Höllensturz von Edward Lee
Reihe: Inferno Bd. 2
Rezension von Christel Scheja
Dark oder Gothic Fantasy also Romane irgendwo zwischen Fantasy und Horror sind in den letzten Jahren immer beliebter geworden. In ihnen geht es grausam und zynisch zu, zuweilen auch pervers und menschenverachtet. Klassische Gruselgestalten, aber auch Dämonen der verschiedensten abendländischen Mythologien treiben ihr Unwesen. Besonders beliebt scheint dabei die christliche und die jüdische zu sein: Gefallene Engel und Dämonen führen ihren Kampf mit dem Himmel und nicht zuletzt auch Gott. Die Menschen stehen hilflos dazwischen, sind Spielzeug, Opfer, manchmal auch Werkzeug und Waffe.
So erlebt es auch Cassie Heydon. Schon einmal besuchte sie kurz nach dem Selbstmord ihrer Schwester Lissa die Hölle und erfuhr dort nicht nur, dass ihre Schwester sich ganz und gar den bösen Mächten ergeben hat, sondern dass sie selbst auch eine Auserwählte ist, ein Ätherkind, dessen Macht die Abgründe erschüttern kann. Damals schloss sie sich aus Wut auf Luzifer den Rebellen an und versuchte ihnen zu helfen, am Ende bleib jedoch nur die Flucht aus Mephistopheles, der Hauptstadt der Hölle und die Zerstörung des Zugangs in die Unterwelt.
Cassies Leben normalisiert sich danach leider nicht. Ein Jahr später sitzt sie in einer psychiatrischen Anstalt fest. Sie gilt als Hauptverdächtige für Brandstiftung, Mord an ihrem Vater und als suizidgefährdet. Das Mädchen versucht den Psychologen und Pflegern klar zu machen, dass sie ganz in Ordnung und vor allem unschuldig an den Verbrechen ist, glauben will ihr das allerdings niemand so recht, auch wenn Verständnis geheuchelt wird.
Cassie bekommt noch andere Probleme, Ihr erscheint der Engel Angelene und macht ihr klar, dass die Auseinandersetzungen mit der Hölle noch lange nicht vorüber sind, und sie höchstwahrscheinlich noch einmal in die Unterwelt zurückkehren muss. Luzifer will sie in seine Gewalt bringen und die Macht des Ätherkindes nutzen, um die Welten miteinander zu verschmelzen. Er will so sein Reich ausweiten und damit die letzten Wesen auszuschalten, die ihm gefährlich werden können. Seine Agenten sind schon auf die Erde gekommen, um sie gefangen zu nehmen und andere Elemente des großen Plans durchzuführen. Cassie ist also in höchster Gefahr und muss handeln, wenn sie überleben will.
Doch sie ist nicht die Einzige: Neben ihr gibt es noch ein weiteres – diesmal männliches - Ätherkind, das allerdings noch nichts von seinem Schicksal weiß und unterdessen seinen eigenen Tod plant. Walter ist ein vom Leben enttäuschter Jugendlicher. Seine schulischen Leistungen sind zwar außergewöhnlich, aber sonst – vor allem gegenüber Mädchen – versagt er auf ganzer Linie. Bis ihm sein psychotischer Zwillingsbruder Colin die Augen öffnet warum...
War „Inferno“ das noch Vorspiel, der Figuren und Schauplätze einführte, so beginnt mit „Höllensturz“ eigentlich erst die richtige Auseinandersetzung von Gut und Böse. Edward Lee macht es durch eine geeignete Zusammenfassung möglich, „Höllensturz“ immerhin ohne Kenntnis des ersten Bandes zu verstehen. Den Mythos um die Ätherkinder versteht man aber erst so richtig, wenn man „Inferno“ bereits kennt. Wieder schöpft er dabei aus dem Vollen und reiht die Klischees genüsslich aneinander. Wie schon im ersten Band ist Mephistopheles eine Stadt der perversen Abgründe. Brutalität und Zynismus sind an der Tagesordnung, eine Erfüllung von Versprechen oder Eiden sollte man ebenso wenig erwarten wie die erhoffte Belohnung. Alles ist eklig, gemein und auf Schmerz oder Grausamkeit ausgerichtet. Die Menschenseelen werden betont oft den Gelüsten der Dämonen und Teufel ausgeliefert, gequält und gepeinigt, das es eine Freude ist.
Der Autor schockt bewusst. Was normale Leser regelrecht abstoßen dürfte, amüsiert seine dem Goth zugeneigte Zielgruppe vermutlich köstlich. Die Geschichte selbst hat leider etwas nachgelassen. Lee nimmt sich zu viel Zeit, um Cassie auf- und das neue Ätherkind Walter einzuführen. Die Konstellationen bei beiden sind bewusst ähnlich gehalten, führen aber in diesem Buch auch zu Längen und man weiß als Leser längere Zeit nicht, worauf der Autor eigentlich hinaus will. Auch das Ende ist zu offen um wirklich zufrieden zu stellen und deutet auf eine weitere Fortsetzung hin, die vermutlich nicht lange auf sich warten lassen wird.
„Höllensturz“ kann weniger überzeugen als „Inferno“. Die Höllenschilderungen sind durch inhaltliche Wiederholungen weniger originell, auch scheint der satirische Unterton dabei verloren gegangen zu sein. Die Abenteuer um Cassy und Co. wirken insgesamt etwas unausgegoren vor allem wie der Auftakt zu einem größeren Konflikt, der noch lange nicht abgeschlossen zu sein scheint. Deshalb werden vermutlich nur eingeschworene Fans der düsteren Gothic Fantasy ihre Freude an dem Band haben.
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