Geköpft und gepfählt (Autorinnen: Angelika Franz und Daniel Nösler)
 
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Geköpft und gepfählt von Angelika Franz und Daniel Nösler

Archäologen auf der Jagd nach den Untoten

 

Rezension von Thomas Jeenicke

 

Die langlebigen Spuren der Untoten

 

Fokus-Online titelte: »So schützten sich unsere Vorfahren vor Zombies«. Zurückhaltender dagegen fragte Spiegel-Online in einer Kapitelüberschrift: »Brandlehm gegen Untote?« Das klingt nach Fantasy, hat aber doch realweltliche Hintergründe.

 

Im August 2017 informierte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in einer Pressemitteilung über die Ergebnisse jüngster Ausgrabungen östlich von Theißen, auf dem Areal einer geplanten Umgehungsstraße. Kernstück der Funde bildet eine Siedlung aus slawischer (frühmittelalterlicher) Zeit, es lässt sich jedoch eine Besiedlung des Gebietes bis zurück ins Endneolithikum nachweisen. Ein Begräbnis aus wahrscheinlich eben jener jungsteinzeitlichen Epoche erregt besondere Aufmerksamkeit: ein Mann wurde mit gebundenen Armen und einer kompakten Brandlehmschicht über dem Bauchbereich bestattet. Hatte man etwa die Sorge, der Verstorbene könnte von selbst wieder aus seinem Grab steigen? Sicher nachweisen lässt sich das natürlich nicht, aber die Pressemitteilung selbst möchte diese Lesart ausdrücklich nicht ausschließen: »Möglicherweise könnten solche Befundumstände als Schutzmaßnahme vor Wiedergängertum des Toten interpretiert werden.«

 

Eine zweite Pressemitteilung folgte im Oktober. Auch unter den neuen Entdeckungen war ein auffälliges Begräbnis, diesmal aus der Merowingerzeit (6. Jahrhundert). Der Mann wurde in Bauchlage, mit dem Gesicht nach unten, bestattet. Die vor dem Becken gelagerten Hände könnten wiederum gebunden gewesen sein. Auf Rücken und Kopf des Toten lag eine Art Eisenstange, von einem halben Meter Länge. Möglicherweise war die Stange ursprünglich durch den Torso getrieben worden, um den Körper zu fixieren, fiel dann aber später zur Seite. Die Bauchlage kann ebenfalls als eine Vorsichtsmaßnahme gedeutet werden: sollte der potentielle Wiedergänger versuchen, sich aus seiner Ruhestätte zu graben, wäre er in die falsche Richtung unterwegs.

 

Untote, oder genauer: die materiellen Spuren des Untotenglaubens, waren lange Zeit kein Thema in der Archäologie. Dr. Van Helsing nachzueifern war der akademischen Karriere nicht förderlich. Auch wurden mittelalterlichen und neuzeitlichen Friedhöfen – die ergiebigsten Quellen für Vampirjäger – allzu lange kaum Beachtung geschenkt. Dass inzwischen ein Umdenken stattgefunden hat, dokumentieren die Wissenschaftsjournalistin Angelika Franz und der Archäologe Daniel Nösler in Geköpft und gepfählt: Archäologen auf der Jagd nach den Untoten.

 

Das Buch beschäftigt sich mit »echten« Wiedergängern, will sagen nicht Geistererscheinungen, sondern Toten, die tatsächlich körperlich die Lebenden heimsuchen – so zumindest der Glaube. Geographisch liegt der Schwerpunkt auf dem Abendland (erweitert um Neuengland); außereuropäische Untote finden nur am Rande Platz. Einige Schwarzweiß- Illustrationen lockern den Text auf; der Schreibstil ist gefällig-leicht, nicht ohne Humor; auf Fußnoten wurde verzichtet1. Kurzum, »Geköpft und gepfählt« richtet sich an ein breites Lesepublikum. Dazu passt auch, dass Abschnitte über die Untoten im Volksglauben, in der Kunst und Literatur sowie in den modernen Medien eine wenn auch knappe, so doch solide allgemeine Einführung in die Thematik liefern.

 

Aber auch wer mit der Materie bereits vertraut ist, wird »Geköpft und gepfählt« mit Gewinn lesen, eben dank des Schwerpunktes auf der Archäologie der lebenden Toten. Neben Erörterungen des Verwesungsprozesses und der Frage nach den Ursachen des Untotenglaubens liefern die beiden Autoren vor allem eine Fülle an Beispielen verdächtiger Begräbnisse. Natürlich lässt sich in vielen Fällen nicht sicher nachweisen, dass tatsächlich Bannmaßnahmen für ungewöhnliche Ausgrabungsbefunde verantwortlich sind, aber es gibt doch eine ganze Reihe starker Indizien, beispielsweise die ansonsten unerklärliche Positionierung des Toten (allen voran die Bauchlage) oder eine Fesselung, zumal mit Metallketten. Auch lässt sich durchaus feststellen, ob erst post mortem, nachdem die Verwesung längst eingesetzt hatte, ein Kopf abgetrennt oder ein Brustkorb aufgebrochen wurde.

 

Chronologisch wie geographisch decken die Fälle einen breiten Raum ab. Das älteste Beispiel stammt aus der Altsteinzeit, das jüngste aus diesem Jahrtausend (und buchstäblich der Wallachei). Es sind Gräber von einfachen Leuten und von Fürsten, aus heidnischer wie aus christlicher Zeit (selbst Klöster sind betroffen), verortet nicht nur in Randgebieten wie dem »dunklen« Balkan, sondern ebenso im »aufgeklärten« Teil Europas. Wie viele Verstorbene in den Verdacht des Untotendaseins gerieten, kann man selbstverständlich nicht genau beziffern, nicht zuletzt weil wir auch nur die materiellen Spuren diese Glaubens haben – ob während eines Begräbnisses Bannformeln gesprochen oder Weihwasser verschüttet wurde, lässt sich archäologisch nicht nachweisen. Eine vorsichtige Schätzung geht von 5-10% aus. Selbst wenn man hier lediglich den niedrigeren Wert annimmt, heißt das immer noch, dass in gar nicht allzu lang vergangenen Epochen praktisch jeder einen potentiellen Wiedergänger kannte. Die Untoten waren schier allgegenwärtig – und auch in unserer modernen Zeit, die sich bemüht, die Konfrontation mit dem reellen Tod möglichst weit aus dem Leben zu verbannen, sind sie es zumindest in den Unterhaltungsmedien immer noch.

 

Wie breit und tief der Wiedergängerglaube einstmals unsere Kultur geprägt hat, ebenso anschaulich wie kurzweilig darzustellen, ist das große Verdienst des Buches »Geköpft und gepfählt«, dessen größtes Manko seine, mit etwa 200 Seiten, relative Kürze ist – gerne hätte ich noch mehr zu dem Thema gelesen.

 

Die Pressemitteilungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt:

Slawische und eisenzeitliche Siedlung bei Theißen entdeckt

und

Merowingerzeitliche Gräber bei Theißen entdeckt


1 Ich hätte mir allerdings als Ausgleich dafür ein kommentiertes Literaturverzeichnis gewünscht. Wer gezielt zu einem bestimmten Thema weiterlesen möchte, steht nun etwas ratlos vor der einfachen Auflistung der Quellen. Ein Register fehlt ebenfalls, das fällt aber angesichts der geringen Seitenzahl des Buches kaum ins Gewicht.

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Buch:

Geköpft und gepfählt

Archäologen auf der Jagd nach den Untoten

AutorInnen: Angelika Franz und Daniel Nösler

Taschenbuch, 208 Seiten

Theiss Verlag, 15. August 2016

Cover und Vignetten: Holger Grönwald

 

ISBN-10: 3806233802

ISBN-13: 978-3806233803

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B01M0MC8CO

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 23.12.2017, zuletzt aktualisiert: 18.10.2023 18:41, 16340