf Erden?

 

Das Prinzip der Verschwörungstheorie ist so einfach, wie ihr untersuchter Gegenstand meist kompliziert. Es gilt klare Antworten auf verworren anmutende Phänomene zu liefern, die Welt zu ordnen und fassbar zu machen, aufzuzeigen – um Ranke zu bemühen –, was eigentlich wirklich geschehen ist. Dass dabei die untersuchten Sachverhalte oft grob simplifiziert und schnell aus ihren historischen Kontexten herausgelöst werden, liegt gewissermaßen in der Natur der Sache. Wer meint, die Geheimnisse der Welt erklären zu können, hat einen Absolutheitsanspruch bitter nötig und kann von dieser Position beliebig schalten und walten – alles wird nach der eigenen Weltwahrnehmung im Sinne der eigenen Theorie inkorporierbar. Schnell lässt sich ausrufen: Alles ist Verschwörung! Eine differenzierte Weltsicht, die auch mehrere Erklärungsmodelle, Widersprüche und Ungereimtheiten als Naturell menschlichen Wirkens toleriert, wird der Suche nach der einen wirklichen Wahrheit™ geopfert. Eine Suche, die der Mannigfaltigkeit des Menschen schon von vornherein nicht gerecht werden kann. Somit ist die Frage der Verschwörungstheorie im Endeffekt eine philosophische Frage; die Frage nach der subjektiv-individuellen Positionierung zur Umwelt: Eine einzige Wahrheit oder Différence mit a?

 

Die spanische Autorin Julia Navarro entscheidet sich für die einzige Wahrheit. Mehr noch, in ihrem zweiten Werk, jüngst im Limes-Verlag unter dem Titel Die Bibel- Verschwörung auf Deutsch erschienen, treibt sie diesen Grundgedanken auf die Spitze, liefert prosaisch noch deutlichere Antworten als beispielsweise ihr Zunftkollege Dan Brown. Mittelpunkt ihrer Geschichte ist eine Art Ur-Bibel, Tontafeln auf denen niemand geringerer als der Urvater der monotheistischen Religionen, Abraham, die Schöpfungsgeschichte mit eigenen Worten erklärt. Die Frage nach der Verfasserschaft der Moses-Bücher – ein Thema, das die Bibelwissenschaft schon im Altertum, dann im Mittelalter und schließlich in der Neuzeit beschäftigte – wird obsolet; wenn Abraham persönlich die Genesis schildert, wie Gott selbst sie ihm offenbart haben soll, dann präsentiert sich hier eine einzige Ur-Wahrheit. (Interessant dabei – kreativer Geist scheint nicht Navarros Stärke – das diese dem kanonischen Wortlaut des Alten Testaments rigoros verhaftet bleibt). Plotimmanent ist also von Anfang an klar, wohin die Reise gehen soll – eine Brown’sche Cliffhanger-Arie, die den Leser gefesselt von Kapitel zu Kapitel treibt, nicht zu erwarten. Genauso fehlt die langsam voranschreitende Enthüllung der absoluten Wahrheit, an die sich die Protagonisten Schritt für Schritt herantasten – gemeinhin ein probates Stilmittel um die Aufmerksamkeit des Lesers zu fesseln. Es gilt allein die Ur-Bibel – die Wahrheit™ – zu finden, dann ist alles geklärt und ein jeder kann nach Hause gehen. Kein Wunder, dass, wenn die einstige Auflösung von vornherein offenbar ist, allerlei Brimborium um den eigentlichen Grundgedanken herum aufgebaut werden muss, um überhaupt ein Buch füllen zu können.

 

Bei Navarro nimmt sich dies wie folgt aus: Der dritte Irak-Krieg dämmert herauf, als die junge Archäologin Clara Tannenberg auf einem Kongress zur Antike in Rom die Existenz der Ur-Bibel publik macht – nachdem ihr Vater und ihr Großvater dies über Jahrzehnte vor der Weltöffentlichkeit verheimlicht hatten. Das Ziel der jungen Frau: Eine Gruppe Archäologen zusammentrommeln, damit diese sich in den Süden des Iraks aufmacht, da dort jüngst durch einen Bombenangriff ein uralter Tempelbau freigelegt wurde, in dem weitere Fragmente der ersten Bibel vermutetet werden. Natürlich drängt die Zeit, denn wenn die Amerikaner das Zweistromland im großen Umfang bombardieren sollten, droht das Bahn brechende Zeugnis der Menschheitsgeschichte ein für alle Mal vernichtet zu werden. (Auch wenn man sich als Leser die Frage nicht verkneifen kann – und dies ist nur eine von mehreren logischen Ungereimtheiten –, warum ausgerechnet ein irakisches Kuhdorf Ziel US-amerikanischer Tomahawks werden sollte.) Mit der Verkündung in Rom beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, der dadurch noch verkompliziert wird, dass sich zwei zwielichtige Fraktionen auf die Fährte der Ur-Bibel-Sucher heften. Zum einen ist da ein international operierender Ring von Kunstschmugglern mit besten Kontakten zur US-Administration und des weiteren eine Gruppe Privatiers, die seit mehr als einem halben Jahrhundert von dem Ziel getrieben wird, den Großvater der jungen Archäologin, Alfred Tannenberg, zu ermorden. Denn dieser alte Tannenberg – der eigentliche Finder der Ur-Bibel-Fragmente – ist ein mit allen Wassern gewaschener Nemesis, ein Monster, das auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschreckt, um seine Ziele zu erreichen. So setzen sich ehemalige Spezialagenten, Wissenschaftler und Studenten in Richtung Irak in Bewegung und die Jagd auf die erste Erzählung von der Erschaffung der Welt beginnt.

 

Das Masse nur selten ein Garant für Klasse ist, wird an Navarros Roman schnell deutlich. Unzählige Charaktere, allesamt eindimensional, austauschbar und anhand einer manichäischen Trennlinie strikt in gut-böse aufgeteilt, bevölkern die Seiten, ohne das die Geschichte dadurch in puncto Einfallsreichtum etwas dazu gewänne. Und als wäre die Plattitüden über die ach-so-mächtigen und perfiden Verschwörer – ganzgleich ob Kunsträuber, Rächer oder Tannenberg sen. selbst – nicht schon genug des Guten, kam Navarro die grandiose Idee, eine zweite Erzählebene zu kreieren, in der sie über Abraham, seinen Schreiberling, Shamas, und den Weg ihrer Sippe von sumerischen Stadt Ur ins Gelobte Land Kanaan fabulieren kann. Leider misslingt es Navarro auch hier meisterhaft, die Geschichte interessant und lesenswert zu gestalten. Die Reise Abrahams nimmt sich aus wie ein Spaziergang zum nächstgelegenen Supermarkt – unspektakulär und genauso dröge. Man kann die spanischen Leser nur bemitleiden, erweckt doch ein Blick auf das Cover und den Titel („Die Ton-Bibel“) den Anschein, als stünde die Abraham-Thematik im Original eigentlich im Mittelpunkt. Im Endeffekt nimmt es sich allerdings nicht viel – beide Erzählstränge können nicht überzeugen.

 

Somit lässt sich eine weitere Parallele zum Brown’schen Machwerk ziehen: Kritiker bemängelten einmütig, die Verfilmung von „The Da Vinci Code“ leide massiv unter dem nicht vorhandenen Spannungsbogen – doch auch hier ist Julia Navarro ihrem Zunftgenossen haushoch überlegen. Die Bibel-Verschwörung ist nicht nur plump sondern auch sterbenslangweilig. Wahrlich, ist es möglich, den Brown-Komplottkompott noch zu toppen! Über hunderte von Seiten präsentiert sich dem Leser vorrangig das Geseyer der verschiedenen Akteure, die an der Ur-Bibel Interesse haben, ohne das eine Handlung auch nur erkennbar in Gang käme; selbst die pseudowissenschaftlichen Exkurse – spätestens seit Dan Brown integraler Bestandteil eines jeden Mystery-Thrillers – sind kaum vorhanden. Einzige Ereignisse, die gerade zu Beginn des Romans – in dessen Verlauf die meisten Leser erkennen, ob ihnen Sekt oder Selters serviert wurde – für ein wenig Spannung sorgen: Ein Doppelmord an römischen Detektiven in Bagdad, eine avisierte Trennung und Abraham beim Ditschen am Euphrat. Letzteres in der Tat ein interessanter Moment: Benutzen Beduinen, zu denen Abrahams Sippe zu zählen war, doch gemeinhin Sand und nicht Wasser um darauf Steine hüpfen zu lassen. Aber wie angedeutet, es macht wenig Sinn im Genre der Verschwörungstheorien, wo sich die Welt stets leicht in Schubladen erklären lässt, nach historischer Authentizität und Differenzierungsvermögen zu fragen.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240426205733c79b58fa
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Die Bibel-Verschwörung

Autor: Julia Navarro

Gebundene Ausgabe - 640 Seiten - Limes

Erscheinungsdatum: Februar 2006

ISBN: 3809025135

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 24.06.2006, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 2451