Rezension von Katrin Kress
Klappentext:
Keith Neudecker, der im World Trade Center gearbeitet hat, kann sich am 11. 9. aus einem der brennenden Türme retten. Er sieht, was geschieht, ohne es zu begreifen, und schlägt sich wie in Trance zu seiner Ex-Frau Lianne und seinem kleinen Sohn Justin durch. In ihrer Verzweiflung klammern sich Keith und Lianne aneinander, sie wollen aus der Einsamkeit der Angst in ein gemeinsames Leben zurückfinden. Gespräche, vor allem in Liannes Familie, kreisen um den Schock, um den Terrorismus als ständige Bedrohung. Justin und seine Freunde versuchen im Spiel ihre Angst vor den Terroristen zu überwinden. Keith durchlebt immer wieder das Trauma der Flucht aus den Türmen, und Lianne irrt ziellos durch die Stadt. Und dann sieht sie voller Entsetzen Falling Man, einen Performance-Künstler. Nur mit einem Seil gesichert, stürzt er sich als Chronist des Zeitalters des Terrors hoch oben von den Wolkenkratzern in die Tiefe. Der Terror bestimmt die Realität, aus der sich Keith, letztlich unfähig zu lieben, in die glitzernde Scheinwelt von Las Vegas zurückzieht - als professioneller Pokerspieler. Lianne und Justin bleiben zurück in New York.
Zum Inhalt:
Don DeLillo spürt in seinem Roman der durch die Terroranschläge eingeläuteten Zeitenwende nach und zeigt ihre traumarisierenden Auswirkungen auf den einzelnen Menschen, die Familie, die amerikanische Gesellschaft und die globalisierte Welt. Alles wird ab diesem zum Symbol gewordenen Datum an einem „Danach“ gemessen und zugleich frisst sich wie ein Krebs die Angst vor dem, was als nächstes kommt, in die Köpfe. Die Fassaden der Sicherheit und Selbstverständlichkeit sind zerbröselt: „Vielleicht war nichts mehr normal. Vielleicht gab es eine tiefe Kluft in den Fasern der Dinge, in der Art, wie die Dinge durch den Geist ziehen.“
Mit seinem neuen Roman stellt Don DeLilllo einmal mehr unter Beweis, wie virtuos und souverän er solche Themen behandeln und greifbar, ja vielleicht
Im Mittelpunkt von Falling Man steht die Kleinfamilie von Keith, Lianne und Justin. Keith entkommt aus einem der Twin Towers, schwer gezeichnet und mit einer fremden Aktentasche in der Hand zieht es ihn magnetisch zu Frau und Kind, von denen er schon über ein Jahr getrennt lebt.
DeLillo wechselt in seinem Roman zwischen den verschiedensten Zeit- und Gesellschaftsebenen, zwischen den verschiedensten Menschen und ihren intimen Beziehungen hin und her. So streift er eine Gruppe Demenzkranker in New York ebenso wie eine Al-Quaida Terrorzelle in Hamburg oder einen zwielichtigen ehemaligen deutschen Linksterroristen. Aus schnell abfolgenden Fragmenten und meisterhaften Miniaturen setzt er ein Spektrum des Terrors und seiner Auswirkungen zusammen: So suchen Kinder den Himmel mit einem Fernglas nach Flugzeugen ab, wispern voller Angst von einem Bill Lawton (= Bin Laden) und „warten darauf, dass es wieder passiert“. Und so stürzt sich in den Straßenschluchten von Manhattan der titelgebende Performance-Künstler „Falling Man“ von den Hochhäusern in die Tiefe und perpetuiert den Schmerz und den Schock der aus den Twin Towers gesprungenen und gefallenen Menschen.
Falling Man ist meiner Meinung nach der treffenste Roman zu den Ereignissen und Veränderungen am und nach durch den 11. September. Dieser wird getragen von der Art wie DeLillo diesem Thema begegnet und es schafft das innerste der Menschen zu berühren ohne rührselig zu werden. Er spricht die Dinge direkt an und bringt sie auf den Punkt ohne die Sensations- Gier zu nutzen. Mit kleinen poetischen und leicht surreal angehauchten Sprengsätzen durchbricht er dabei immer wieder den Blick des Gewohnten und lässt aus dem scheinbar Bekannten das Besondere und Überraschende hervorleuchten – und sei es nur in Gestalt eines weißes Hemdes, das langsam und symbolträchtig vor den zusammenstürzenden Twin Towers durch die Luft flattert.
Fazit:
Mit diesem Buch ist es endlich gelungen, die durch die Medien eingebrannten Bilder dieses Tages zu überlagern und den Blick auf eine andere Ebene und Sichtweise der Ereignisse zu öffnen. Nachdem sich schon unzählige Autoren und Regisseure an diesem heiklen Thema versuch und meistens gescheitert sind, schafft es Don DeLillo endlich genau den Kern der Sache zu treffen.
Beeindruckend !