Ein Feuer auf der Tiefe von Vernor Vinge
Rezension von Ingo Gatzer
Raumfahrende Pflanzenwesen auf Rollen - sogenannte Skrodfahrer - sind nur eine der außerirdischen Rassen, die Vernor Vinge in seinem Roman "Ein Feuer auf der Tiefe" auftreten lässt. Wer nun Science-Fiction-Trash erwartet, täuscht sich allerdings. Vinge, der nicht nur Autor, sondern auch Mathematiker und Informatiker ist, gelingt mit seinem Werk, das bereits den renommierten Hugo Gernsback Award gewann, ein anspruchsvoller und ideenreicher Zukunftsroman.
In diesem erweckt eine Expeditionsgruppe von Menschen in einem uralten Computerarchiv versehentlich eine mächtige und tödliche Wesenheit, genannt die PEST. Nur ein Fracht-Raumschiff kann entkommen, strandet aber auf einem Planeten, der von intelligenten, hundeähnlichen "Klauenwesen" bewohnt wird. Die einzigen Überlebenden, der kleine Jefri und seine Schwester Johanna, werden getrennt und müssen sich in der fremden, dem irdischen Mittelalter ähnlichen Kultur, zurechtfinden. Aber an Bord des entflohenen Raumschiffes befindet sich noch etwas. Etwas, das die PEST, die sich über immer mehr Welten der Galaxie ausbreitet, vielleicht aufhalten kann. Bald beginnt ein rasantes Wettrennen zur Welt der Klauenwesen zwischen den Abgesandten der PEST und dem Raumschiff Aus der Reihe II. Die Besatzung, zwei Menschen und zwei Skrodfahrer versuchen mit allen Mittel die bedrohliche Wesenheit aufzuhalten.
Vernor Vinge gelingt mit einer ganzen Reihe von Erzählsträngen der Spagat zwischen Abenteuerroman und intergalaktischer Space Opera. Auf der einen Seite schildert er, die Erlebnisse der Kinder Jefri und Johanna, die nichts vom Überleben des Anderen zu wissen oder die Konflikte und Aktivitäten der Hundewesen. Da ist beispielsweise das skrupelose Rudel Flenser, dessen Züchtungsversuche an einen Dr. Mengele gemahnen. Auf der anderen Seite steht aber ein riesiger Kosmos, in dem immer mehr Zivilisationen von der PEST versklavt und Milliarden von Lebewesen vernichtet werden und die Mission der Aus der Reihe II. Diese Erzählstränge treffen schließlich am Ende des Buches aufeinander.
Bemerkenswerter als die Story selbst ist aber ihre Darstellung. Das beginnt bei der Einteilung des Weltraums in Zonen technischer Möglichkeiten. Diese reichen vom "Langsam", wo nur relativ einfache Maschinen funktionieren und die Lichtgeschwindigkeit nicht mit Raumschiffen überschritten werden kann, bis zum "Jenseits", in dem Wesen mit unvorstellbaren, teilweise göttergleichen Fähigkeiten existieren. Eine besondere Form der Multiperspektivität gelingt Vernor Vinge durch eine Art Mega-Internet. Einerseits wird das Geschehen mal aus Sicht von Jefri, Johanna, Ravna oder einigen außerirdischen Wesen geschildert. Andererseits wird die Handlungsbeschreibung aber auch immer wieder durch Netznachrichten aus intergalaktischen Newsgroups unterbrochen, die von den verschiedensten, teils völlig fremdartigen, Lebensformen stammen und das Geschehen aus den verschiedensten Blickwinkeln kommentieren, weitere Facetten beleuchten und fundierte Informationen oder auch dreiste Lügen enthalten.
Gut gelungen ist die Darstellung der außerirdischen Rassen, wobei hier die Kreation der Klauenwesen hervorzuheben ist. Erst mehrere dieser Kreaturen bilden zusammen in einem Rudel eine Persönlichkeit. Ein einzelnes Lebewesen ist somit nichts als ein "Glied", das für die Rudelpersönlichkeit etwas wahrnehmen, handeln oder mit anderen interagieren kann. Diese ungewöhnliche Tatsache wird dem Leser aber nicht einfach platt mitgeteilt, sondern geschickt angedeutet, etwa in den Gesprächen zwischen den Lebensformen ("Reib es mir nicht unter die Nasen.") oder indem das Geschehen aus der Perspektive von Außenseitern wie Jefri oder Johanna beschrieben wird. Vernor Vinge beschränkt sich aber nicht nur darauf, diese außergewöhnlichen Lebensformen darzustellen, sondern durchdenkt und zeigt die Konsequenzen einer solchen Existenzform für Leben und Kultur, was die Glaubwürdigkeit des Beschriebenen steigert.
Wenn man an dem Buch wirklich etwas kritisieren will, dann, dass es an manchen Stellen etwas langatmig ist und es zunächst einige Zeit braucht, bis die Handlung wirklich in Gang kommt. Außerdem wäre es bestimmt reizvoll gewesen, mehr über die PEST selbst und nicht nur etwas über die Auswirkungen ihrer Aktionen zu erfahren. Actionfreunde werden zwar immer wieder, richtig aber erst im letzten Teil der Geschichte, bedient.
Wer also auf der Suche nach einem intelligent geschriebenen Science-Fiction-Roman mit guten Ideen ist, und nicht eine Aneinanderreihung von epischen Weltraumschlachten erwartet, kann beherzt zu "Ein Feuer auf der Tiefe" greifen.
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