Kryonium von Matthias A. K. Zimmermann
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
Gefangen an einem unbekannten Ort, schmiedet der Erzähler heimlich Fluchtpläne. Die Tatsache, ohne Erinnerungen zu sein, erschwert das Vorhaben. Doch der Drang, endlich auszubrechen aus diesem furchteinflößenden, schneeverwobenen Schloss, lässt ihn jedes Risiko eingehen. Und so gerät der Erzähler immer tiefer hinein in einen wirren Strudel aus rätselhaften Begegnungen und magischer Paranoia, die er spielerisch zu entschlüsseln hofft, was ihn letztlich zum Ursprung seiner Erinnerungen führt.
Rezension:
Der Schweizer Künstler Matthias A. K. Zimmermann war bisher vor allem mit Bildern unterwegs, in denen er sich mit modernen Modellwelten beschäftigte. Nun setzte er sich literarisch mit seinem Thema auseinander.
Im ersten Teil von Kryonium berichtet der namenlose Protagonist aus seinem Leben in einer seltsamen Fantasy-Welt. Seine Aufgabe als Bewohner eines mittelalterlich anmutenden Schlosses ist es, mittels elektrischer Beleuchtung ein Monster vom Anwesen fernzuhalten, dass in der Dunkelheit angreift und alles verschlingt.
Dabei ist das oberste Ziel des Ich-Erzählers, von diesem Ort zu fliehen, dessen Grenzen durch die Gänge des Schlosses, den Alltag und die Gefahren der Umgebung gesetzt sind. Ein unendlicher Winter schneidet die Bewohner von der übrigen Welt ab, lediglich ein See und der angrenzende Wald sind erreichbar. Doch im See lebt das Ungeheuer und reagiert auf das leiseste Geräusch. Im Wald treibt eine böse Hexe ihr Unwesen, die bereits einmal Tod und Verwüstung im Schloss hinterließ. Darüber hinaus bevölkern den Wald Fabelwesen wie Zwerge und Einhörner, aber auch jede Menge Tiere und uralte Bäume.
Eine besondere Bedeutung aber scheinen Zahlen in dieser Welt zu spielen. Uhren stehen auf 09:09 oder 10:10, ein Zauberbuch trägt die Nummer 908’809 und weitere Palindrome treten nach und nach in Erscheinung – die Welt wird immer surrealer …
Man kann wenig mehr zum Inhalt sagen, ohne zu spoilern, als es der Klappentext bereits erledigt. Es geht zunehmend um Erinnerungen und die Gründe, warum sich der Protagonist in dieser abgeschlossenen Welt befindet. Der Weg hinaus ist teilweise sehr spannend, da die Rätseldichte zunimmt und tatsächlich die meisten der aufkommenden Fragen irgendwann gelöst werden. Allerdings kann der Auflösungsteil dann die Spannung nicht halten und wirkt etwas gehetzt. Gerade gegen Ende des Buches werden auch die stilistischen Schwächen des Autors spürbarer. Der klare, meist sehr nüchterne Tonfall, mit ausführlich, bildhaften Beschreibungen passt wunderbar zum Erforschen der geheimnisvollen Welt und charakterisiert den Protagonisten als Wissenschaftler oder Ingenieur, jedoch bleibt dieser Tonfall auch erhalten, wenn sich die Erzählperspektive ändert und steht dann seltsam steril im Raum.
Es gibt sehr viele Stellen in »Kryonium«, die der Wissensvermittlung dienen. Physikalische und mathematische Hintergründe werden erläutert, später gesellen sich psychologische und philosophische Themen hinzu. Das ist durchaus informativ und bereichernd, regt zum Nachdenken an und gerade die finale Entscheidung offenbart die Tiefe des Gedankenexperiments, das »Kryonium« darstellt.
In seinem Nachwort vertieft Stephan Günzel den theoretischen Unterbau des Romans und man sollte es unbedingt erst nach der Lektüre lesen.
Fazit:
»Kryonium« von Matthias A. K. Zimmermann berichtet von einer geheimnisvollen Zauberwelt, aus der ein Entrinnen unmöglich erscheint und dennoch die einzige Option ist. In mehreren Windungen kämpft sich der Protagonist durch den verblassten Pfad seiner Erinnerungen. Ein ungewöhnlicher, gedankenvoller Beitrag zur Phantastik.
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