Reihe: ANDRAX Band 4
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
Auf dem Weg über ein gewaltiges Gebirge begegnen Andrax und Holernes zunächst einem irren Wissenschaftler, der einen Körpertausch vornehmen will, dann begleiten sie ein Mädchen, deren Großvater gestorben ist, durch einen Wald zu ihren nächsten Verwandten. Ein eisiger Kampf gegen Eroberer des Planeten Pluton, die die ganze Welt vereisen wollen, bringt die beiden Freunde in höchste Gefahr ...
Rezension:
Für wen werden Comics eigentlich geschaffen? Gibt es das ganz besondere Publikum, die auserwählte Leserschaft, auf die Stories und Bilder zugeschnitten werden?
Andrax entstand offensichtlich zu einer Zeit, da vor allem männliche Leser sich mit Comics beschäftigten, denn ohne Zweifel sind die Strips »echte« Männergeschichten. Klassische Rollenverteilungen, stahlharte Kerle, verführerische Frauen, selbst wenn sie mal das Sagen haben, irgendwie sind sie weitaus mehr von einem Mann abhängig als er von ihr.
Diese Bedienung bestimmter Klischees führt letztendlich zu Begrenzung der inhaltlichen Möglichkeiten. Damit werden die Handlungen durchschaubar und laufen schnell Gefahr, sich zu wiederholen.
In einer Werkausgabe kann man durch geschickte Verteilung der einzelnen Stories solche Selbstzitate weit genug streuen, um dennoch ein abwechslungsreiches Gesamtbild zu erzeugen.
Bei Andrax gelingt das ganz gut. Ach im Vierten Band gibt es die typischen Abenteuer, die mehr oder minder Varianten älterer Abenteuer darstellen. Ein Highlight ist aber auf jeden Fall die »Gespensterschiff«-Hommage und eine sehr witzige »Du bist das Monster«-Version, die eine Ahnung davon geben, welches Potential Andrax enthielt. Zu den Strips im Einzelnen:
Zur Hölle und zurück
Andrax und Holernes geraten in eine Abart der germanischen Sage von Hel und dem Totenreich. Mithilfe von überstarken Kreaturen herrscht Hel über ein ganzes Tal und benutzt Menschen für die Erforschung eines Weges, unsterblich zu werden. Die Klugheit und Stärke von Andrax scheinen ihr ideal für eine Partnerschaft, nur Holernes lehnt sich auf und wählt den scheinbaren Weg in die Freiheit.
Sicherlich ist klar, dass unsere beiden Helden die Machenschaften der Hexe beenden werden, dass schöne Frauen zu retten sind, wilde Kreaturen erschlagen werden und unbändiger Wille obsiegt. Die Texte von Peter Wiechmann ironisieren die Handlung durch überzogene Naivität und führen wiederholt zum Schmunzeln. Was sich im restlichen Band konsequent fortsetzt.
Die spannende und actiongeladene Handlung wird durch dramatische Bilder untermalt, die ganz in Jordi Bernets packendem Stil versinken.
Mörderische Hände
Im nächsten Abenteuer geht es asiatisch zu. Unsere beiden Helden helfen einem rechtschaffenen Prinzen gegen einen üblen Usurpator anzutreten. Der Ausgang der schnell erzählten Geschichte ist bestimmt keine Überraschung und es geht fast sofort weiter in die Hände von Froschwesen, die der Meinung sind, dass unsere beiden Recken gute Nahrung für ihre Göttin darstellen. Die Befreiung mittels eines erstaunlich intakten U-Bootes, dessen Handhabung jeder Zehnkämpfer im Schlaf beherrscht, schließt mit einem herrlichen Joke, der die Story zu recht beendet. Kurz, aber fein.
Irrwege des Schreckens
Es ist zu wünschen, dass Cross Cult sich dazu entschließt, die Einführung eines Großbuchstabens für das ß anzuleiern, damit derartige Verwirrungen wie im ersten Text der Story vermeidbar werden. Im Zusammenspiel mit einem Druckfehler und ungewöhnlicher Satzkonstruktion begann das Abenteuer tatsächlich auf einem Irrweg.
Dann jedoch wählen unsere mutigen Heroen den gefährlicheren Weg und tatsächlich trennt eine unerklärliche Sintflut die beiden. Holernes tappt ahnungslos in die Falle eines verschrobenen Wissenschaftlers und erst Andrax kann die Körpertausch-Misere auflösen. Auch hier bemüht sich der humorige Text, die an sich alberne Story zu ironisieren, vielleicht nicht jedermanns Geschmack, aber gerade dadurch wird plattes Heldentum vermieden, ohne in eine psychologische Schiene zu geraten.
Von da geht es gleich moralisch weiter. Nicht immer ist das Böse böse und ein Blick hinter das Äußere lohnt sich immer. Auch wenn hier alles ein wenig zu schnell in Wohlgefallen endet, ist das Ende nicht minder vergnüglich.
Aber die Füße unserer nimmermüden Wanderer stehen nicht still. Sie tragen sie in eine erfrierende Welt und das Rätsel löst sich, als man auf eine Alien-Invasion stößt. Es gilt Menschen zu retten und unvereinbare Lebensweisen zu trennen, was unsere beiden Denker zu einer interessanten Diskussion im Anschluss veranlasst, in der die Gräuel von heute und damals verglichen werden – das Resultat spricht nicht für uns.
Aber nun kommt der witzige Höhepunkt des Bandes. Man mag über das Aussehen der beiden Muskelpakete denken, wie man will, als hässliche Scheusale wurden sie noch nicht bezeichnet, aber Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters und bestimmt schadet es Andrax nicht, einmal ohne die Belohnung im Bett der Königin auskommen zu müssen. Definitiv ein ganz großer Spaß.
Die Schiffe der lebenden Toten
Zum Abschluss des Bandes präsentiert Cross Cult unveröffentlichtes Material. Texter Peter Wiechmann berichtet im Nachwort, dass er erst mitten in der Neubearbeitung der Texte auf die Erinnerung stieß, was ihn damals zu dieser Story inspirierte. Es war Die Geschichte von dem Geisterschiff von Wilhelm Hauff. So sollte eine Werkausgabe sein: Kommentare zu den Texten und sorgfältige Neubearbeitung!
Andrax und Holernes stoßen durch ein magnetisches Phänomen auf ein Geisterschiff, dass in der Nacht eine seltsame Schlacht auszutragen hat, die sich immer und immer wiederholt. Um den Fluch zu brechen müssen unsere Teufelsaustreiber nicht nur Mutterboden besorgen, sondern auch Kannibalen bezwingen. Wunderbare Adaption mit typischer Andrax-Note.
Fazit:
Der Vierte Band der Andrax Werkausgabe besticht durch Humor und Ironie in abenteuerlichen Geschichten, sehr zur Freude von Fans und Comic-Liebhabern. Kurz vor Abschluss der Reihe kann man sagen, dass es mehr als eine kluge Entscheidung war, diese ganz eigene Serie in einer sorgfältigen Edition ins Licht zu rücken. Und unbedingt das große ß einfordern, lieber Verlag!