Eine Tiefe am Himmel (Autor: Vernor Vinge)
 
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Eine Tiefe am Himmel von Vernor Vinge

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Eine Tiefe am Himmel spielt vor Ein Feuer auf der Tiefe. Vernor Vinge beleuchtet hier nun die Handelsorganisation Dschöng Ho näher, über die wir in seinem Erstling nur weniges erfuhren. Ein vertrautes Gesicht jedoch überwindet die Kluft von 30.000 Jahren: Pham Nuwen. Man könnte „Eine Tiefe am Himmel“ sogar als Biographie Phams verstehen.

Ausgangspunkt der Handlung ist das Ende einer langen Menschenjagd. Der Suchende ist ein Dschöng Ho Kapitän, der Gesuchte eine Legende. Doch zuviel steht in der Vergangenheit zwischen den beiden, sodass es kein freudiges Wiedersehen wird, man einigt sich auf eine Mission zum relativ nahen galaktischen Rätsel des Ein/Aus Sternes, der jeweils für 200 Jahre fast erlischt, um dann für kurze Zeit wieder hell zu erstrahlen.

Doch auch eine andere Zivilisation ist auf das Mysterium aufmerksam geworden und so treffen sich in der Nähe der Sonne die Flotten der Dschöng Ho und der Aufsteiger.

Schon bald kommt es zur gewaltsamen Auseinandersetzung um die Anrechte an dem Geheimnis. In einer verlustreichen Schlacht besiegen die Aufsteiger die Händler, erleiden aber so schwere materielle wie personelle Verluste, dass ein Überleben nur in Kooperation möglich ist.

Doch noch eine andere Handlungsebene wird in die Auseinandersetzung mit hinein gerissen. Der Ein/Aus Stern hat einen Planeten, auf dem es Leben gibt, das sich an die extremen Umweltbedingungen angepasst hat. Sogar eine Zivilisation hat sich herausgebildet. Eine Spinnenzivilisation. In den Zeiten, da ihre Sonne nur ein trüber Fleck am Himmel ist, „überwintern“ die Spinne in der Tiefe. Eingegraben und in einer Art Winterschlaf, fern von der tödlichen Kälte der Oberfläche. Kehr die Sonnenwärme zurück, beginnt die Zivilisation auf den Trümmern der alten, immer ein Stückchen weiter entwickelt. Doch diese Generation beginnt etwas Neues. Scherkaner Unterberg ist ein Genie, dem es gelingt, das Spinnenleben umzukrempeln und gegen die Evolutionsschranken entwickelt er Möglichkeiten, die zwei Jahrhunderte lange Pause zu überwinden.

Dabei wird er beobachtet.

Im Orbit lauert der überlebende Rest zweier Expeditionen darauf, dass die Spinnen einen technologischen Stand erreichen, der es ihnen ermöglicht, ihre Schiffe für eine Heimreise zu reparieren.

Doch diese Gesellschaft der Überlebenden ist keine friedliche Kooperation. Thomas Nau, Hülsenmeister und damit Herr über alle Aufsteiger, installiert mit Gewalt, Betrug und Intrigen ein stabiles Regime, welches die Dschöng Ho gnadenlos ausbeutet. Er besitzt dazu ein perfides Mittel, dessen Ausmaße sich den Händlern erst nach und nach entschließt.

Fokus.

Durch eine spezielle Krankheit wird der Geist eines Menschen fokussiert, auf ein enges Thema programmiert, dass er mit enormer geistiger Geschwindigkeit bearbeitet. Ein fokussierter Mensch nimmt seine Umwelt nur wahr, soweit es dieses Thema betrifft. Er muss gefüttert und versorgt werden. Er ist kein Mensch mehr, sondern nur noch Maschine, dem Treue zum Hülsenmeister eingeimpft wurde.

Mit diesem mächtigen Mittel gelingt es Nau nicht nur, die Spinnenzivilisation zu erforschen, er kann sogar das bloße Überleben der Expedition in eine Weiterentwicklung wandeln.

Die Händler begehren natürlich auf.

Aber das System der Aufsteiger ist so perfekt, dass eine offene Rebellion schnell scheitert.

Hier helfen nur die langfristigen Pläne, wie sie Pham Nuwen meisterlich beherrscht.

Unerkannt bisher, erkennt er die enorme Macht des Fokus und so beginnt er, sie in seinen großen Plan eines galaktischen Dschöng Ho Netzwerkes einzubauen. Dafür muss er natürlich die Aufsteiger besiegen und so legt er sich auf die Lauer um auf seine Stunde zu warten.

 

Vernor Vinge schreibt keine Abenteuergeschichten. Oh, es gibt sehr viel Action. Doch ein jedes Abenteuer bildet ein kleines Steinchen in einem großen Kontext.

So erforscht er etwa die Bedeutung des Handels in einer tyrannischen Gesellschaft, zeigt auf, inwieweit Informationshoheit Macht und Abhängigkeit bedeutet und auch sein ureigenstes Thema, die Zivilisationsentwicklung, findet sich überall im Roman.

Pham Nuwen erlebt in Rückblicken Werden und Scheitern seiner Pläne, durch geschickte Manipulationen Kundenzivilisationen auf den Handel mit der Dschöng Ho optimal vorzubereiten. Dabei stellen sich dem Leser immer wieder die damit verbundenen Fragen, etwa über die Dauerhaftigkeit einer Hochkultur. Vinge geht davon aus, dass die Summe der Optimierungen über kurz oder lang jede derartige Kultur zusammenbrechen lässt. Er spricht von der Falle der Einplanetenkultur und zeigt immer wieder die Bedeutung von Expansion und Handel auf. Bis hin zum Erreichen einer Schwelle, die ins Transenz führt.

 

Stilistisch ist Vinge souverän. Geschickt vermeidet er es, das exotische Spinnenleben ausmalen zu müssen, indem er uns Übertragungen darbietet. Hier ist auch gleich mit besonderem Lob Erik Simon (ja, im Buch steht Sirnon, es ist aber trotzdem der Altmeister himself) als deutscher Übersetzer zu erwähnen, dem es oblag zu entscheiden, wann die Spinnenterminologie ins Deutsche zu übertragen und wann zu übersetzen sei. In einem Nachwort geht Simon darauf kurz ein, schade dass hier sein Name fehlt. Durch die Perspektivenwechsel geraten sowohl Handeln als auch Motive der Figuren immer wieder in neues Licht. Der Leser muss sowohl seine moralischen, als auch emotionalen Standpunkte dem Blick auf das Geschehen anpassen. Er leidet mit den versklavten Händlern, erforscht die Welt mit den Kindern Unterbergs und fiebert mit Ezr Vinh mit, wenn er Phams Geheimnis ergründet. Das Buch ist durchweg spannend, wenn man auch den Kapiteln etwas abgewinnen kann, in denen Vinge Phams Vision erläutert. Aber genau diese Abschnitte machen aus diesem Roman ein Hauptwerk der Science Fiction.

Das Titelbild ist bedeutungslos, dem Werk unangemessen. Zumindest verzichtet Heyne auf Seitenschinderei und belässt das an sich schon umfangreiche Werk in Normalformat und Font. Der Design-Wechsel zur 2003er Ausgabe ist in meinen Augen unnötig gewesen. Zumal gerade erst der Kurzgeschichten Band Die Tiefen der Zeit ebenfalls im Silberlook erschien.

 

Fazit:

Vernor Vinge ist zu den bedeutendsten SF-Autoren der Gegenwart zu zählen, auch „Eine Tiefe am Himmel“ ist ein ganz besonderer SF-Roman. Er ist im klassischen Sinne eine Utopie, anregend und zum Nachdenken zwingend. Eine unbedingte Leseempfehlung.

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Buch:

Eine Tiefe am Himmel

Autor: Vernor Vinge

Original: A deepness in the sky, 1999

Übersetzer: Erik Simon

Heyne, 2007

Taschenbuch, 815 Seiten

ISBN-10: 3453522230

ISBN-13: 978-3453522237

Erhältlich bei: Amazon

 


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Erstellt: 16.03.2007, zuletzt aktualisiert: 11.08.2024 14:18, 3643