Ohnegleichen: Ein Aschenbrödel namens Libuše
 
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Ohnegleichen: Ein Aschenbrödel namens Libuše

Artikel von Karin Reddemann

Früher war alles anders. Früher, das war die Zeit zwischen Dampfmaschine, immer noch zuviel Lametta und Smartphone. Grob geschätzt.

Früher gab es den Weihnachtsvierteiler um viertel nach acht im ZDF, wir guckten Wettlauf nach Bombay und Der schwarze Bumerang, und wenn wir nicht rechtzeitig vor dem Fernseher hockten, sahen wir halt nur die halbe Show.

Sissi contra Winnetou

Früher lief Drei Haselnüsse für Aschenbrödel einmal an einem Adventssonntag irgendwann in den Nachmittagsstunden. Darauf freuten wir uns im Kollektiv und quetschten uns als solches auch überpünktlich auf die Wohnzimmercouch. Da gab es keine Alternative. Denn wiederholt wurde da gar nichts. Bis auf die ganze Pracht-Palette Winnetou und Sissi. Aber die dann tatsächlich auch erst exakt ein Jahr später. Sowas wurde gern in jeder Adventszeit gezeigt. Wie diverse Märchenfilme, die immer rund um Weihnachten liefen und die wir uns auch noch zum zweiten und dritten Mal ansahen. Nicht grad zum tausendsten Mal und wann immer man grad lustig war. Das war damals unmöglich. Erschien uns auch prinzipiell unnötig.

 

Mit Ausnahme vielleicht von diesem einen, den wir liebten, lieben und doppelt lieben werden, wenn wir eisgrau, hoffentlich ein bisschen weise und immer noch sehnsuchtsvoll sind: »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel«.

 

Längst schon ist der tschechische TV-Erfolg mit bombastischem Bekanntheits- und Beliebtheitsgrad fester Bestandteil des Weihnachtsprogramms der öffentlich-rechtlichen Sender. Und lief unlängst und morgen und übermorgen und läuft und läuft. Mehrmals. Auch in Dauerschleife auf Streamingdiensten für die ganz Weichen und die noch Härteren.

 

Gut daran: Heutzutage muss man sich den Film nicht mehr fett im Kalender notieren, zutiefst besorgt, das Schönste zu verpassen. Also keine Sekunde, weil alles an diesem Film wunderbar-wundervoll-schön ist. Punkt und Strich. Da gibt es partout keine Diskussion über Kitsch und Kinderkram und optische Knallbonbons, Rührseligkeit contra Logarithmus, Weltverbesserer ohne oder grad mit Phantasie oder sonst was Gescheites.

Wundervoll-wunderbar und Punkt

Die Meinung steht, und es gibt kein Entkommen: Wir kleben längst schon unlösbar an diesem Film, der zu Weihnachten gehört wie Der kleine Lord und dick Schokolade auf dem Spritzgebäck, Loriots Hoppenstedts, Crosbys White Christmas und eine schiefe Tanne. Wir träumen uns hinein in die Schneelandschaft und summen die Melodie mit, die 2009 betextet wurde, ohne, dass wir explizit darum gebeten hätten. Küss mich, halt mich, lieb mich … darf man mitträllern, wenn man die zuckersüße Extraportion braucht.

 

Was wir indes unbedingt und kompromisslos brauchen: »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« termingerecht zum Fest. Gern auch früher, mit oder ohne Glockengeläut. Hauptsache, es schneit in der guten Stube.

 

»Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« wurde ganz ganz früher in der Programmzeitschrift »Drei Nüsse für Aschenbrödel« genannt, das wurde gewissenhaft geändert, und da mag sich jeder wohl seinen Teil denken oder auch nicht. Wichtiger ist, dass das so rührend bescheidene Mädchen sich ein Reisemitbringsel vom Knecht Vincek wünscht, »das ihm auf dem Weg über die Nase kommt«. Und das nun ist jener Haselzweig mit den drei Nüssen, von denen jede eine ganz besondere Überraschung parat hat. Diese drei Zauber(-hasel-)nüsse haben seit der Antike in über 400 Variationen des Märchens über drei geheime Wünsche, die erfüllt werden, ihre Funktion. Weltweit werden die Geschichten erzählt, jede für sich von eigener, meist schaurig-romantischer Couleur.

 

Bäumchen, rüttel dich,

Bäumchen, schüttel dich,

wirf Gold und Silber über mich.

Zauber-Nüsse seit der Antike

Wir kennen alle das Aschenputtel von den Brüdern Grimm, das den Haselbaum auf dem Grab der Mutter aufsucht, damit der sich rüttelt und schüttelt und feine, kostbar glänzende Kleider über die schmutzige, geplagte, liebreizende und überaus hübsche Maid wirft. Dass die phantastischen Roben auch ganz praktisch direkt in den Nüssen stecken könn(t)en, wissen wir sehr genau seit der hinreißenden Märchenverfilmung von Václav Vorliček, die im Novemer 1973 in der CSSR Premiere hatte und dreizehn Monate später erstmalig in Westdeutschland über den Bildschirm ging.

 

Die damals zwanzigjährige Libuše Šafránková als unnachahmlich lächelnder Liebreiz in Person, der sich mit der Armbrust im Sattel genauso gut macht wie als Traumfrau ausstaffiert für den Hofball, war eine Zufallsentdeckung des Regisseurs und wurde, wie auch Filmpartner Pavel Travnicek, der den geradezu entzückend tollpatschigen Prinzen spielt, durch »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« weit über Grenzen hinaus berühmt.

Süßes Mädchen auf ewig

Ein Wahnsinnssprungbrett war es für die Schauspieler aber nicht: Hollywood war hier halt nicht die Schmiede allen Seins und Scheins, und anders als eine Julia Roberts, die nicht auf ewig Pretty Woman war, sondern Weltkarriere machte, blieb Libuše Šafránková immerwährend das süße Mädchen, das dem hübschen jungen Prinzen ein Rätsel aufgibt:

 

Die Wangen sind mit Asche beschmutzt, aber der Schornsteinfeger ist es nicht.

Ein Hütchen mit Federn, die Armbrust über der Schulter, aber ein Jäger ist es nicht.

Zum Dritten: Ein silbergewirktes Kleid mit Schleppe zum Ball, aber eine Prinzessin ist es nicht, mein holder Herr.

 

Dreimal begegnet Aschenbrödel dem Prinzen, bevor das Happyend mit passendem Schuh, Hand in Hand, – abgeküsst wird nicht –, und hoch zu Ross durch den Schnee zum Schloss ansteht: Beim zweiten Aufeinandertreffen trägt sie das Jagdkostüm aus der ersten Nuss, in den beiden anderen Nüssen stecken ganz traditionell die glamourösen Kleider, ein Ball-, ein Hochzeitskleid. Die Idee mit der Verkleidung als Jägerbursche stammt bekanntlich nicht von den Grimms und auch nicht von der tschechischen Schriftstellerin Božena Nĕmcová (1820-1862), deren Aschenputtel-Version Grundlage für die Verfilmung war, sondern eben von Václav Vorliček, der eine flotte, modernere Geschichte präsentieren wollte, ohne dabei direkt vom Pfad der großen Märchenerzähler abzuweichen.

Vor mir Nebel, hinter mir ...

Was seiner frech-unbeschwerten Verfilmung gänzlich fehlt, sind die strengen Momente der Originale: Bei Božena Nĕmcová, die ihr Aschenbrödel einen magischen Spruch aufsagen läßt, wenn sie im vom Haselzweig geschenkten Pracht-Kleid in Erscheinung tritt, – Vor mir Nebel, hinter mir Nebel, über mir die Sonne ... –, finden die Begegnungen in der Kirche beim Gottesdienst statt, und bei ihr wie auch bei den Grimms werden düstere Exempel statuiert: Zehen werden sinnlos abgeschnitten für die Schuhprobe, Krähen hacken den bösen Stiefschwestern (Grimm) die Augen aus. Und »ohne Liebe und Freude« (Nĕmcová) bleiben die boshafte Stiefmutter und deren Tochter Dora bis an ihr Lebensende zurück.

 

Ganz so arg ergeht es ihnen bei Vorliček nun nicht: Sie landen, nachdem ihr schäbiger Schwindel aufgeflogen ist, mitsamt ihrer Kutsche in einem von dünnem Eis bedeckten Tümpel … und da hocken sie nass und schmutzig mit langen Gesichtern, während Aschenbrödel auf Schimmel Nikolaus in ihrem phänomenalen Hochzeitskleid auf ihren Prinzen wartet. Zu schön? Genau richtig.

 

Die Original-Spielstätte rund um Schloss Moritzburg bei Dresden ist schon seit etlichen Jahren Touristenattraktion mit riesigen Ausstellungsflächen und Kinosälen. Die Treppe, auf der Aschenbrödel den Schuh verliert, ist für Heiratsanträge höchst gefragt, und Frauen lassen sich die Kleider der Märchenprinzessin für Mittelalterfeste und Hochzeiten nachschneidern. So schön immer noch? Immer noch. Ergo wird morgen geguckt. Vielleicht überübermorgen. Und wer partout nicht mehr gucken will (soll’s geben), schweige halt und höre Last Christmas. Besser?

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Erstellt: 06.12.2020, zuletzt aktualisiert: 25.11.2023 10:13, 19247