Kill Your Friends von John Niven
Rezension von Christian Endres
Die Musikindustrie irgendwann Ende der 90er scheint ein verkommener Vorort der Hölle gewesen zu sein - zumindest wenn man der bitterbösen Mediensatire »Kill Your Friends« von John Niven glaubt. Der schottische Autor, der vor seiner Karriere als Buchautor und Journalist wie sein Roman-Held John Stelfox selbst als A & R-Manager (Artists and Repertoire) bei einer Plattenfirma gearbeitet hat und unter anderem Coldplay als neue Band verschmähte, muss es schließlich wissen: auch er hat sich einst durch eine Vielzahl Demotapes, Indie-Konzerte, Rock-Festivals und Musikmessen kämpfen müssen und sich unter permanentem Konkurrenz- und Erfolgsdruck auf der ständigen Suche nach dem nächsten großen Top-Five-Hit befunden.
Für Nivens modernen Pop-Antihelden Stelfox lassen sich der Stress und die Desillusionierung anscheinend nur auf eine Art bewältigen: Drogen, Nutten, Intrigen, Lügen, Drogen und - genau - noch mehr Drogen. Dieses Leben auf der wackeligen Überholspur des blendend grellen Neonscheins geht so lange mehr oder minder gut, bis Stelfox’ völlig kokainvernebelter Verstand dem Druck am Ende nicht mehr standhält und zwischen Drogen, Pornos und einem gefloppten Riesenprojekt nicht einmal mehr vor Mord zurück schreckt, um seine ins Schludern geratene Karriere doch noch einmal voranzutreiben. Damit beginnt eine weitere Spirale in Stevens Leben, in der dieser sich nur allzu schnell noch weiter verliert ...
John Niven gibt auf knapp 400 Seiten tiefe Einblicke in das Music Biz, einen äußerst bizarren Mikrokosmos aus Sex, Koks und Kohle. Wie bei jeder Satire dieser Art stellt sich die Frage nach der Authentizität und dem finalen Wahrheitsgehalt gar nicht. Das hier soll kein akribisches Sachbuch über das Musikgeschäft sein, obwohl es bestimmt genügend wahre Begebenheiten gibt, die den Mantel der Übertreibung als Verkleidung nutzen. So oder so: Das hier ist Nivens Abrechnung mit einem Business, in dem innerhalb seiner eigenen verkommenen Scheinwelt mit unglaublich harten Bandagen gekämpft wird, während am Ende nur weichgespülte Popgesänge nach außen durchdringen.
Nivens wahrscheinlich also bestenfalls semiautobiografische Abrechnung mit seinem früheren Leben kommt nicht umsonst unter Heynes ambitioniertem Hardcore-Label daher. Kaum eine Seite, auf der Stelfox die richtige Modulation für die Kopulation zwischen zwei oder mehr Menschen findet - und kaum ein Absatz, da er seine fluchende Verunglimpfung nicht exzessiv genauso benutzt wie Kokain und Whiskey. Nein, es ist wahrlich nicht leicht, John Stelfox als sympathischen Hauptcharakter anzunehmen. Aber man bleibt trotzdem für den Rest des schön aufgemachten Paperbacks an Stelfox’ Seite und lässt sich von ihm und Nivens großartig reißerischen Schreibstil im Dunstkreis des Pornos in einen Strudel aus Kokain und Karrieredruck ziehen ...
»Kill Your Friends« ist eine subversiv-satirische Geschichte über den Untergang der Moral innerhalb unserer dekadenten Popkultur bzw. den engsten Kreisen ihrer Macher. Das ist nichts für zartbesaitete Gemüter, das ist nichts für sprachliche Ästheten oder angehende Musikhochschulstudenten, und das ist vielleicht sogar ein reines »Männerbuch« - aber das macht Seite für Seite eben auch großen Spaß und ist einer der großen Buchhits des Frühjahrs.
Die »Bravo« und RTLs »Top of the Pops« waren gestern.
Lang lebe John Niven.