Rezension von Christine Schlicht
Jesse hat es nicht leicht, schließlich ist er der einzige Junge von den fünf Kindern der Familie Aarons. Sein Vater ist so gut wie nie da, er muss im fernen Washington arbeiten, weil es nicht ausreicht, das Land der kleinen Farm zu bewirtschaften. Die Mutter führt ein hartes Regiment, wird aber von den beiden fast erwachsenen Töchtern regelmäßig beschwatzt und um das wenige Geld gebracht, das zu freien Verfügung steht. Jesse ist mit seinen gerade mal 10 Jahren auch für die beiden jüngeren Schwestern verantwortlich und muss zwei Mal täglich die einzige Kuh melken. Das Einzige, das ihm wichtig ist, ist das Lauftraining. Der Ehrgeiz, der schnellste Junge in seiner Klasse zu werden.
Im verwahrlosten Nachbarhaus, einem großen Landhaus, das nie lange bewohnt wurde, zieht eine neue Familie ein. Die Burkes sind für die Menschen auf dem Land echte Sonderlinge – und erst ihre Tochter! Das Mädchen läuft nur in Hosen herum und hat kurze Haare wie ein Junge. Am Anfang ist Jesse nicht begeistert, dass die Gleichaltrige sich an ihn hängt. Vor allem, als sie sich als die schnellste Läuferin überhaupt entpuppt.
Aus anfänglicher Abneigung wird im Laufe der Zeit aber doch Freundschaft. Die unkonventionelle Leslie beginnt, Jess zu faszinieren. Sie ist intelligent, ihre Eltern sind gebildete Leute und reich. Sie bringen die Veränderungen in der Gesellschaft mit, die zwar in der Hauptstadt schon Usus sind, in den ländlichen Gegenden aber noch nicht angekommen sind. Hinterwäldler treffen auf moderne, aufgeklärte Menschen.
Gemeinsam sind sie stark, vor allem als Leslie ihn in ihre Fantasiewelt Terabithia einführt, in der sie die Herrscher sind. Unbezwingbar und stark, egal was ihre Rückzugswelt bedroht. Um nach Terabithia zu gelangen, müssen sie sich an einem Seil über ein ausgetrocknetes Flussbett schwingen. Es ist ein Reich das ihnen allein gehört.
Gemeinsam gelingt es ihnen auch, die so grausam erscheinende Janice zu maßregeln. Diese ist ihnen am Ende sogar dankbar, da Leslie ihr hilft, als sie in Not gerät. Trotz allem, was sie den anderen alles angetan hat. Denn auch Janice hat ein Geheimnis, eines für das es ein ungeschriebenes Gesetz gilt: Verrate nie deine Eltern, so das sie zum Gespött werden. Janice wird von ihrem Vater regelmäßig verprügelt. Als sie sich einer Freundin anvertraut hatte, wurde es plötzlich Dorfgespräch.
Im Frühjahr regnet es derartig, dass das ausgetrocknete Flussbett plötzlich wieder Wasser führt. Viel Wasser. Jess bekommt Angst bei dem Gedanken, in dieser Zeit nach Terabithia zu gehen, doch noch viel mehr Angst hat er davor, es Leslie zu sagen. So ist er überglücklich, als seine Lieblingslehrerin, die ihn immer wieder in seinem Traum, ein großer Künstler zu werden bestärkt hat, ihn mit nach Washington in ein Kunstmuseum nehmen will. So kommt er um die Beichte herum und verbringt einen wundervollen Tag.
Überzeugt davon, dass es der wundervollste Tag in seinem ganzen Leben ist, kehrt er nach Hause zurück. Dort erwartet ihn eine entsetzliche Nachricht: Leslie ist alleine nach Terabithia aufgebrochen und das Seil ist gerissen... Leslie ist tot.
Taschentücher im Doppelpack bereitlegen! Wer hier nicht Rotz und Wasser heult, ist ein Stein. Der Titanic-Faktor der Geschichte liegt bei mindestens 9 von 10 Punkten.
Eine traumhafte Geschichte, tiefgründig, herzzerreißend und doch so locker geschrieben und glaubwürdig, wie eine Geschichte nur sein kann und sein sollte. Eine Geschichte von zwei Außenseitern, die sich eine Welt erschaffen, die allein die ihre ist, eine Welt zum träumen. Eine Welt, die ihnen hilft, die Probleme und Demütigungen des Lebens besser zu verarbeiten. Eine Geschichte, in der sich Kinder wiederfinden und aus der sie den Mut schöpfen können, ihren eigenen Weg zu gehen.
Aber auch eine Geschichte, die man einem Kind nicht kommentarlos zu lesen geben sollte, denn der Tod Leslies ist doch starker Tobak. Die Zeit, mit den Kindern danach über das Leben und den Tod zu reden, die sollte man sich unbedingt nehmen. Dann können sie sicher auch, wie Jesse, die Kraft finden, über diese Dinge hinaus ihr Leben weiter zu meistern. Verluste gibt es immer, diese Geschichte kann helfen, damit fertig zu werden. Das auch ein Kind nicht von der Gefahr eines plötzlichen Todes gefeit ist, kann... sollte... muss... auch Einzug in das Verständnis von Kindern finden.
Was man sich wirklich hätte schenken können, ist der Abdruck des Nachwortes von Chris Powling, einem anderen Kinderbuchautor. Seine Kommentare sind so überflüssig wie ein Kropf. Dieser Geschichte gibt es einfach nichts hinzuzufügen und man muss auch wirklich keinen Erklärungsversuch machen. Es ist alles klar – wie man damit fertig wird, ist aber jedermanns eigene Sache, da muss jeder selbst drüber nachdenken.
Die Geschichte wurde bereits verfilmt, In der Mitte des Buches sind ein paar Fotoseiten eingefügt, mit Bildern aus dem Film. Irgendwie scheint der Filmstart etwas unbeachtet geblieben zu sein, „Die Brücke nach Terabithia“ kam am 01.03.2007 in die Kinos, demnächst kommt die DVD raus. Jedenfalls scheint er keine großen Wellen geschlagen zu haben.
Hauptdarsteller waren Josh Hutcher als Jesse, der bereits in den Filmen „Die Chaoscamper“ und „Zathura – ein Abenteuer im Weltraum mitgespielt hatte und Anna Sophia Robb als Leslie. Gedreht wurde an Orten, die den Fantasy-Freaks nur zu gut bekannt sein dürften: In Neuseeland. Regisseur Gabor Csupo ist allenfalls Fans der „Rugrats“ ein Begriff. Auch Drehbuchautor David Peterson hat sich ebenfalls noch nicht besonders hervorgehoben, wenn man den Vita der gängigen Kino-Programmseiten Vertrauen schenkt.