Hochland von Steinar Bragi
Rezension von Markus Mäurer
Verlagsinfo:
Sie hatten das Gefühl, dass jemand draußen auf sie wartete, in der Dunkelheit ihre Namen flüsterte …
Zwei junge Paare aus Reykjavík machen mit ihrem Jeep einen Ausflug in die raue, menschenfeindliche Bergwelt des isländischen Hochlands. Dichter Nebel zieht auf, sie kommen vom Weg ab und rammen ein Haus, das in der Einöde plötzlich wie aus dem Nichts vor ihnen aufragt. Notgedrungen müssen sie die Nacht dort verbringen. Ihr Amüsement über das ungeplante Abenteuer verwandelt sich schon bald in Unbehagen, denn ihre Gastgeber, ein verschrobenes altes Paar, benehmen sich sehr merkwürdig: Warum verbarrikadieren sie das Haus bei Einbruch der Dunkelheit wie eine Festung? Was lauert dort draußen in der Sandwüste? Und wieso haben sie so wenig Interesse daran, ihren Gästen zu helfen? Zunehmend panisch geraten die Städter miteinander in Streit, und ihre Versuche, den Weg zurück in die Zivilisation zu finden, werden immer verzweifelter. Gibt es ein Entrinnen?
Rezension:
Die vier Freunde Hrafn, Vigdís, Egill, Anna und ihr Hund fahren auf einen Zeltausflug ins isländische Hochland, allerdings nicht mit dem Pferdewagen, sondern dem Jeep, der dann auch in der öden Sandwüste bei schlechter Sicht prompt in einer Hauswand landet. Weitab der Zivilisation gestrandet, kommen sie bei den beiden sonderbaren Bewohnern des gerammten Hauses unter, und versuchen fröhlich saufend und kiffend, einen Weg zurück in die Zivilisation zu finden.
So weit, so bekannt der übliche Klischeebeginn eines Survivalthrillers mit unhöflichen Einheimischen, die einem ans Leder wollen. Doch Hochland von Steinar Bragi ist – anders als auf dem Cover behauptet – kein Thriller, sondern eine Charakterstudie, die sich vor allem auf die inneren Konflikte der Protagonisten konzentriert und ihre Konflikte miteinander. Dabei wird es mehr zum Kammerspiel, dass mich mehr an Marlene Haushoffers Die Wand erinnert (nur mit ein paar mehr Figuren), denn an Horrorfilme wie Wrong Turn. Die persönlichen Konflikte nutzt der Autor durch seine Figurengestaltung auch, um die Finanz- und Politikkrise in Island zu verarbeiten.
Auf den ersten 250 (von 300) Seiten passiert dementsprechend nicht viel. Der Autor legt zwar immer wieder ein Paar Fährten, die in Richtung Horrorthriller gehen, doch verlaufen diese schnell im Sande, weil er sich prompt wieder extrem ausführlich um seine Figuren kümmert. Was an sich nicht schlecht ist, und besser als die üblichen oberflächlichen Figuren, die durch Survivalthriller gejagt werden, aber die biografischen Einschübe, die jeweils über mehrere Seiten gehen und an einen schriftlichen Lebenslauf erinnern, bremsen enorm den Textfluss und nehmen gerade in Ansätzen erzeugte Spannung wieder raus.
Wobei auf den Seiten, auf denen handlungstechnisch wenig passiert, durchaus Atmosphäre aufkommt. Was vor allem an dem öden Hochland Islands mit seiner Sandwüste liegt, von der ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Die Abgeschiedenheit und Bedrohlichkeit der Landschaft, das einsame Haus mit den schrulligen alten Leuten, das erzeugt durchaus eine düstere Stimmung, die aber eben dadurch konterkariert wird, dass die vier Protagonisten fast bis zum bitteren Ende völlig unbeeindruckt davon dem Alkohol und Gras frönen, und statt sich Sorgen um die Gesamtsituation zu machen, lieber ihren eigenen Befindlichkeiten und Konflikten widmen.
Was das Ende angeht, kann ich es gar nicht kompetent und verständlich kritisieren, ohne es zu spoilern, nur so viel, für mich funktioniert es nicht. Ab Seite 250 kommt tatsächlich etwas Spannung auf, die Geschichte nimmt an Fahrt auf und wird auch recht brutal, aber was dann auf den letzten Seiten folgt, funktioniert für mich nicht so recht. Mir ist schon klar, wie metaphorisch und allegorisch der Autor das Ganze konstruiert hat, aber für mich ergeben die einzelnen Romanteile zusammen leider keine stimmige Einheit.
Fazit:
Das Ende ist eine künstlerische Entscheidung, die »Hochland« von Steinar Bragi nicht unbedingt schlecht macht, und dessen Funktionieren vor allem vom Geschmack des Lesers abhängt. Meinem hat es leider nicht ganz entsprochen. Wer einen spannenden Survivalthriller oder einen gruseligen Horrorroman erwartet, ist hier falsch. Wer offen für eine mit inneren Konflikten beladene Psychostudie voller Allegorien und Metaphern auf die Befindlichkeit Islands ist, den erwartet ein keineswegs schlecht geschriebenes Drama, das am Ende trotzdem einige brutale Szenen enthält und die Leserschaft spalten wird.
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