Rezension von Christel Scheja
“Elfenseele – Hinter dem Augenblick” ist der erste Roman der 1979 geborenen Britin, die als Lektorin im Kinderbuchsektor arbeitet. Sie greift darin ihre eigenen Erinnerungen an die Landschaft um ihre Heimat Essex auf und vermischt sie mit den klassischen Sagen und Legenden um Elfen, Feen und Kobolde, mit denen sie wie jedes andere englische Kind aufgewachsen sein dürfte.
Tanya möchte eigentlich niemals wieder einen Tag auf Elvesden Manor zu verbringen, weil sie an die letzten Besuche nur schlechte Erinnerungen hat. Doch wie das Schicksal es will, muss sie diesmal einen ganzen Sommer auf dem abgelegenen Landsitz verbringen, fernab von den Dingen, die ein dreizehnjähriges Mädchen eigentlich interessieren.
Aber sie hat noch einen anderen Grund, die Rückkehr zu scheuen. Denn in dem alten Gemäuer scheinen die Feen, Elfen und Kobolde, die sie im Gegensatz zu anderen Menschen sehen kann, besonders zahlreich und feindselig zu sein.
Sie hat allerdings keine andere Wahl, als dem Wunsch ihrer Eltern zu gehorchen, auch wenn bereits die ersten Tage eine Qual sind. Einige der magischen Wesen zeigen ihr boshaft und offen, dass sie möglichst schnell verschwinden und es ja nicht wagen soll, ein Wort über ihre Existenz zu verlieren. Zudem benimmt sich ihre Großmutter schroffer und herrischer als sonst, und auch in Warwick, dem Verwalter des Anwesens und seinem Sohn Fabian findet sie nicht unbedingt Freunde und Verbündete.
In den Versuchen allen anderen aus dem Weg zu gehen, stößt sie auf ein Geheimnis, das alle anderen bisher vor ihr tot geschwiegen haben. Sie findet einen fünfzig Jahre alten Zeitungsausschnitt, auf dem vom Verschwinden eines Mädchens berichtet wird. Das verblichene Foto gleicht nicht nur einem Mädchen, dem sie bei einem ihrer unerlaubten Streifzüge im Wald über den Weg gelaufen ist, sondern scheint auch eine enge Freundin ihrer Großmutter Florence gewesen zu sein.
Da auch die magischen Wesen seltsam reagieren, beschließt Tanya, der Sache genauer auf den Grund zu gehen. Dabei erfährt sie nicht nur viele überraschende Dinge aus der Geschichte ihrer Familie und der Welt der Feen und Elfen, sondern gerät auch in lebensbedrohliche Gefahr.
Wie Holly Black und Tony di Terlizzi in ihren „Spiderwick“-Romanen zeichnet Michelle Harrison keine süße Anderswelt voller niedlicher und harmloser Feen sondern präsentiert die magischen Wesen so, wie sie in den Mythen früherer Generationen überliefert wurden – als boshafte Geschöpfe, die nur selten bereits sind, zu helfen, oft genug einen Preis für ihre Dienste fordern, nicht selten boshaft und manchmal sogar abgrundtief böse sind.
Tanya und ihre Freunde wissen oft nicht, wer Freund, wer Feind oder einfach nur Opfer ist und drohen mehrfach den Elfen und Feen zum Opfer zu Fallen. Das Motiv der Menschenkinder, die einfach durch Wechselbälger ausgetauscht werden kommt ebenso zur Sprache wie der „Seelie“- und „Unseelie-Court“. Wer sich selbst schon ein wenig mit der englischen Anderswelt-Mythologie auskennt, wird viele Anspielungen erkennen, aber auch Neulinge werden gut in die Märchen und Sagen eingeführt.
All das verbindet die Autorin mit alten Familiengeheimnissen, denen die Heldin in dem alten und zerfallenden Gemäuer auf den Grund gehen kann und einem düsteren Geheimnis, die sie mehr als einmal in Lebensgefahr bringt, da sie längst die Aufmerksamkeit von Mächten auf sich gezogen hat, die vor allem eines wollen: Rache.
Man merkt zudem, wie Tanya im Verlauf des Sommers immer reifer wird und ihre Einstellung ändert – das trifft auch auf Fabian zu, der von Tag zu Tag mehr zu einem Freund und Verbündeten wird.
Alles in allem bleibt die Geschichte von Anfang bis Ende spannend, da sich sehr schnell heraus stellt, wie oft die Wahrheit im Auge des Betrachters liegen kann, und das nichts und niemand der ist, der er vorgibt zu sein, nicht einmal die magischen Wesen der Anderswelt.
Weil die Handlung nicht immer leicht zu durchschauen ist und auch nicht gerade harmlos, dürften vor allem Kinder ab elf oder zwölf Jahren das Buch erst richtig genießen können. Immerhin ist das Buch in sich geschlossen, lässt aber ein paar Fragen offen, die durchaus auch noch in weiteren Geschichten geklärt werden könnten.
„Elfenseele – Hinter dem Augenblick ist für alle Leser und Leserinnen interessant, die inzwischen ein wenig aus den „Spiderwick“-Romanen gewachsen sind, aber von der magischen Welt der Elfen, Feen und Kobolde immer noch nicht genug bekommen können. Durch die etwas erwachsenere Handlung bekommen sie weitere spannende Facetten der Anderswelt gezeigt, die in Romanen für Jüngere vermutlich noch nicht angesprochen wurden, hier aber einen Großteil des Hintergrunds ausmachen.