Interview: Thorsten Felden und Jan Meininghaus
 
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Erinys. Signum Mortis - im Gespräch mit den Künstlern

Redakteur: Ralf Steinberg

 

Die Stadt.

Unzählige Menschen ziehen durch die Straßen.

Jeder befindet sich im Zustand ständiger Bewegung. Mobile Zellen im Organismus.

Blutkörper, die die Adern der Stadt durchfließen.

 

Mit diesen Zeilen beginnt die Geschichte um Erinys, dem Signum Mortis. Da uns diese ungewöhnliche Arbeit sehr erstaunte, baten wir ihre Schöpfer, uns einige Fragen zu diesem Comic-Band zu beantworten.

 

FantasyGuide In Erinys geht es um Sühne und Rache, aber auch Zorn und Verdrängen. Die drei Menschen, die ihrem Schicksal ins Auge sehen und sterben, haben alle schreckliche Dinge auf ihrem Gewissen und obwohl sie von ihrem Opfer heimgesucht werden, scheinen alle bereits zu bereuen. Oder sind sie bis zum Schluss Teile des Bösen?

 

Thorsten Felden Die Frage nach "dem Bösen" ist nicht so ohne weiteres zu beantworten. Was ist böse, was ist gut? Natürlich haben alle Opfer von Erinys Dinge getan, die man in den meisten Kulturkreisen als moralisch verwerflich ansehen würde. Ich weiß aber nicht, ob die drei Menschen ihre Taten wirklich bereuen. Wir erfahren nicht viel über sie, und das Wenige stammt aus der Perspektive von Erinys. Ich würde ganz allgemein sagen, dass alle dargestellten Personen ihre Vergangenheit verdrängen, die dann schließlich doch noch auf sie zurückschlägt. Die Geschichte handelt vor allem davon, wie wir Menschen mit unserer Schuld umgehen. Jeder von uns hat wohl die eine oder andere Sache, die auf unserem Gewissen lastet, und wenn es nur Kleinigkeiten sind. Erinys ist sozusagen die Verkörperung dieses kollektiven schlechten Gewissens und die Angst, für unsere Sünden irgendwann bestraft zu werden. Gleichzeitig könnte man auch sagen, dass Erinys die Allegorie einer verdrängten und aufgestauten Wut ist. Vielleicht ist sie beides.

 

FantasyGuide Euer Album endet mit einem Ghandi-Zitat, das zum einem Aufschluss über Eure Figur gibt, aber auch den waffenlosen Weg betont, den sie geht. Aber dennoch könnte man es als Selbstjustiz auslegen?

 

Thorsten Felden Ich fürchte, als Ghandi diesen Satz sagte, hatte er etwas anderes im Sinn als eine Figur wie Erinys. Erinys geht sozusagen die entgegengesetzte Richtung des Weges, den Ghandi gegangen ist, auch wenn sie in der Tat keine Waffen benutzt. Trotzdem würde ich nicht von Selbstjustiz sprechen. Erinys tötet ja zunächst ohne Absicht, ohne genau zu wissen, warum. Außerdem ist es zu Beginn für sie eine schreckliche Erfahrung: Alle Menschen die sie sehen können, müssen sterben. Erst später scheint sie zu realisieren, dass genau dies ihre Aufgabe ist, und sie geht in ihrer Funktion völlig auf, gewinnt sogar eine gewisse Befriedigung daraus.

 

FantasyGuide Das Register der Straftaten ist sehr emotional belastet, ihr schöpft hier aus dem Vollen der schlimmsten Dinge, die Menschen einander antun können. Damit malt ihr ein zusätzlich düsteres Bild. Wollt ihr den Leser und Betrachter erschrecken oder schocken?

 

Thorsten Felden Ich müsste wohl lügen, wenn hier nicht auch ein wenig Effekthascherei eine Rolle spielen würde. Es handelt sich eben um eine Art Horrorgeschichte, und ein solches Genre bedarf nun mal gewisser Schockeffekte. Solche Effekte erfüllen aber auch den Zweck, den Leser in eine gewisse Stimmung zu versetzen und ihn in eine bestimmte thematische Richtung zu leiten. Dazu kommt, dass Jans morbides Artwork zu einem guten Teil schon die Thematik vorgegeben hat. Insofern hat sich die Handlung dem Artwork stilistisch angeglichen.

 

FantasyGuide Die Arbeiten zum Erinys-Band erschienen zunächst im Sonic Seducer. Wie kam es dazu und gibt es noch mehr Seiten, als die im Album befindlichen?

 

Thorsten Felden Bei der Reihe im Sonic Seducer handelte es sich um einen One-Pager, der alle zwei Monate eine abgeschlossene Geschichte präsentieren sollte. Uns war von Anfang an klar, dass man auf einer Seite nicht wirklich viel erzählen kann. Manchmal bestand der Text daher zum Beispiel nur aus einem Gedicht, das zu Jans Artwork passte. Die Macher vom Sonic Seducer kannten Jans Artwork von vorhergehenden kleineren Aufträgen und seiner Arbeit als Cover-Artist, und irgendwann kamen sie auf die Idee, einen monatlichen Kurzcomic in diesem Stil zu veröffentlichen. Also haben Jan und ich uns hingesetzt und eine Figur mit einer Geschichte entworfen. Die Grundidee war, dass Erinys in jeder Folge ein neues Opfer heimsucht. Das ist dann später ein bisschen freier geworden, auch weil es uns zu langweilig wurde. Das Album greift zwar diese Grundidee auf, ist aber ansonsten recht losgelöst von den Arbeiten im Sonic Seducer zu sehen. Das Album handelt von einem ganz bestimmten Personenkreis und von der Figur Erinys, die diese Personen miteinander verknüpft.

 

FantasyGuide Wie oft und wieviel wurde bereits im Sonic Seducer veröffentlicht?

 

Thorsten Felden Ich habe nachgezählt: Wir sind am Ende auf 19 Episoden gekommen, wobei die erste Episode aus ganzen vier Seiten bestand. Es gibt also insgesamt 22 Erinys-Seiten im Sonic Seducer.

 

FantasyGuide Wie lange dauern die Arbeiten an einem Panel?

 

Thorsten Felden Das kann nur Jan beantworten.

Jan Meininghaus Pauschal läßt sich das natürlich nicht sagen, aber letzten Endes sind pro Tag ein bis zwei Seiten fertig geworden. Ganz unabhängig davon, aus wie vielen Panels die Seite besteht.

 

FantasyGuide Mir kamen Vergleiche zu Elektra in den Sinn, ist das legitim?

 

Thorsten Felden Der Vergleich liegt natürlich nahe, weil beide ihre Namen aus der griechischen Mythologie beziehen. Doch inhaltlich sehe ich da nur wenige Anknüpfungspunkte. Ich habe die Serie von Frank Miller nie wirklich gelesen, aber bei Elektra handelt es sich ja um eine recht weltliche Auftragskillerin, während Erinys irgendwo in einer Zwischenwelt zu wandeln scheint, ohne zu wissen, wer sie ist und was ihre Aufgabe ist.

 

FantasyGuide Wie ist eure Zusammenarbeit? Bestimmt jemand die Handlung oder sind zuerst fertige Seiten da?

 

Thorsten Felden Wie gesagt gab es eine Grundidee, bevor die ersten Seiten veröffentlicht wurden. Die Story vom Album stand auch schon fest, als Jan mit den Arbeiten daran begonnen hat. Die Arbeiten im Sonic Seducer sind allerdings auf sehr unterschiedliche Weise entstanden: Manchmal hatte Jan eine visuelle Idee und ich habe dann im Nachhinein einen Text dazu erfunden. Manchmal war es genau umgekehrt, ich hatte einen Text, den Jan dann bebildert hat. Und manchmal hatte Jan eine thematische Idee, die ich dann textlich ausgearbeitet und er wiederum grafisch umgesetzt hat.

 

FantasyGuide Der grafische Stil ist doch recht ungewöhnlich, der einfache Comic-Leser ist da schnell überfordert. Verlangt ihr absichtlich von euren Lesern, dass sie sich die Bilder erarbeiten müssen?

 

Thorsten Felden Wir waren von Anfang an der Meinung, dass die Geschichte nicht funktionieren würde, wenn wir die übliche Panel-Sprechblasen-Nummer bringen würden. Es ist wohl mehr eine Grafic Novel als ein Comic daraus geworden, vielleicht sogar eher noch ein Artbook mit eingeflochtenem Text. Vom grafischen Standpunkt her hätte der Text gerne noch viel mehr in das Artwork eingearbeitet sein können, doch das war letztlich auch eine Frage des Platzes. Wir wollten, dass jede Seite als Ganzes gesehen eine eigene Ästhetik entwickelt. Leider mussten wir in der Tat feststellen, dass der gemeine Comicfan damit etwas überfordert war. Viele sind vom Artwork begeistert, aber allein die Erinys-Typo ist für die meisten zu anstrengend zum Lesen. Das war nicht beabsichtigt. Andererseits finde ich es nicht zu viel verlangt, sich mit einer Seite länger zu beschäftigen als eine halbe Minute.

 

FantasyGuide Die Verbindung von Text und Bild ist besonders intensiv in der Club-Szene. Die unterlegten sms-artigen Passagen von jugendlicher Konversation bilden die Atmosphäre für mich ziemlich deutlich ab. Wie kommt man auf eine derartige Visualisierung?

 

Thorsten Felden Die Idee mit der belanglosen Clubkonversation stammte von Jan. Soweit ich weiß, geht sie zum einen zurück auf die Romane von Bret Easton Ellis, zum anderen auf einen Song, der mir gerade entfallen ist. Aber ich bin sicher, Jan kann da mehr zu sagen.

Jan Meininghaus Diese Idee zur Visualisierung einer Clubszene gab es schon recht lange vor "Erinys". In der Tat war damals der Einfluß von Bret Easton Ellis' "Glamorama" sehr groß. Eigentlich ist es in "Erinys" der Versuch, die oberflächliche Atmosphäre einer solchen Partynacht zu visualisieren.

Die "jugendliche Konversation" stellen dabei die flüchtigen Gesprächsfetzen dar, die durch die laute Musik dringen und nichtige Informationen, Flirtversuche, etc. beinhalten.

 

FantasyGuide Die Schrift ist zum Teil schwer zu lesen, zum Teil ist der Font wohl selbst gestaltet? Hattet ihr Einfluss auf den Satz, oder welche Gründe mag es geben für die geringe Akzentuierung?

 

Jan Meininghaus Wie schon angedeutet, wollten wir generell weg vom klassischen Comicstil. Auch bei der Schrift galt es, eher in Filmsprache zu

arbeiten. Die Erinys-Passagen wären also im Film vielleicht eher geflüstert gewesen (man muss halt auch mal etwas genauer hinhören/lesen), während die restlichen Dialogpassagen recht kühl und klar daherkommen. Die zwei unterschiedlichen Schriften sind also die Übersetzung des gesprochenen Wortes ins Schriftbild.

 

FantasyGuide Wie lief die Arbeit mit den Darstellern, immerhin musstest Du in gewisser Weise Deine Bildkomposition im Vorhinein planen und Dich auch mit den Fähigkeiten der Menschen beschäftigen, Deine Wünsche umzusetzen?

 

Jan Meininghaus Es lief auf eine Vorbereitung hinaus, die der am Filmset sehr nahe kommt. Zuerst mußten die Requisiten besorgt, Locations gesucht und hergerichtet werden. Dann wurden Verwandte und Bekannte als "Darsteller" eingespannt und mittles Regie-Arbeit angewiesen. Dabei sind natürlich auch Ideen aufgekommen, die weit über die vorherige Planung hinausgingen. Also ein sehr spannender und dynamischer Prozess.

 

FantasyGuide Welcher Teil der Arbeit hat Dir am meisten Spaß gemacht, das Fotografieren, das Malen/Zeichnen oder die Bearbeitung am Computer?

 

Jan Meininghaus Die so entstandenen Fotos habe ich dann am Rechner als "Layout-Seite" zusammengestellt und als Referenz ausgedruckt. Diese Ausdrucke dienten als Referenz für die eigentliche Illustration. Diese wird dann wiederum gescannt und noch weiter bearbeitet.

Das Interessante ist dabei gerade die Vielseitigkeit der Techniken und die Abwechslung dabei. Also gibts keine besondere Vorlieben.

 

FantasyGuide Dem Album vorangestellt ist eine sehr lange Passage, die sich lyrisch mit der Stadt auseinandersetzt. Dabei wird ein Endworld-Szenario kredenzt, mit Anspielungen an Döblin. Ist diese urbane Trostlosigkeit nicht bereits überstrapaziert?

 

Thorsten Felden Endworld-Szenario finde ich ein wenig übertrieben, urbane Trostlosigkeit dagegen sehr treffend. Inhaltlich ging es für mich vor allem um das Thema der modernen Großstadt als Ansammlung unüberschaubarer Menschenmassen, als riesiges Netzwerk, und dazu als Gegensatz der Einzelne ohne Verbindung zur Außenwelt. Sicher sind wir nicht die Ersten, die ein solches Thema wählen. Auch den grafischen Stil, die relativ monochrome Farbwelt der Braun- und Grautöne, findet man seit "Sieben" alle Nase lang. Jan hat ja schon seit zehn Jahren diesen Stil perfektioniert. Die Idee war eigentlich, daraus endlich ein Album zu machen, damit sich Jan endlich einem neuen Stil zuwenden kann. Er macht jetzt bunte Bildchen mit heißen Miezen und alten Karren - oder war's umgekehrt?

 

FantasyGuide Artwork statt Zeichnung, worin liegt das besondere an dieser speziellen Weise Bildergeschichten zu erzählen?

 

Thorsten Felden Das müsste wohl eher Jan beantworten.

Jan Meininghaus Gerade bei "Erinys" bedingen sich die morbide Story und die Umsetzung gegenseitig. Das war uns von vornherein bewußt und hat auch den Reiz dieses Projektes ausgemacht. Klassische Comic-Zeichnungen wären mir persönlich zu nah an Superhelden-Storys oder gar Funnies gekommen.

Durch das Ineinanderfließen der Panels und die Verwendung mehrerer

Schriftarten läßt sich zudem der verwirrte Zustand der Protagonisten

auf den Leser übertragen.

 

FantasyGuide Wie sehen eure nächsten Projekte aus?

 

Thorsten Felden In der nahen Zukunft gibt es keine geplanten Projekte. Im vergangenen Jahr haben wir an unserem ersten Kurzfilm gearbeitet, das hat das meiste unserer gemeinsamen Zeit in Anspruch genommen. (www.jesusbuiltmyhotrod.de) Ansonsten gibt es natürlich ein paar Ideen, aber keine davon ist bisher wirklich weit vorangeschritten.

 

FantasyGuide Vielen Dank für das Interview und dauerhaften Erfolg!

 

Thorsten Felden Danke für Dein Interesse und viele Grüße!

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240420013426d6bfbc33
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Erstellt: 16.12.2005, zuletzt aktualisiert: 02.02.2015 01:24, 1633