Die silbernen Felder von Claudia Tieschky
Rezension von Matthias Hofmann
Über Titelbilder kann man vortrefflich streiten. Mal sind sie schön, mal hässlich. Mal passen sie zum Inhalt, mal nicht. Der Umschlag von Claudia Tieschkys zweitem Roman Die silbernen Felder ist einfach nur nichtsagend. Wenn man vor einem Tisch stehen würde, auf dem dieses Buch und neun weitere liegen, würde man »Die silbernen Felder« höchstwahrscheinlich als letztes in die Hand nehmen.
Der Umschlag mit dem Charme einer Farbprobe der Tapetenabteilung des nächstgelegenen Baumarkts wird geziert von einem Motiv der Japanerin Katsumi Murouchi. Es zeigt nichts. Außer eine silbernen Farbe und harmoniert gut mit dem silbernen Lesebändchen des Romans. Für Design-Freaks mag das passend sein, aber man hätte den Roman genauso gut in Packpapier einschlagen können. Der Verkaufseffekt wäre ebenso null gewesen.
Mit dieser Umschlaggestaltung erwies die verantwortliche Agentur Anzinger und Rasp dem Titel einen Bärendienst. Das wäre nicht schlimm, wenn es der Inhalt verdient hätte, dass man auf ihn nicht aufmerksam wird und ihn nicht liest. Dem ist nicht so. »Die silbernen Felder« ist nämlich eine dieser kleinen Leseperlen, die während der Lektüre immer stärker glänzen.
Claudia Tieschky, die seit 2003 Medienredakteurin der Süddeutschen Zeitung ist, hat mit »Die silbernen Felder«, eine kleinen, aber feinen Roman abgeliefert. Was wie eine unscheinbare Fingerübung beginnt, entwickelt sich quasi nebenbei zu einem gehaltvollen dystopischen Science-Fiction-Roman, der zum Nachdenken anregt.
Die Handlung spielt in einem Deutschland der nahen Zukunft. Liberale Demokratien sind eine Erscheinung der Vergangenheit. Das Leben, das zählt, spielt sich für die meisten digital ab. Das »Projekt Liebseligkeit«, verspricht eine Art ewiges Leben, in dem man sich mit den »Inneren Dateien« jederzeit und überall z. B. die schönsten Erinnerungen kombinieren lassen, um so bei den Betroffenen überwältigende Glücksgefühle entstehen zu lassen. Und nicht nur das, auch über den Tod hinaus wird so eine Art ewiges Leben garantiert.
Margarethe, die Protagonistin des Romans, ist eine Alleingängerin, die sich dieser Entwicklung verschlossen hat. Während die Mehrheit der Menschen zwei Lebensläufe generieren, einen im echten Leben und einen weiteren in der digitalen Welt, und die digital abgebildeten Informationen allmählich zur wahren, bleibenden Historie werden, hat sich Margarethe ausgeklinkt. Sie ist auf der Suche nach ihrer verschwundenen älteren Schwester Fiona, die für das »Projekt Liebseligkeit« gearbeitet hat.
Natürlich sind viele Topoi, die Claudia Tieschky in dem Roman verarbeitet hat, nichts Neues. Die Gefahren der Digitalisierung, von Fake News und Beeinflussung durch Künstliche Intelligenz sowie das Verschwinden von Authentizität hat man als halbwegs informiert-kritischer Beobachter auf dem Schirm. Die Autorin schafft es jedoch, dies in ein literarisches Belletristik-Gewand zu kleiden, das sich gut lesen lässt.
Ein ruhiger Roman, der zeigt, dass Dystopien auch unaufgeregt daher kommen können und dennoch zum Innehalten und Nachdenken ermuntern. Wie stark ist man selbst schon dabei, sein Leben digital abhängig zu machen? Ist man noch perplex, wenn sich Google oder Facebook melden, und in der Timeline einem selbst von Ereignissen berichten, die vor genau fünf Jahren passiert sind, die man längst vergessen hat oder vergessen wollte?
Ignoriert das Titelbild. In »Die silbernen Felder« steckt mehr drin als es den Anschein hat.
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