Kolumne: Der Leser irrt (nie)!
 
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Kolumne: Der Leser irrt (nie)!

Autor: Holger M. Pohl

 

Jeder kennt sicher diese berühmten 2 Paragraphen:

§ 1: Der Leser irrt nie!

§ 2: Irrt der Leser einmal doch, tritt automatisch § 1 in Kraft.

 

Andererseits gilt es aber vielleicht doch andersherum:

§ 1: Der Leser irrt sich immer!

§ 2: Irrt der Leser einmal doch nicht, tritt automatisch § 1 in Kraft.

 

Ja was denn nun? So oder so? Eine Entscheidung muss her!

 

Ja, ich weiß, dies ist eine Abwandlung dessen, was zu diesen beiden Paragraphen, passend zu irgendetwas, in der Welt unterwegs ist. Man kann sie auf alles anwenden, wenn einem der Sinn danach steht. Und weil mir der Sinn danach steht, wende ich sie heute auf den Leser an.

 

Es ist nämlich so ein Übel mit dem Leser-Feedback. Man bekommt nicht immer das, was man gerne hören möchte. Welcher Autor schätzt sich nicht glücklich, wenn er von seinen Lesern ein “Tolles Buch!” entgegen geschmettert bekommt. Am Besten noch in Fünf-Sterne-Form. Da kommt Freude auf! Der Stehkragen wird länger als der Hals je sein könnte. Da macht man Werbung damit: “Hey, hab eine tolle 5*-Rezi bekommen!”. Vorurteilslos und unreflektiert wird damit geprahlt: “Ja, dieser Leser hat Recht! Mein Buch ist ein tolles Buch!” Dieser Leser kann nicht irren, auch wenn er nur schreibt, dass er das Buch toll fand.

 

Kommt hingegen das Gegenteil, nämlich eine 1*-Rezi und nur ein “Mieses Buch” … ja dann irrt der Leser. Überhaupt, was ist das für eine Rezi? Das ist doch gar keine Rezi! Das sind doch nur zwei Worte und völlig ohne Aussagekraft. Hat der Leser das Buch überhaupt gelesen? Werbung kann und werde ich damit natürlich keine machen. Nein, ich muss diesem Leser sogar noch unter die Nase reiben, dass es doch Müll ist, was er da verzapft; wie sehr er sich irrt!

 

Ihr haltet das für übertrieben? Vielleicht, aber schaut Euch doch mal um. Vor allem und insbesondere bei jenen, die nichts anderes haben als diese *-Rezis auf Amazon & Co. Übertreiben mag es vielleicht sein, aber so weit an der Wirklichkeit ist es auch nicht vorbei.

 

Eine 5*-Rezi wird ausnahmslos vereinnahmt und zu jeder Art von Werbung missbraucht. Mag die Rezi noch so kurz, noch so gehaltlos, noch so unbedeutend sein, es sind eben nun mal 5 Sterne.

5*-Rezis werden per Definition - nachweislich und literarisches Naturgesetz! - nie, wirklich nie, von Verwandten, Freunden, Bekannten … kurz nahe stehenden Personen verfasst. Die kommen immer und ausschließlich von echten, richtigen, mir völlig unbekannten und in keinem Fall nahe stehenden Lesern, die das Werk vollständig gelesen haben (und sei es nur die Leseprobe, aber das reicht ja als vollständig genug), es verstanden haben (weil sie das sagen, was ich hören will), ganz durch Zufall (für den ich nichts kann) mein Werk dazu auserkoren haben, das erste Werk zu sein, zu dem sie eine Rezi verfassen (weil es einfach so toll ist), weil … weil … weil …

Manchmal sind diese Rezis auch … sagen wir mal mit einem Geschmack behaftet. In der Politik würde man vielleicht sagen: “Wie aus nahe stehenden Kreisen zu erfahren war …”

Aber: Ein Leser, der 5 Sterne vergibt, irrt sich nicht, niemals, nicht in diesem und auch keinem anderen Leben! Basta!

 

1*-Rezis hingegen sind bäh. Selbst dann, wenn sie länger sind als jede 5*-Rezi. Und sind sie kurz, dann erst Recht. Gehaltvoll sind sie sowieso nicht und schon dreimal sind sie nicht bedeutungsvoll!

1*-Rezis sind nämlich - und das ist nachweislich so, ich finde den Beweis nur gerade nicht - entweder von welchen geschrieben, die mein Werk nie vollständig gelesen haben (weil man ja aufgrund einer Leseprobe nicht das gesamte Werk beurteilen kann - oder nur dann, wenn daraus eine 5*-Rezi wird) oder von welchen, die trotz aller Rezis, die sie bereits verfasst haben, nicht wissen wie sie eine (mir gefällige) Rezi zu schreiben haben (was sicher damit zusammenhängt, dass sie mir böses wollen), oder weil ein neidvoller Kollege mir eine auswischen will (ja, wir Autoren sind so: wir wollen anderen Autorinnen und Autoren immer eine auswischen!) oder weil der Leser es nicht verstanden hat (hätte er es nämlich verstanden, dann würde er schreiben, was ich hören will!) oder … oder … oder …

Solche Leser irren immer; sie haben sich geirrt, seit das Universum existiert und werden sich bis zu dessen Ende immer weiter irren! Basta!

 

Würden sich manche Autorinnen und Autoren das einmal vor Augen halten, dann würden sie möglicherweise sehen, wie sehr sie da mit zweierlei Maßstäben messen. Tun sie aber nicht! Wollen sie aber oft genug auch nicht. Wozu auch? Die nächste miese und kurze 5*-Rezi wird wieder ebenso dankbar vereinnahmt und für Werbezwecke missbraucht wie die nächste ausführliche und fundierte 1*-Rezi als Leserirrtum verdammt und unterdrückt wird.

 

Wobei wir nun bei § 2 wären: Irrt der Leser einmal doch, tritt automatisch § 1 in Kraft! Oder ist es eher so: Irrt der Leser einmal doch nicht, tritt automatisch § 1 in Kraft?

 

Manchmal irren sich aber auch einfach wir Autoren – obwohl wir uns doch eigentlich nie irren. Oder?

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240426120455e72c3fcf
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Erstellt: 15.09.2013, zuletzt aktualisiert: 26.06.2022 18:51, 13250