Reihe: Sherlock Holmes
Hörspiel
Rezension von Oliver Kotowski
Rezension:
Als Watson von einem Spaziergang in die Baker Street heimkommt, erwarten ihn im völlig verqualmten Zimmer nicht nur sein Freund Sherlock Holmes, sondern auch eine stattliche Matrone, deren Figur den guten Doktor an Lamm mit Minzsoße und Yorkshirepudding denken lässt. Es ist die Hauswirtin Mrs. Merrilow. Sie ist im Namen ihrer Mieterin Mrs. Ronder gekommen und bittet Holmes sich der Sache der Frau anzunehmen. Mrs. Ronder trägt stets einen Schleier, weil ihr Gesicht fürchterlich entstellt ist. Die geheimnisvolle Frau liebt die Zurückgezogenheit des Hauses von Mrs. Merrilow – und ist bereit dafür gutes Geld zu bezahlen, auch wenn es um Fragen ob ihrer Vergangenheit geht. Doch irgendetwas belastet sie sehr und da sie sich vom Pfarrer keine Hilfe erhofft und sich nicht an die Polizei wenden kann, trug sie Mrs. Merrilow auf, sich an den Detektiv zu wenden. Falls Holmes nicht wolle, soll sie diesem ausrichten, dass sie die Ronder mit der Raubtiershow sei.
Den geneigten Hörer wird es wenig überraschen: Auch der fünfunddreißigste Fall für Sherlock Holmes ist ein Kriminalfall. Es geht um das Geheimnis der Mrs. Ronder. Vor Jahren führte sie gemeinsam mit ihren Mann einen Zirkus, wobei er als Direktor für die Königsdisziplin, die Löwendomptur, verantwortlich war. Eines Nachts ereignete sich jedoch Schreckliches: Mr. Ronders Leiche wurde mit brutalen Wunden aufgefunden und Mrs. Ronder vom Löwen, der irgendwie aus dem Käfig entkam, angefallen. Sie überlebte, allerdings mit furchtbar entstelltem Gesicht. Doch der Fall liegt anders als die übrigen Fälle Holmes, denn auch wenn der Meisterdetektiv seine Zweifel an der Unfalltheorie hat, so ist Mrs. Ronder völlig klar, dass ihr Mann ermordet wurde und sie kennt sogar den Mörder; sie erwartet keine Aufklärung, sondern etwas anderes.
Entsprechend liegen die Spannungsquellen anders. Es ist zwar interessant zu erfahren, wie das Verbrechen verübt wurde, doch da es keinen 'Einsatz' mehr gibt und Holmes sich auch nicht für die Aufdeckung anstrengen muss, ist es nicht die zentrale Spannungsquelle wie üblich. Mrs. Ronder braucht Holmes Hilfe als Ehrenmann und so ist die Figurenentwicklung auch das Entscheidende dieser Folge – wenn Watson, nachdem er eine tragische und blutrünstige Geschichte hörte, bemerkt, dass er seinen Appetit nie verliere, dann lässt dieses tief blicken: Watson, der oftmals Holmes wegen seiner direkten (und damit groben) Art anfährt, ist eigentlich viel weniger feinfühlig als dieser, er ist nur viel höflicher. Um diese Details zu bemerken muss der Hörer allerdings einigermaßen vertraut mit den Figuren sein, sonst zieht diese Spannungsquelle nicht.
Die Rollen sind allesamt hochkarätig besetzt: Das beginnt bei den Sprechern der Hauptfiguren Sherlock Holmes (Christian Rode) und Dr. Watson (Peter Groeger), die gemeinsam beinahe alle Namenhaften Hörspiele – das reicht von den Drei ??? über Geisterjäger John Sinclair zu Titania Mediens Grusel Kabinett (und, natürlich, vielen anderen) – abdecken, geht über Mrs. Merrilow (Pia Werfel) und Mrs. Ronder (Karin Eckhold), die den beiden zuvor genannten nur wenig nachstehen und sogar in der vierundzwanzigsten TKKG-Folge Gefährliche Diamanten gemeinsam ihre Rollen einsprachen, hinzu unbenannten Nebenrollen, die noch von Profis wie Klaus Dittmann und Thomas Karallus gesprochen werden.
Dennoch bin ich nicht immer zufrieden mit dem Ergebnis. Das liegt weniger an unglaubwürdig gesprochenen Rollen, denn da gibt es nur einen Ausreißer von Eckhold – aber wer könnte schon einen Text wie "Hilfe! Hilfe! Der Löwe zerfleischt gerade mein Gesicht!", während der Löwe der betroffenen Figur gerade das Gesicht zerfleischt, glaubhaft sprechen? Es liegt eher an der Interpretation der Holmes-Rolle. Rode legt Holmes kumpelhafter und salopper an, als ich ihn mir vorstelle. "Ja, wieder Tierpsychologie, wiss'n wir nix von!" So etwas würde mein Holmes nie sagen. Aber die Interpretation ist natürlich Geschmackssache.
Insgesamt ist die Inszenierung recht altmodisch – wenn Watson als Erzähler nicht anwesend ist, kommentieren die Figuren das Geschehen. Die Untermalung mit Geräuschen ist so spärlich, dass das Hörspiel in dieser Hinsicht als Lesung durchgehen könnte. Die musikalische Begleitung ist ebenfalls sehr spärlich: Sie dient entweder der Einleitung, Überleitung oder dem Ausklang von Szenen. Sie ist dabei angenehm vielfältige orchestral Musik, die schnell Erinnerungen an gewisse in Schwarz-Weiß abgedrehte Fernsehkrimis wachruft.
Fazit:
Die geheimnisvolle Mrs. Ronder benötigt die Hilfe des Ehrenmannes Sherlock Holmes bei einem Jahre zurückliegenden heimtückischen Verbrechen. Der fünfunddreißigste Fall des Ermittler-Gespanns Holmes und Watson ist in mancherlei Belang ungewöhnlich, denn es geht mehr um die Entwicklung der Hauptfiguren als um die Lösung eines Falles und ist daher eher für Kenner der Reihe geeignet. Die Inszenierung ist zwar altmodisch, aber in dieser Hinsicht durchaus gelungen; selbes gilt für die Sprecherleistungen: Wer mit der Anlage der Sprecherrollen einverstanden ist, wird kaum eine Fehlbetonung hören.