Die Jagd (Autor: David Grashoff)
 
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Kurzgeschichte des Monats November 2008

"Die Jagd" ist die zweite Geschichte zur Reihe Kurzgeschichte des Monats, die uns lesenswerte Geschichten aus den Genres SF, Fantasy und Horror bietet. Dieses Mal darf man sich auf eine Fantasygeschichte des Autoren David Grashoff freuen, der zuletzt als Herausgeber und Autor mit der Anthologie Disturbania brillieren durfte.

 

David Grashoff: Die Jagd

Ein langer, dunkler Schatten legte sich über das zerfurchte Tal. Der Gesang der Vögel verstummte und sogar der Wind schien sich zu fürchten, denn das Rascheln der Blätter hörte schlagartig auf. Eine gewaltige gefiederte Schlange schwebte geräuschlos über die Baumkronen. Ein ausgewachsenes Weibchen, dreißig Fuß lang mit einem moosgrünen Federkleid, das sich durch die feuchte Tropenluft schlängelte, als schwämme es im Wasser. Ch’amak hockte in einem Gebüsch und beobachtete das Geschöpf. Ein dünner Schweißfilm glänzte auf seiner gebräunten, mit rituellen Tätowierungen übersäten Haut, und seine ganze Aufmerksamkeit gehörte dem furchteinflössenden Wesen.

 

Ch’amak war ein ah chih - ein Jäger - und gehörte zum Stamm der Xpujil, der sich südlich des Tals niedergelassen hatte. Schon einmal, vor etwa zwanzig Mondphasen, hatte er einen Quetzacoatl - eine gefiederte Schlange - niedergestreckt, was ihm den Ruf einbrachte, ein mutiger und listiger ah chih zu sein. Jetzt spannte er seine Muskeln und nahm die Verfolgung auf. Wie ein Raubtier hastete er durch das Dickicht des Dschungels, den Blick immer wieder zum Himmel gerichtet, um die längliche Gestalt nicht aus den Augen zu verlieren. Barfuss, in einem Lendenschurz bekleidet und mit einem Speer bewaffnet, dessen Spitze ein Widerhacken aufwies und an dem ein Seil befestigt war, sprang er über morsches Gehölz und kämpfte sich durch das üppige Pflanzengewirr. Äste und Blätter peitschten ihm ins Gesicht und hinterließen rote Kratzspuren. Doch Ch’amak war bereits dem Jagdrausch verfallen; ein Rausch der ihn den Schmerz und die Ermüdung seiner Muskeln vergessen ließ.

 

Plötzlich hörte der Wald auf und vor Ch’amak ragte eine steile Felswand empor. Er sah noch die gefiederte Schlange über dem Fels verschwinden, befestigte hastig den Speer an einer Halterung an seinem Rücken und begann zu klettern. Es war dunkles und scharfkantiges Gestein, das zwar Halt bot aber Ch’amaks Hände und Füße zerschnitt. Plötzlich rollte ein tiefes donnerähnliches Grollen über das Tal. Ein Laut, der durch Ch’amaks Inneres fuhr und seine Knochen zum vibrieren brachte. Das Stück Fels, auf dem er stand, löste sich und fiel krachend zu Boden.

Mit einer blitzschnellen Bewegung, bekam er noch ein Stück des Felsen zu fassen.

Eine kurzen Augenblick lang baumelte der ah chih in der Luft. Ein stechender Schmerz durchfuhr ihn, als sein ganzes Gewicht an seinen Händen hing und in die scharfen Kanten des Felsen gedrückt wurde. Er ruderte mit den Beinen, fand an einer Stelle Halt und blieb erst einmal bewegungslos stehen, um einige Male tief durchzuatmen. Sein Herz pochte so wild, als wolle es aus seinem organischen Gefängnis ausbrechen.

Erneut war ein dröhnendes Geheul zu hören. Diesmal klang es mehr wie ein Schrei oder ein Ruf. Ch’amak hatte eine Vermutung, was dieser Ton zu bedeuten hatte und dieser Gedanke erfüllte ihn mit Unbehagen. Er musste jetzt schnell handeln. Er blickte nach oben und sah, dass ihn noch gut dreißig Fuß von der Stelle trennten, an der das dunkle Gestein und der Himmel sich trafen. Er fing wieder an zu klettern und erhöhte, trotz der brennenden Schmerzen in seinen Händen, das Tempo. Als er es endlich geschafft hatte die Felswand zu bezwingen, brach er zusammen. Er blieb auf dem Boden liegen. Sein Brustkorb hob und senkte sich rastlos, während er nach Atem rang. Ein weiterer markerschütternder Schrei riss Ch’amak aus seiner Untätigkeit. Er raffte sich auf und marschierte in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Er stieg einen steilen Abhang hinauf und blickte plötzlich in einen tiefen Krater hinunter. Es sah aus, als hätte die Faust eines Riesen auf dieses Stück Erde eingeschlagen. Im trichterförmigen Becken des Kraters hatte sich Wasser gesammelt und dort einen kleinen See gebildet. Knapp über dem grünlichen Wasser schwebte die gefiederte Schlange langsam im Kreis. Sie hatte ihr Federkleid aufgeplustert und stieß wieder einen ihrer gutturalen Laute aus. Ch’amak schlich sich an, immer bedacht, dass der Wind ihm entgegen blies, damit die Schlange ihn nicht witterte.

 

Als er den Blick zum Himmel erhob, wurde seine Vermutung über den Sinn der sich wiederholenden Laute bestätigt: Das Weibchen signalisierte mit ihren Rufen ihre Paarungsbereitschaft.

Am blauen Firmament zeichneten sich die Umrisse eines weitere Quetzacoatl ab und Ch’amak hatte keine Zweifel, dass es sich dabei um ein männliches Exemplar handeln würde.

Der Kampf mit einer gefiederten Schlange barg schon genug Risiken; sich mit zweien anzulegen war Selbstmord. Ch’amak hockte sich hinter einen großen Stein und beobachtete die sich nähernde Kreatur. Sie war größer als das Weibchen und ihre Federn hatte eine blaurote Färbung. Sie umkreiste einige Male den Krater und gab einen melodischen Pfeifton von sich, so laut, als würde eine ganze Vögelschar auf einmal das gleiche Lied anstimmen. Plötzlich schossen beide Geschöpfe aufeinander los. Nur knapp verfehlten sie sich und blieben dann nur einige Fuß voneinander in der Luft stehen.

Sie verhielten sich wie zwei kämpfende Raubkatzen, die auf den richtigen Moment für einen Angriff warten. Die männliche Schlange unterbrach ihren Gesang und für einen Augenblick schien die Zeit still zu stehen. Ganz behutsam näherten sie sich einander, dann stiegen sie umeinander kreisend in den Himmel. Ihre Schweife berührten sich und langsam - von unten nach oben, wie in einer Spirale – drehten sich die beiden Kreaturen ineinander, bis sie scheinbar zu einem einzelnen Wesen verschmolzen.

Ch’amak - der das, was sich vor seinen Augen abspielte, immer noch fasziniert verfolgte - wurde plötzlich bewusst, dass der Tag sich dem Ende neigte. Er war hin und her gerissen zwischen diesem Schauspiel, dem seines Wissens noch nie ein Mensch beigewohnt hatte, und der Erkenntnis, dass der Abstieg bei Nacht äußerst gefährlich werden würde. Die Vernunft siegte über die Neugier und Ch’amak verließ sein Versteck. Er schlich leise davon, ohne noch einmal zurück zu blicken. Es dämmerte bereits. Der Himmel ähnelte einem ruhigen türkisfarbenen Meer, auf dem vereinzelt blasse Wolken schwammen. Während die Sonne, wie ein blutroter Edelstein, langsam dem Horizont entgegen sank, kletterte Ch’amak vorsichtig den steilen Fels hinunter.

 

Als der Tag gewichen war und die Nacht den Dschungel in vollkommener Dunkelheit getaucht hatte, lag Ch’amak auf den breiten Ast eines Baums und dachte über das nach, was ihm heute widerfahren war. Es hatte ihn auf seltsame Weise berührt, hatte etwas in ihm verändert.

Es war ein neues Gefühl.

Ein Gefühl, das er bisher noch nie gespürt hatte.

Er fühlte sich einsam.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404200603237ab0d99c
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David Grashoff

Disclaimer

Die Charaktere dieser Geschichte, sowie alle Handlungen sind geistiges Eigentum des Autors. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen, Orten oder Handlungen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Der Autor verfolgt kein kommerzielles Interesse an der Veröffentlichung dieser Geschichte.

Freigabe zur Weiterveröffentlichung besteht, soweit vom Autor nicht anders angegeben nur für "FantasyGuide.de". Für alle weiteren Veröffentlichungen ist die schriftliche Zusage des Autors erforderlich.


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Erstellt: 28.07.2005, zuletzt aktualisiert: 27.09.2016 09:58, 806