Rezension von Christine Schlicht
500 Jahre nach dem letzten Weltuntergang …
Das Dorf Malbry im Tal des Strond liegt weit ab von dem, was man die zivilisierte Welt nennt, aber eben noch in ihrem Einflussbereich. Die Leute gehorchen den neuen Herrn der Welt, die in „Weltenende“ weit im Süden des Landes regieren, dem Orden, der die Träume verbietet und alle, die zu fantasievoll sind, als Bedrohung betrachtet. Das Mädchen Maddy, die unkonventionelle Tochter des Schmieds, ist vielen daher ein großer Dorn im Auge. Einerseits macht man sich ihre Zauberkräfte gern zu Nutze, wenn zum Beispiel wieder einmal Kobolde im Keller der Schänke zu den Sieben Schläfern ihr Unwesen treiben. Andererseits wird vehement bestritten, dass es Kobolde gibt und so behauptet die Wirtin, Mrs Scattergood, steif und fest, es seien bloß Ratten. Ist aber froh, wenn Maddy sie beseitigen kann.
Maddy, die in ihrer Hand ein Runenmal hat und damit ohnehin als Ausgestoßene gilt, in einer Zeit, in der alles, was mit Magie, Zauberei oder auch nur mit Fantasie und Träumen zu tun hat, seit der "Orden" das Sagen hat, ist das alles wohl bewusst. Sie fürchtet sich dennoch nicht, ihre Sicht der Welt offen zu zeigen und die Magie zu benutzen, die in ihr steckt, und die von ihrem Freund, dem Vagabunden Einauge, geschult wird. Sie hält es nicht mal wirklich geheim, obwohl sie befürchten muss, dass sie eines Tages möglicherweise an den Orden verpetzt wird, der auf Geheiß des unbekannten Namenlosen ein strenges Regime führt und für den nur gilt, was im "Buch der Bücher" steht. Die Geschichten, Sagen und Legenden des Feuervolks, der alten Götter, werden vom Orden als Unsinn und Lüge gebrandmarkt. Alle, die dem nicht entsprechen, werden examiniert oder sogar geläutert – was wohl gleichbedeutend mit dem Tod ist.
Was sie wirklich anrichtet, erfährt Maddy von Einauge, ihrem einzigen Vertrauten. Der Fremdländer, der im Gesicht ein ähnliches Runenmal trägt wie sie auf der Hand, macht das Mädchen schon seit ihrem siebten Lebensjahr mit den Geschichten der alten Götter, des Feuervolks, vertraut. Er hat ihr auch das Lesen beigebracht und ihre Fähigkeiten immer weiter geschult und verbessert. Als sie mit den Kobolden im Keller kämpfte, hat sie einen Weg in die Druntenwelt geöffnet.
Damit ist die Zeit gekommen, da Maddy eine besondere Mission erfüllen soll. Durch den Rotpferdhügel soll sie in die Druntenwelt hinabsteigen und dort den "Flüsterer" bergen. Wer oder Was das ist, und was es mit dem „Flüsterer“ auf sich hat, verschweigt ihr Einauge allerdings. Sie erfährt nur so viel, dass der Namenlose die Welt ins nichts stoßen will und es nur aufhalten kann, wer den Flüsterer als Faustpfand besitzt.
Maddy vertraut ihm und öffnet einen Zugang, nachdem sie sich eines unliebsamen Beobachters entledigt hat. Adam Scattergood beobachtet sie und will sie und Einauge verpetzen, doch er bekommt erst einmal eine Lehre erteilt.
Sie macht sich auf den Weg in die unbekannte unterirdische Welt. Dort begegnet sie erst einmal wieder dem Kobold, den sie schon im Keller gebannt hatte und dessen Namen sie kennt. Sie kann ihn damit zwingen, ihr zu helfen.
Obwohl sie Einauge versprochen hatte, niemandem zu trauen, der ihr dort unten begegnet, vertraut sie sich einem Jungen an, der dort unvermittelt auftaucht. Zu spät erkennt sie, dass es sich um einen der wenigen Götter handelt, der den letzten großen Krieg und den „Weltuntergang“ überlebt hat – niemand anderer als Loki der Listenreiche. Er hat den Flüsterer einst gebannt und hält ihn in einer Feuergrube gefangen, jedoch reicht seine Macht nicht mehr aus, ihn dort wieder heraus zu holen.
Loki enthüllt Maddy die wahre Identität Einauges – er ist niemand anderes als Odin selbst, der Herrscher der Alten Zeit. Es wird wieder Krieg geben und den kann nur entscheiden, wer das allwissende Orakel auf seiner Seite hat – den Flüsterer, der Stein, den Maddy bergen soll. Sie, das Mädchen mit dem unversehrten Runenmal, das niemand anderes ist, als die Tochter des Donnergottes Thor, die Enkelin Odins.
Maddy gerät in Wut über das Intrigenspiel Lokis und es stellt sich heraus, das ihre Macht sehr viel größer ist, als die der alten Götter. Sie kann Loki bannen und das Runennetz, das den Flüsterer gefangen hält, lösen. Der Stein mit der seltsamen Fratze ist tatsächlich ein Orakel – aber ein schlechter Ratgeber. Doch als Maddy das erkennt, ist es fast schon zu spät und der neu entflammte Krieg droht alles zu vernichten.
Da kommt man richtig ins Schwärmen, wenn man ein Buch von cbj in die Hände bekommt. Diese Aufmachung ist immer wieder eine Augenweide und ein Schmuckstück für das Bücherregal, auch wenn man sich wünschen würde, dass man sich bei cbj mal für Bücher des gleichen Genres auf ein Format einigen würde (Feuervolk ist ein üppiges Großformat und hat so biblische Ausmaße. Die Anthologie „Flammenflügel“, die man zwangsläufig auch in die Kategorie „Fantasy“ einreihen muss, ist deutlich kleiner). Nichtsdestotrotz – ein Hardcover mit einem aufwändigen, geprägten Schutzumschlag, hervorragendes Papier und sauberer Druck auch bei den Grafiken, einfach ein haptischer und optischer Genuss, davon wünscht man sich doch gern mehr.
Das Buch wird als Lesestoff ab 12 Jahren angeboten, doch das dürfte etwas niedrig angesetzt sein. Die Sprachfülle und der Schreibstil von Joanne Harris sind wirklich grandios – für Erwachsene. Jugendliche dürften ihn als etwas zäh empfinden, außer vielleicht, sie sind schon durch den Herrn der Ringe an epischen Lesestoff gewöhnt. Nur weil ein 14-jähriges Mädchen die Protagonistin ist, müssen Jugendliche mit dem Stoff nicht klarkommen. Harris benutzt eine höchst anspruchsvolle Sprache.
Leider wird das ständige ausführliche Runengewirke ist auf die Dauer etwas langweilig. Es hätte genügt, es am Anfang ausführlich zu beschreiben, was es bewirkt und was es damit auf sich hat, aber das die gleichen Sätze immer wieder auftauchen bremst die Lesegeschwindigkeit stellenweise ganz schön aus. Wenn Maddy zum zehnten Mal Yr, Naudr oder Bjarkan wirkt, überspringt mal die Textstellen.
Die Welt von Maddy ist eine interessante Variante des alten nordischen Weltbilds der Weltenesche und ihrer Aufteilung in Ober-, Mittel- und Unterwelt und deren verschiedenen Stufen. Man vermeint, die Welt von der Joanne Harris spricht, genau zu kennen, zumal die Karte von Maddys Teil der Mittelwelt (oder vielleicht doch besser Midgard?) Welt eine vage Entsprechung von England und Irland zu sein scheint. Auch Namen und Ortschaften lassen auf diesen Hintergrund schließen, aber es komme doch immer wieder Dinge, die dem widersprechen. So kann man den Eindruck bekommen, es handele sich doch um eine ganz andere, eigene Fantasywelt. Man kann aus Bekanntem also doch wunderbar Unbekanntes machen und umgekehrt. Oder kommt Maddys Welt erst noch, weil Ragnarröck für uns noch bevorsteht? Eine Zukunftsvision vielleicht? Zurück ins Mittelalter?
Wie auch immer, die Freunde epischer Fantasy werden mit Joanne Harris Feuervolk für die kommenden langen Winterabenden gut gewärmt sein.