Gehenna: Die letzte Nacht (Autorin: Ari Marmell)
 
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Gehenna: Die letzte Nacht von Ari Marmell

Ein Wettlauf gegen den Untergang

Reihe: Vampire: Die Maskerade

Rezension von Marcel Dykiert

 

Jahrtausendelang haben sich die Vampire, versteckt in den Schatten der sterblichen Gesellschaft, von den Lebenden genährt. Legenden behaupten, die Untoten stammten von Kain, dem biblischen ersten Mörder, ab, der seinen Fluch durch sein Blut weitergegeben habe. Jene Legenden sprechen auch von einer letzten Abrechnung, wenn Kain und seine wahnsinnigen Kinder sich aus dem Schlummer erheben und alle Untoten verschlingen werden. Die Vampire nennen diese Zeit Gehenna.

Für den Vampir Beckett, einen Forscher unter den Untoten, bedeutet sie eine letzte Möglichkeit, die Mysterien der Brut Kains zu verstehen - und vielleicht der Strafe für seine eigenen Sünden zu entfliehen.

Gehenna: Die Letzte Nacht ist der erste Akt der Zeit der Abrechnung, der die Geschichte einer welterschütternden Katastrophe unter den übernatürlichen Wesen der Welt der Dunkelheit erzählt.

Der erste Akt eines dreiteiligen Dramas.

 

Jede Kultur, sogar die der Untoten, hat ihre eigenen Mythen über das Ende der Welt. Gehenna nennen die Blutsauger jenes Ereignis, das sich eines fernen Tages anschickt, die Vampire vom Angesicht der Welt hinfort zufegen.

Seit wann die Legenden über den Untergang von Kains Brut im Umlauf sind, wissen wohl nicht einmal die ältesten Nodisten, doch wie alle anderen Gesellschaften auch, sind die Vampire im Laufe ihrer langen Geschichte zu dem Schluss gekommen, dass die Legende von den letzten Tagen am Ende wohl genau das ist: eine Legende.

Beckett, ein Gangrel und Nodist muss allerdings im vorliegenden Band die Entdeckung machen, dass Gehenna nicht nur kein Mythos ist, sondern weite Passagen der Abschnitte über das Ende der Welt wie die Vampire sie kennen recht wörtlich zu verstehen sind.

Doch eines nach dem anderen: In Kayseri gelingt es Beckett einen seiner ältesten Freunde und Wegbegleiter Okulos, einen Nosferatu - letzterer der beiden Ausdrücke war in der Welt der Untoten ja schon immer die bessere Umschreibung für etwas, was bei anderen Wesen vielleicht unter Freundschaft fallen könnte - aus der uralten Ruinenstadt zu befreien. Dieses Kunststück gelingt ihm mit Hilfe einer kräftigen Portion Magie, ein Gebiet, auf dem die wenigsten Gangrel als bewandert gelten, doch beweist sich Beckett im Laufe der Geschichte auch in allen anderen möglichen Disziplinen (härter Kämpfen als Assamiten, besser Zaubern als Tremere, durchtriebener Intrigieren als Brujah Bosse usw.) und so sollte man sich als Leser nicht gleich zu Anfang irritieren lassen. Sozusagen en passant weckt er dabei mit seinem magischen brachial Rundumschlag noch jemanden, doch merkt er davon zunächst nichts und eigentlich spielt das auch keine große Rolle.

Okulos, der jahrelang in den von klagenden Geistern bewohnten Ruinenstadt zugebracht hat, ist kaum mehr als ein sabbernder Irrer, der seinen Befreier am liebsten als Mitternachtssnack verputzen würde, aber Beckett legt ihn kurzerhand flach und trifft verwundert einen zweiten Vampir namens Kapaneus, der Kayseri als selbstgewähltes Exil für einige Jahrhunderte bewohnte. Das dies weder seinem Geist, noch seinem Körper geschadet hat, wundert nur den Leser, für Beckett ist das ganz normal.

Während Okulos also in eine lange Phase der Rekonvalesenz tritt, machen sich Beckett und sein neuer Freund Kapaneus auf, um herauszufinden, was denn faul ist im Staate Dänemark. Nicht nur, dass Camarilla und Sabbat sich in heftige Gefechte verwickelt sehen - daran wäre ja an und für sich nichts ungewöhnliches, beginnt auch noch eine rätselhafte Krankheit, die schnell den Namen "das Welken" erhält, um sich zu greifen. Es welken vor allem die Älteren unter den Jägern der Nacht. Kräfte lassen nach oder sind doch nicht mehr so gut zu kontrollieren, reihenweise fallen die Ghoule und sonstige Schöpfungen um und die jungen Wilden, die sogenannten Dünnblütigen, erheben sich gegen die Ordnung der Dinge, in denen die uneingeschänkten Herren die mächtigen Alten waren. Doch gibt es ein probates Mittel gegen die Wirkung der mysteriösen Krankheit und die besteht im Verzehr der Dünnblütigen ... Doch ist nicht auch davon in den Prophezeiungen über Gehenna die Rede?

Das Welken und die daraus resultierende Massenpanik unter den Vampiren ist sicherlich eines der augenscheinlichsten Probleme, doch längst nicht alles. So sind z.B. die Tremere verschwunden, ein ganzer Clan dahin! Kreaturen des Abgrundes und der Legenden wandeln über das Angesicht der Erde und am Ende müssen sich selbst die größten Skeptiker fragen, ob Gehenna nicht vielleicht tatsächlich über sie gekommen ist und die Altvorderen, die Clansgründer und am Ende Kain selbst sich erhebt, um den Vampiren ein für allemal den Garaus zu machen.

Beckett und Okulos spielen also gegen die Zeit, immer auf der Suche nach Antworten auf Fragen, die vielleicht in letzter Instanz nicht zu beantworten sind. Ihre Suche führt sie in die Türkei, nach Monaco in die USA und den Irak und die ehemaligen Ostblockstaaten - am Ende wartet jedoch eine Überraschung auf sie, mit der sie wohl nicht gerechnet hatten.

Und auch der Leser - so viel kann ich wohl versprechen - dürfte ob dieses Machwerks mehr als nur einmal überrascht sein.

 

Mehr als ein Jahrzehnt dauert sie nun schon, die Herrschaft des Rollenspielsystems "Vampire - die Maskerade" und nun, da man sich, zu meiner unendlichen Überraschung, entschlossen hat, einen Schlussstrich unter die Erfolgsgeschichte zu setzen, da lässt man doch tatsächlich einen "Schriftsteller" ans Werk, der zuvor noch nicht einen einzigen Roman veröffentlicht hat! Was bei dem interessanten Projekt herauskommt, hätte eigentlich niemanden überraschen dürfen: Papiermüll in Buchform! Zwar merkt man Ari Marmell von Seite eins ab an, dass er ein großer Fan und vermutlich begeisterter Spieler des Systems ist, nur macht ihn dieser Umstand offensichtlich nicht zu einem Autor.

Das Hauptproblem des Projekts ist eigentlich systemimmanent. Zog mich Vampire von der ersten Stunde ab magisch an, merkte ich als Spieler schnell, dass das ganze Konzept eigentlich unmögliches vom Erzähler und auch von den Spielern verlangt.

Was man sich vorgestellt hat, war eine Welt voller Intrigen und Pläne, voller Macht und dunklem Glanz. Was man regelmäßig bekommen hat, waren mäßig interessante Kämpfe und die völlige Abwesenheiten der Verzweiflung, der Angst oder des Rausches, den das untote Dasein idealer Weise bedeuten sollte. All dies fehlt dem System völlig, weil es in dem Zusammenspiel von mehreren Menschen kaum hergestellt werden kann ... und siehe da, es geht auch dem Roman völlig ab. Keine Intrigen, keine Raffinesse und nirgends auch nur ein Hauch von Subtilität. Selbst Grausamkeit wird noch mit Blutrünstigkeit verwechselt und so wird aus dem interessanten Machtspiel ein tumbes Gemetzel, das die Grenzen des guten Geschmacks mehr als nur einmal überschreitet.

Ähnlich verhielt es sich mit den Figuren. Soll ich tatsächlich glauben, dass Wesen, die mehrere hundert Jahre alt sind, jedes Mal einen Tisch zertrümmern, wenn sie wütend sind? Systematisch wurden aus Schreckgespenstern Witzfiguren, die keiner ernst nehmen kann, weil sie es so dringend nötig haben, ihre Macht zu beweisen. So führen sich auch die ältesten und mächtigsten Protagonisten des Buches wie eine Bande kleiner Kinder auf, die sich und ihre Untergebenen anblöken und dabei ungefähr so mächtig und furchteinflössend wirken, wie ein zeternder Donald Duck.

Nicht nur, dass die Handlung also von ganz und gar überflüssiger Action dominiert wird, sie tötet auch jegliche Spannung im Keim, da die Auflösung der Fragen, die Beckett und Kapaneus nachgehen, bereits im Titel beantwortet wird. Hinzukommt, dass der Untergang der Vampire m.E. nach etwas breiter hätte angelegt werden müssen. Mit gerade einmal 400 Seiten wird der Geschichte einfach nicht genug Raum gewährt, ich meine, hey, wir sprechen hier immerhin über Gehenna! Das hätte doch etwas mehr als nur diesen Fußnoten Abklatsch eines Romans verdient, oder etwa nicht?

Abgerundet wird der negative Gesamteindruck durch schriftstellerische Mängel wie lachhaften Dialogen, höchst eindimensionalen Charakteren, die sich allesamt so stark ähneln, als hätte man eine einzige Figur ein paar Mal geklont und ein paar Sprüngen und Löchern in der Handlung, die ihresgleichen suchen. Das I-Tüpfelchen ist die schlampige Übersetzung.

 

Mit "Gehenna" liegt ein Roman vor, der ja sowieso von allen Fans gekauft wird, denn man will ja schließlich wissen, wie es endet. Das verstehe ich gut, immerhin war es auch meine Motivation zum Buch zu greifen, aber als einsamer Rufer kann ich nur appelieren: Lasst es!

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Buch:

Gehenna: Die letzte Nacht

Autor: Ari Marmell

Reihe: Vampire: Die Maskerade

Übersetzer: Manuel Krainer

Feder & Schwert, 2004

Taschenbuch, 405 Seiten

 

ISBN: 3935282982

 

Erhältlich bei Amazon


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Erstellt: 12.10.2005, zuletzt aktualisiert: 03.12.2021 16:09, 1347