Hämoglobin von Torsten Sträter
Reihe: Jacks Gutenachtgeschichten Bd.1
Rezension von Martin Weber
Klappentext:
„Jacks Gutenachtgeschichten sind ausgewählte, geschliffene Horrorstorys. Jede davon ein blutiges Bündel böser Überraschungen, gewoben aus Angst und Irrsinn, vernäht mit dem Faden schneidender Ironie. Torsten Sträter demonstriert eindrucksvoll, dass das Grauen nicht nur auf verfallenen Friedhöfen oder fernen schottischen Schlössern wütet. Es kann uns ebenso ereilen in Altenheimen, auf Autobahnen oder gar im heimischen Wohnzimmer. Es gibt kein Entrinnen.“
Also in einer bestimmten Hinsicht liegt der Klappentext des Verlages deutlich daneben – irgendwelche Schlösser oder Friedhöfe sind schon seit einigen Jahrzehnten nicht mehr die bevorzugten Schauplätze von Horrorstorys; das Klischee, auf das hier angespielt wird, ist mittlerweile längst überholt und kommt nur mehr ironisch gebrochen oder in altbackenen Publikationen zum Einsatz.
In zwei anderen (ungleich wichtigeren) Aspekten agiert der Eldur-Verlag viel treffsicherer: zum einen verdient er ein Kompliment für das einfache, aber genial effektive Titelbild, das eine mit Blut übergossene Playmobilfigur zeigt. Das rote Männchen hält eine Axt in der Hand und grinst diabolisch mit einem stählernen Gebiss. Das zweite Lob verdient er sich dadurch, dass er diesen Band mit seinen großteils gelungenen Storys publiziert hat und so dem Namen Torsten Sträter zu größerer Bekanntheit verhilft.
Welches Bild bietet sich bei einem näheren Blick auf die Bestandteile des „blutigen Bündels böser Überraschungen“? - Sträters Geschichten im Einzelnen:
Jägerlatein:
Stellt Dir vor, Du bemerkst, dass es Tierwesen gibt, die getarnt ihr Unwesen treiben – und nur Du kannst sie sehen. Wie reagierst Du darauf?
Hämoglobin:
Kurier-Fahrer zu sein, ist ein stressiger Job. Vor allem wenn man unter Zeitdruck verderbliche Ware transportiert. Vor allem wenn diese „Ware“ Blut ist, einen die Sommerhitze quält und das Auto über keine Klimaanlage verfügt.
Es ist etwas unglücklich, dass diese ersten beiden Geschichten direkt hintereinander platziert wurden, da beide dasselbe – im Horrorgenre weit verbreitete - Grundthema variieren: wie jemand die Grenze zum Wahnsinn überschreitet. Die zugrunde liegende Idee ist daher prinzipiell nicht neu, dennoch sind die zwei Texte wegen der gekonnten Aufbereitung durch den Autor lesenswert.
Der Geruch von Blau:
Der Ich-Erzähler ist Essensausträger in einem Pflegeheim. Auf der Station für die Hinfälligen kommt er mit einem der Insassen ins Gespräch. Dieser Patient scheint aber überhaupt nicht richtig gebrechlich zu sein. Er beginnt aus seinem Leben zu erzählen und berichtet über ein grausiges Schlüsselerlebnis, das für ihn schicksalshaft wurde.
Für mich die überzeugendste Erzählung der Anthologie. Die Verknüpfung von Ereignissen aus einem cineastischen Horror-Klassiker mit einem eigenständigen Erzählstrang ist exzellent gelungen, weil das Ganze originell ist und man bis zuletzt nicht ahnt, welche Richtung die Erzählung nimmt.
Berechtigter Münz-Einwurf:
Münzautomaten beginnen seltsame Dinge auszuspucken, weil ihr Benutzer Dreck am Stecken hat.
Diese Geschichte baut auf einer grotesken Idee auf und bietet eine prägnant-amüsante Variante des Poe-Klassikers „Das verräterische Herz“.
Der Mitbewohner:
Wenn man einen Mitbewerber sucht, melden sich auf eine Anzeige hin bisweilen merkwürdige Menschen. Wie soll man wissen, ob jemand ganz koscher ist? Der Typ, der in dieser Story einzieht, erweist sich als sehr merkwürdig. Doch irgendwie hat seine Absonderlichkeit auch positive Seiten ...
Wiederum nimmt der Autor einen Vorgang aus dem ganz normalen Lebenszusammenhang und spinnt daraus eine absurde Schaudermär. Dabei geht er der Frage nach, mit welchen Problemen sich ein monströses Wesen im Alltag herumschlagen müsste und wie es jemanden ergehen würde, der mit ihm in Kontakt kommt. Die darauf aufbauende Geschichte ist allerdings eher belanglos.
Nachtprogramm:
Eine Frau trauert um ihren kürzlich verstorbenen Mann. Vor Kummer zerfressen sitzt sie schlaflos stundenlang vor dem Fernseher und sieht sich im Nachtprogramm alte Filme an. Da glaubt sie mit einem Mal ihren Gatten in einem dieser Streifen zu sehen. Gebannt beginnt sie genauer hinzusehen und stellt fest, dass er in anderen Filmen ebenfalls auftaucht – auf irgendeine Weise scheint ihr Mann nach seinem Tod in die Welt der Traumfabrik gewechselt zu haben. Sie verzehrt sich vor Sehnsucht nach ihm …
Hier arbeitet Sträter zum ersten (und einzigen) Mal mit einer ernsteren Grundstimmung und beweist, dass er auch aus seiner „flapsig-lustig-absurd-horrortrashigen“ Schiene ausbrechen kann. Dennoch beinhaltet die Story natürlich eine übersinnliche Komponente und überzeugt mit ihrer gefälligen Pointe.
Eine Frage der Form:
Die Wiederkehr Satans soll in die Wege geleitet werden. Das dafür benötigte Artefakt kommt an seinen Bestimmungsort, die Zeremonie wird vorbereitet … doch der Vatikan hat ein Spezialistenteam entsandt, das das Schlimmste verhindern soll.
Mit 42 Seiten eine der beiden längeren Geschichten, die zwar ganz nett daherkommt, der aber etwas zu fehlen scheint. In Anbetracht der Länge wirkt die dahinter stehende Mythologie etwas unausgegoren und die tragende Idee eine Spur zu banal. >Eine Frage der Form< erinnert an die alten schundigen (und trotzdem oft guten) Gespenster-Krimis.
Saldo Mortale:
Buchhalter rechnen Ausgaben und Einnahmen penibel gegeneinander auf. Was, wenn jemand von der Bilanzrechnung fasziniert ist und die Ansicht hat, für jedes gerettete Leben im Gegenzug auch ein Leben nehmen zu dürfen?
Diesmal wird man nicht Zeuge des Hinübergleitens in den Wahnsinn, sondern bekommt es direkt mit einem Irren zu tun, der seine wahnsinnigen Ziele verfolgt. >Saldo Mortale< bezieht seinen Reiz aus der Verknüpfung von Paranoia und Rationalität.
Ein Brief, zähneknirschend verfasst:
Ein Mann versinkt in Selbstmitleid (ohne Alkohol), weil seine Freundin ihn verlassen hat und schreibt ihr einen letzten Brief. Darin schildert er, wie er bei seinen seltsamen neuen Freunden zwar keinen echten Trost findet; sie ihm jedoch etwas Erstaunliches offerieren …
Ein in Briefform verfasstes, wehleidiges Lamento, dessen ziemlich mühsam konstruierter Mini-Plot auch noch mit einem matten Ende aufwartet. Ganz klar einer der schwachen Beiträge.
Mr. Daniels und ich an der Tankstelle der lebenden Toten:
Ein Mann versinkt in Selbstmitleid und Alkohol, weil seine Freundin ihn verlassen hat. Trost sucht er bei einem gewissen Jack Daniels, den er nächstens von einer Tankstelle abholt. Der Typ, der ihn dort bedient, scheint geistig ziemlich weggetreten zu sein. Doch der plötzlich auftauchende Filialleiter gibt sich jovial und schwelgt in Beschwichtigungsrhetorik. Dennoch ist klar, dass hier was furchtbar falsch läuft …
Der zweite umfangreicher ausgefallene Beitrag (51 Seiten). Erneut kommt Sträters Faible für kaputte Typen zum Vorschein. Über die zugrunde liegende Idee darf man nicht wirklich nachdenken, weil einem ansonsten das Wörtchen „dämlich“ in den Sinn kommen könnte … als eindringlich-böse Märchengeschichte funktioniert die Sache aber gut. Wenn man will, kann das Ganze auch als Kapitalismuskritik gelesen werden.
Quid pro quo (Prolog):
Der Besuch bei einem gefährlichen Inhaftierten.
Diesen Text verstehe ich schlicht und einfach nicht, weshalb mir der abschließende Beitrag ein Rätsel bleibt – er ist so unnötig wie der letzte Track auf einem Village People-Album.
Fazit:
Im Großen und Ganzen weiß der Debütant Torsten Sträter mit seiner Anthologie zu überzeugen. Sein vitaler (wenn auch gelegentlich übers Ziel hinausschießender) Stil lässt zudem selbst die zwei, drei Geschichten, die ideenmäßig weniger hergeben, ansprechender erscheinen. Vieles kommt nicht auf der bierernsten Horror-Schiene daher, sondern ist mit einem Augenzwinkern zu lesen.
Wenn es etwas zu beanstanden gibt, dann ist es die relativ geringe Seitenzahl von 184 Seiten, denn ein wenig mehr „Stoff“ hätte nicht geschadet. Alles in allem aber ein guter Einstand des Autors und der Reihe >Jacks Gutenachtegeschichten<.
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