Flam oder Diesseits und Jenseits (Autor: Bernd Ulbrich)
 
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Flam oder Diesseits und Jenseits von Bernd Ulbrich

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Der unbedarfte Freund der utopischen Literatur mag erstaunt sein, wenn man liest, dass Bernd Ulbrich zu DDR-Zeiten unter einem Veröffentlichungsverbot stand.

Störgröße M und Der unsichtbare Kreis stehen doch wie selbstverständlich im Bücherregal.

Doch schaut man auf die Erscheinungsdaten, 1977 und 1980, erkennt der nun wachsamere Leser, dass da tatsächlich ein großes Loch klafft. Die Taschenbuchausgabe der Störgröße M in der Reihe SF-Utopia erschien 1990. Dem Jahr 1 der Neuen Deutschen Republik.

Der Leser muss das nicht wissen, um „Flam“ erleben zu können. Er wird es spüren, erraten und wissen, dass nur jemand so darüber schreiben kann, der es ertragen hat.

„Flam“ ist ein Buch, dessen unterschiedliche Sphären voller Persönlichkeit stecken. Und das Besondere daran ist, dass dem Buch jegliche Rechthaberei oder Gehässigkeit fehlt.

Trotz aller Schärfe in der Beobachtung, in den Analysen und Sektionen, ist „Flam“ eine Anbetung der Liebe.

Der Romantiker nimmt es als Essenz, der Realist sieht dahinter einen konsequenten dramaturgischen Aufbau, der bei den Theatererfahrungen Ulbrichs zu erwarten ist.

Doch so leicht lässt sich das Buch nicht kategorisieren und es ist sogar unmöglich. Ulbrich webt seinen Stoff nicht zu einem bunten Tuch, vielmehr gehen seine Fäden in alle Dimensionen, berühren uns scheinbar zart und bilden doch einen festen Strang quer durch Alles.

Die Handlung ist dicht, ohne dass es der Leser sofort merkt. Ulbrich bricht sie immer wieder an den Gedanken seiner Figuren. Von Beginn an sind Handlung und ihre Reflexion eins. Das macht es schwer einzudringen. Doch hat man die nachgiebige Trennschicht überwunden und beginnt, den Gefühlen und psychologischen Verästelung des Geistes nachzuspüren, kommt man gar nicht mehr los, vom Stoff so wenig, wie von den Charakteren.

Roberts Isk und Doktor Hubert Flamberger sind dabei, als an der Bornholmer Straße der Vorhang für den Schlussakt der DDR fällt. In einem lebensgefährlichen Wirbel aus Gewalt, Mob und Wunderwünschen, erleben die beiden eine nächtliche Berliner Odyssee, die den Rausch des geschichtlichen Höhepunktes widerspiegelt. Ulbrich nimmt den Leser mit auf eine kleine Zeitreise, ruft Erinnerungen wach, verteilt mentale Souvenirs ohne auch nur ansatzweise eine Historie der Ereignisse erstellen zu wollen. Mit Visionen und Wundern durchsetzt ist Ulbrichs Darstellung eine glasklare Analyse, ohne Pathos, ohne Verklärung.

Später erfährt der Leser, dass Robert Jahre vor dem Zusammenbruch der DDR, sich genau diesen erwünscht hat. Flam, der das Bewusstsein des Marquis de Charonne, Jean-Louis Flamery, darstellt, der vom Höchsten Wesen in den toten Körper Flambergers versetz wurde, 200 Jahre nach seiner Enthauptung durch das Pariser Volk - dieser französische Edelmann im Leib des Inoffiziellen Mitarbeiters der Stasi, hat sich vom Höchsten Wesen drei Wünsche täglich ausbedungen, als schmaler Trost für die Rückkehr ins menschliche Jammertal. Roberts bierseeligen Wunsch, gab er weiter und nun also zerfällt der Staat der Arbeiter und Bauern.

Flam erlebt erneut die Mysterien einer Revolution. Die Situation zu Beginn des Romans erinnert an „Aufruhr der Engel“ von Anatole France.

Doch Ulbrich hat neben die vielschichtige Untergangsstimmung eine viel stärkere Macht gestellt: Die Liebe.

In fast größerem Umfang ist „Flam“ nämlich ein Buch über die Liebe. Sie bestimmt nicht nur die Handlungen der Menschen, auch das Höchste Wesen, die Entität, der Flam seine Wiedergängerei verdankt, spielt jenes himmlische Spiel. Die wahre Liebe, ein Geheimnis, dass uns umtreibt, der man verfällt und die uns Schmerzen über alle Maßen zuzufügen vermag, ist das große Thema von Bernd Ulbrich.

Dabei entfaltet das Buch eine unglaubliche Kraft. Die Intensität, mit der Ulbrich seine Liebe erfindet und mit ihr Seite um Seite füllt, überträgt sich auf den Leser. Die kalte Zeit des Winters beginnt den Frühling zu atmen. Dabei schmilzt Ulbrich mit seinen Lesern nicht dahin, Kitsch ist im gesamten Roman nicht zu finden, vielmehr sind es kraftvolle Sequenzen, Monologen eines Theaterstückes gleich, die das Innenleben der Figuren beleuchten und offenlegen.

Der gestürzte ZK-Mitarbeiter Münzpeter, der nun fädenziehender Pförtner eines Westberliner Theaters ist, die junge Schönheit, die Ornella Muti ähnelt und dabei ist, ihre Anforderungen an ihr Leben neu zu setzen, die Osttheaterleute, denen ein Weg zwischen Kunst und Kommerz versagt bleibt und viele weitere Geschichten um Figuren, die sich am Leben messen und immer wieder über die Liebe stolpern, im Guten, wie im Schlechten.

Denn da ist auch Louise. Roberts große Liebe, die im Schatten egoistischer Mächtiger, überdauert, die Opfer fordert und darüber hinaus ausstrahlt. Wenn Louises Versuch, in die DDR zurückzukehren scheitert, beginnen unbeteiligte Menschen Mitgefühl und Liebe zu entdecken.

Zwischen den intriganten und korrupten Zeitgenossen findet Ulbrich Menschen, deren Liebe Veränderungen gebiert.

Zwar verweigert sich Ulbrich reinen Schwarz/Weißmalereien, dennoch bleibt er einer klassischen Ausprägung der Charaktere treu. Sein Romeo und seine Julia sind die unbestechlich Braven, die der Welt die Zähne zeigen.

So endet dieses große Buch auch groß, mit einem Ende im Anfang, einem Anfang im Ende und es bleibt dem Leser ein deutlicher Eindruck vom Gestern.

 

Fazit:

Ulbrichs Leistung mit „Flam“ liegt darin, uns eine Zeit zu vergegenwärtigen, die unser Jammern und unser mangelndes Gedächtnis zensieren. Die Kraft seiner Sprache und das leichte Spiel mit seinen Figuren, sind brillant. Flam oder Diesseits und Jenseits verdient es sich, ein bedeutendes Werk deutscher Literatur genannt zu werden.

 

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Flam oder Diesseits und Jenseits

Autor: Bernd Ulbrich

trafo Verlag, 2005

Umschlagbild: Norbert Thürich

515 Seiten

ISBN: 389626477x

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 06.03.2006, zuletzt aktualisiert: 29.08.2024 16:01, 1947