Irrsinn (Autor: Dean Koontz)
 
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Irrsinn von Dean Koontz

Rezension von Björn Backes

 

Dean Koontz zu mögen und seine Werke in den Himmel zu Preisen ist nach etlichen Jahren der Enthaltsamkeit nun auch hierzulande zum unaufhaltsamen Trend geworden, dem sich der Mainstream nach anfänglichen Bedenken gerne anschließt. Der amerikanische Erfolgsautor erscheint nun auch in hiesigen Breitengraden regelmäßig in den Bestseller-Listen und erfreut sich vor allem wegen seiner Kontinuität im Bereich der mystischen Fiktion wachsender Beliebtheit. In „Irrsinn“ wechselt Koontz nun die Perspektive; ein Thriller mit beängstigend bösartigen Eindrücken soll es sein – doch letztendlich ist „Irrsinn“ noch viel mehr als das.

 

 

Inhalt:

Billy Wiles ist ein unscheinbarer, bisweilen schüchterner Mensch, der seinen Lebensunterhalt als Barkeeper in einer familiären Kneipe verdient. Tagtäglich begegnen ihm an seinem Arbeitsplatz Kuriositäten, aber auch der schlichte Lebensalltag der einfachen Bevölkerung, zu der sich auch Wiles zählt. Eines Tages macht er jedoch eine alles andere als alltägliche Begegnung; ein Fremder hat einen Schmierzettel hinter die Windschutzscheibe seines Wagens geklemmt und eine unfassbare Botschaft hinterlassen. Billy hat die Wahl: Schaltet er die Polizei ein, muss eine sozial engagierte, ältere Frau sterben, hält er sich hingegen bedeckt, bezahlt eine junge Lehrerin mit dem Leben. Wiles nimmt die Nachricht zunächst nicht Ernst und berichtet seinem alten Freund Lanny Olsen von dieser Begebenheit. Der jedoch berichtet ihm nur einen Tag später, dass tatsächlich eine junge Lehrerin am propagierten Tatort tot aufgefunden wurde. Langsam wird Billy nervös. Und als kurze Zeit später die nächste Nachricht auftaucht und der unbekannte Täter seine unschlüssige Drohung in Wiles’ direkter Umgebung wahr macht, bekommt dieser es mit der Angst zu tun. Billy beschließt trotzdem, in die Offensive zu gehen – und wird dabei selber zum Opfer…

 

 

Rezension:

Koontz, seines Zeichens Meister des Übersinnlichen und Beängstigenden, beschäftigt sich in seinem aktuellen Roman in erster Linie mit den finstersten Auswüchsen der menschlichen Psyche und spielt dabei nicht nur mit den Emotionen und Ängsten seiner Leserschaft, sondern treibt während seiner teils recht grausamen Geschichte diesbezüglich ein wechselseitiges Katz-und-Maus-Spiel, welches derart selbst für Fans des berüchtigten Bestseller-Autors Neuland bedeutet. Die Stimmungen in „Irrsinn“ schwanken dabei ständig zwischen beängstigend bedrückt bis hin zu verstört und erniedrigend, wobei es insbesondere die Charakterzeichnungen sind, die in diesem Fall die Brillanz des Werkes ausmachen.

Koontz hat zu diesem Zweck zunächst einmal eine recht ungewöhnliche Hauptfigur ins Leben gerufen, die den Posten des Anti-Helden kaum besser verkörpern könnte. Billy Wiles ist ein Niemand, unscheinbar und für seine Umwelt kaum bedeutsam, insgeheim aber auch ein Mensch mit bewegter Vergangenheit. Im Alter von 14 Jahren wurde er Zeuge eines verheerenden Familiendramas, welches er aktiv und gewaltsam beendete. Doch gleich mehrere Schatten liegen auf seinem Gemüt und verfolgen ihn von Zeit zu Zeit mit wachsender Intensität. So gilt seine zweite Misere der bereits jahrelang im Wachkoma befindlichen Lebensgefährtin Barbara, die einst vergiftet wurde und nun lediglich mit Maschinen am Leben gehalten wird. Was also kann einen solchen Menschen schon noch aus der Reserve locken?

Nun, diese Frage wird in „Irrsinn“ schon nach wenigen Seiten mit einem wahren Paukenschlag beantwortet. Der Moment, in dem Billy den geknitterten Zettel aus seiner Windschutzscheibe entnimmt ist der Anfang einer grausamen Verfolgungsjagd, bei der der Protagonist unablässig in das Visier eines brutalen Killers gerät, der sich offenkundig ein Späßchen daraus macht, den jungen Wiles zum russischen Roulette zu zwingen. Gleich dreimal erhält er deutliche Botschaften, in denen er über Leben und Tod richten soll, und je weiter die einseitige Bekanntschaft mit dem Attentäter reift, desto näher pirscht dieser sich in das angeschlagene Seelenkostüm des Barkeepers heran. Seine Rätsel scheinen für Billy unergründlich, und während dieser gleich mehrfach im Glauben bleibt, er sei ihm einen Schritt voraus, versorgt dieser ihn auch schon wieder mit der nächsten Schreckensnachricht, die Billy schließlich ganz tief in den Abgrund seines persönlichen Nervenkostüms führt.

Koontz Genialität blitzt unterdessen vorrangig bei der Inszenierung der ungleichen Beziehung zwischen gequältem Opfer und schier geisteskrankem Fährtenleger auf. Nach und nach eignet sich Billy unbewusst dessen Eigenschaften an, verspürt einen vergleichbaren Hass und lässt sich hiervon bei seiner ersten Konfrontation mit einem selbst erkorenen Verdächtigen treiben. Innerhalb weniger Tagen wurde er gezwungen, einige Leichen zu beseitigen, um den Verdacht nicht auf sich selbst zu lenken, schlimmste seelische und physische Qualen (bei der ersten Begegnung mit dem Täter) zu ertragen und schließlich dennoch die Nerven zu behalten, damit sich nicht die letzte Ankündigung, die letzte Leiche sei aus Billys Selbstmord hervorgegangen, auch noch bewahrheitet.

Die komplette Story bleibt allerdings recht abstrakt, einerseits rational im Fortschritt der Handlung, andererseits aber auch zutiefst bewegend was das Seelenleben des Hauptdarstellers betrifft. Abgründe werden erforscht, mit unerbittlichem Druck die Belastbarkeitsgrenzen dieses Menschen ertestet und fast schon nebenbei die bösartigsten, niederträchtigsten Ereignisse reflektiert und aufgearbeitet, als sei dies selbstverständlich. Erschreckend ist in diesem Zusammenhang, welche menschlichen Abartigkeiten Koontz zutage holt, ohne dass man sch hier wirklich abgestoßen fühlt. Ganz im Gegenteil, man empfindet das Handeln des Mörders zwangsläufig als eine Form der Kunst, die in gewisser Weise faszinierend ist, gleichzeitig aber auch mit hässlichstem Entsetzen verknüpft ist, da man kaum glauben mag, mit welch perfiden Mitteln sich der Autor in die einzelnen Personen hineindenkt bzw. wie er ihre rapide Entwicklung ausarbeitet. Das ist nicht nur spannend sondern bisweilen auch höhere Kunst.

Apropos Spannung: Diese ist das zentrale Element des Romans und hält sich über ganze Hundertschaften von Seiten auf dem Höhepunkt. Gerade die Cliffhanger an den Enden der meist recht kurzen Kapitel sorgen für erhöhten Pulsschlag, da hier teilweise solch massive Wendungen eintreten, dass man sich kurzzeitig dazu entschließt, das Buch für einen Moment ruhen zu lassen, um das Geschehene zu verdauen. Jener Aspekt wirkt noch weiter durch den unkonventionellen Schreibstil forciert. Koontz arbeitet sich langsam aber sicher an einen der unzähligen Knackpunkte der Handlung heran, bereitet ihn effektreich vor, biegt kurz vor dem Hochpunkt noch einmal ab und benennt diesen schon fast beiläufig, was insgesamt noch um einiges effizienter ist. Gerade in denen Szenen, in welchen die schmale Distanz zwischen den beiden Fronten geradezu greifbar scheint, gehen einem derartige, literarische Kunststücke unter die Haut, wenngleich sie im Laufe der Story nicht immer gleichsam bewegend sind. Doch besonders in den ersten Sequenzen sind sie mitunter das Element, welches das Buch erst zum verdienten Bestseller avancieren lässt.

 

Kritiker äußern dieser Tage, dass “Irrsinn“ im Schaffen des Amerikaners eher ein Zwischenfall ist, da sich der Inhalt massiv von den gewohnten Themengebieten Koontz’ absetzt. Allerdings sind solcherlei Rückschlüsse abstrus und kaum nachvollziehbar, beweist der Autor doch hier seine Allround-Talente mit einer mehr als beeindruckenden Effektivität. Die Story, die den Leser in „Irrsinn“ gleich mehrmals in eben jenen treibt, ihn bisweilen sogar regelrecht wahnsinnig werden lässt, ist nämlich ein weiteres Meisterstück aus der Feder der erfolgsverwöhnten Ikone, dementsprechend aber definitiv nichts für schwache Nerven. Der unbewusste Psycho-Terror, der hier nicht bloß kunstvoll thematisiert wird, sondern zeitweise Besitz von seinem Betrachter ergreift, ist scher verdaulich, grausam und phasenweise völlig unmenschlich. Oder anders gesagt: Es sind die Elemente, die Koontz sei jeher auszeichnen, allerdings hier in ein erfrischend andersartiges, subtil gestaltetes, bemerkenswertes Setting gepresst. Was für ein Autor, was für eine verdammt brillante Story!

 

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Buch:

Irrsinn

Original: Velocity, 2005

Autor: Dean Koontz

Taschenbuch, 420 Seiten

Heyne, 5. Oktober 2007

Übersetzer: Bernhard Kleinschmidt

 

ISBN-10: 3453020359

ISBN-13: 978-3453020351

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 07.02.2008, zuletzt aktualisiert: 12.07.2019 15:15, 5783