Estelle - Dein Blut so rot von Bianka Minte-König
Reihe: Die dunkle Chronik der Vanderborgs, Bd. 1
Rezension von Christel Scheja
Die in Berlin geborene Literaturwissenschaftlerin Bianka Minte-König hat bereits Millionen von LeserInnen mit ihren zumeist romantischen Geschichten, die teilweise auch das Mystery-Genre streiften, begeistert.
Nun stellt sie ihre ganz eigene Variation des Vampir-Mythos vor – zwischen klassischem Vampirbild und düsteren Flüchen, die man aus dem Volksglauben kennt, bin hin zu den romantischen Vorstellungen unserer Tage.
Die Geschichte beginnt im Jahr 1904. Estelle ist die Tochter eines eher glücklosen, aber auch sehr ideenreichen Erfinders, der für den Variete-Zauberer „Der Große Pilati’“ arbeitet und immer neue magnetische Tricks entwickelt.. Mit seiner neusten Erfindung hat er großes vor – er will einen Vampir fangen und dann als Attraktion nach Berlin bringen.
Zu diesem Zweck reist er mit seinem Sohn Friedrich und seiner Tochter Estelle in die Karpaten. Hier wo auch der Roman von Bram Stoker spielt, der erst vor wenigen Jahren Furore gemacht hat, versucht er in einem heruntergekommenen alten Schloss, um dass sich düstere Legenden ranken, sein Glück.
Tatsächlich gelingt es ihm, die Maschine in Gang zu setzen. Doch dann explodiert sie fast und ein Überleitungsblitz trifft die ahnungslose Estelle. Die anderen wähnen sie schon tot, dann aber erwacht das Mädchen wieder zum Leben.
Weder Bruder noch Vater ahnen, dass die Seele Estelles tatsächlich aus dem Körper gewichen ist. Diesen bewohnt jetzt der Geist der zu ewigem Leben verfluchten Eleonore. Die junge Frau musste im 16. Jahrhundert sterben, weil sie ihrem Landesherren nicht zu Willen war und schwor sterbend Rache. Eine dunkle Macht gewährte sie ihr und schenkte ihr nicht nur einen neuen Körper sondern auch die Kräfte einer Vampirin.
Eleonore versucht sich als Estelle einzurichten, doch das Leben im Berlin des Jahres 1904 ist nicht gerade leicht. Vor allem wenn man immer wieder einen dunklen Hunger stillen muss und ein sensationsgieriger Reporter die Spur aufgenommen hat.
Sie entwickelt unschwesterliche Gefühle zu ihrem Bruder Friedrich und verliert diese erst, als der junge Mann sich bei der Armee meldet und Eleonore-Estelle sich schließlich nach einem Ehemann umsieht, um ihre eigenen Gefühle in den Griff zu bekommen, denn sie hat zum ersten Mal das Gefühl trotz allem wieder zu leben.
Doch dabei begeht sie einen folgenschweren Fehler, denn sie erhört nicht das Gesuch eines schmucken jungen Adligen, zu dem sie schon bald Gefühle entwickelt, sondern nimmt das Angebot eines reichen Fernhandelskaufmanns an, um die Finanznot des Vaters zu beenden...
„Estelle – Dein Blut so rot“ ist in der Hinsicht interessant, dass die Geschichte tatsächlich etwas anders ist als die gängigen Romanzen um die schönen Unsterblichen und ihre geliebten Frauen. Zum einen ist die Heldin selbst eine Blutsaugerin. Sie ist auf eine Weise unsterblich geworden, die eher dem Volksglauben als der Literatur entnommen ist und folgt zumindest einigen klassischen Mustern, die man auch aus „Dracula“ und „Carmilla“ kennt.
Die zweite Abweichung besteht im Setting. Das ausgehende 19. und frühe 20. Jahrhundert ist meist der Hintergrund für Steampunk-Romane und weniger für phantastische Romanzen. Hier bietet sich für die Autorin die Möglichkeit auch auf historische Entwicklungen hinzuweisen und ihre eigenen Interpretationen anzubieten, auch wenn die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nur sehr rudimentär im Roman eine Rolle spielen. Dennoch könnte sie damit das Interesse des ein oder anderen Lesers wecken, der bisher kaum etwas über die wilhelminische Zeit in Deutschland und die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg weiß.
Die Geschichte konzentriert sich allerdings mehr auf das Seelenleben der Heldin, die nur noch nach außen hin Estelle heißt, aber eigentlich Eleonore ist. Rückblenden in Form von Erinnerungen erzählen ihre dramatische Vorgeschichte und machen den Fluch nachvollziehbar, den sie auf sich gezogen hat. Zugleich versucht sie sich in dem neuen Jahrhundert zurecht zu finden und dessen Spielregeln zu lernen.
Zudem erfährt man, welchen Einschränkungen Frauen auch im 20. Jahrhundert noch unterlagen, selbst wenn ihre Familie eher zu den Künstlern und Bohemes gehört. Zentraler Punkt ist aber die Liebesgeschichte, die sich ebenfalls von der vieler anderer Romane unterscheidet, ist sie doch sehr tragisch und düster.
Man merkt spätestens am Ende, dass der Roman nur der Auftakt einer Trilogie ist, denn einige sehr wichtige Handlungsfäden bleiben offen, auch wenn die Geschichte ein vorläufiges Ende findet.
Alles in allem bleibt „Estelle – Dein Blut so rot“ dennoch in erster Linie für Leserinnen interessant, da sich das Buch zu sehr auf die dramatische Liebesgeschichte konzentriert und die phantastischen Elemente eher in den Hintergrund stellt, so dass Genrefans eher gelangweit sein dürften.
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