Rezension von Ralf Steinberg
Rezension:
Bereits der Titel Lovecraft Country enthält eine ganze Bedeutungswelt, die Matt Ruff wohl nicht ohne Ansicht damit anklingen lassen wollte. Wir hätten da die USA als da Land, in dem etliche der Horrorgeschichten H. P. Lovecrafts angesiedelt sind. Zugleich ist Lovecraft mit seinem Rassismus Bestandteil der tiefgespaltenen US-amerikanischen Gesellschaft. Und Matt Ruff erforscht in seinem grandiosen Episodenroman genau diesen Raum zwischen Lovecraft-Phantastik und dem Horror des Alltagsrassismus, der in einer Art greifbar wird, wie es vielleicht gerade jetzt genutzt werden muss, um die anhaltenden Missstände zu benennen, denen Menschen ausgesetzt sind, die keine weiße Hautfarbe besitzen.
Der Roman beginnt mit Atticus. Der junge Mann reist mit dem Safe Negro Travel Guide von Jaksonville nach Chicago. Atticus liebt SF, kämpfte in Korea für die US-Army und er ist schwarz. Seine Heimfahrt wird kompliziert, als ihn eine Reifenpanne zwingt, länger in Kentucky zu verweilen, als es 1954 gut für ihn ist.
Matt Ruff benötigt nur ein paar Seiten, um uns mit voller Wucht in den US-amerikanischen Rassismus hineinzustoßen. Die Willkür, der Hass und die tödliche Bedrohung liegen deutlich spürbar auf den Straßen der Countys durch die der junge Mann reist. Es gibt keine Garantie, da lebend herauszukommen. Die Regeln bestimmen weiße Polizisten und es ist pures Glück, ob sie grad Lust darauf haben, keinen Schwarzen abzuknallen. Diese Grundstimmung zieht sich durch das Buch, sie bleibt selbst in den phantastischsten und skurrilsten Momentes des Romans spürbar, ein Herzklopfen, das jeden Winkel des Alltagslebens ebenso durchdringt, wie ihre außergewöhnlichen Brüder.
Atticus ist auf dem Weg zu seinem Onkel George, dem Eigentümer des Unternehmens, das den Safe Negro Travel Guide herausgibt. in ihm finden sich Adressen von Hotels, Restaurants, Läden und Tankstellen, in denen es gefahrlos möglich ist, als People of Color bedient zu werden. Die ganze Familie wird für Recherchen eingesetzt, der Guide ist ein Erfolg, aber nur so gut, wie die Aktualität seiner Informationen. Atticus trägt einen Brief seines Vaters mit sich herum, in dem er ihm mitteilt, etwas über die Familie von Atticus’ Mutter Dora herausgefunden zu haben, ein Vermächtnis, ein Erbe, dass ihn nach Ardham, einem Ort in »Lovecraft Country« führte und seitdem nichts mehr von sich hören ließ. Zusammen mit seinem Onkel und dem ehemaligen Nachbarskind Letitia, inzwischen eine quirlige und sehr willensstarke junge Frau, macht sich Atticus auf den Weg, seinen Vater Montrose zu suchen. Sie finden eine magienutzende christliche Sekte, ein Spukhaus in einem weißen Stadtteil, Portale ins Universum und eine Welt hinter dem Hass.
Matt Ruffs Fantasie sprudelt nur so in den verschiedenen Episoden, in denen er nicht nur jeweils die Hauptfigur wechselt sondern auch die Art der phantastischen Welt, in der sie sich bewegt. Dabei verlässt er die große Familie um Montrose nie, alles spielt sich in ihrer durch Sklaverei und Überlebenswillen gezeichneten Geschichte ab. Ein wesentlicher Bestandteil ihrer Familienhistorie ist dabei das Buch der Tage. In ihm hatte Georges und Montroses Urgroßmutter Adah eine Abrechnung all ihrer Arbeiten, erlittenen Demütigungen, Löhne und Strafzahlen ihrer Versklavung aufgestellt, die ihr der ehemalige ›Besitzer‹ schuldete. Nach ihrem Tod führte die Familie das Buch mit der Berechnung der Zinsen fort. Der Kult um das Buch ähnelt dem der weißen Magier und es ist nur folgerichtig, dass Bücher eine entscheidende Rolle im großartig inszenierten finalen Kampf spielen.
Aber auch Letitias Ringen um ihre Selbstständigkeit, die sie nicht nur gegen weiße Nachbarn und ihrer Schwester durchsetzen muss, sondern auch mit dem Haus und seiner spukenden Vergangenheit. Ihre Schwester Ruby erlebt hingegen eine eigene Art der Emanzipation vom grauen Mauerblümchen zur wilden Hillary, mit einem wirklich beeindruckenden Perspektivwechsel.
Kraftvoll ist auch die Superheldencomics zeichnende Hippolyta, deren Begeisterung für die Astronomie zu einer wunderbaren Reise wird und die dann doch noch Genugtuung dafür erfährt, dem Pluto nur inoffiziell zu seinem Namen verholfen zu haben.
Matt Ruffs Frauenfiguren beherrschen den Roman vor allem durch ihre Stärke, die aus ganz unterschiedlichen Eigenschaften gespeist wird. Sie sind keine Opfer oder nehmen irgendein Schicksal fatalistisch hin, vielmehr bestimmen sie ihre Leben selbst und haben gleichberechtigten Anteil am Geschehen.
»Lovecraft Country« ist aber kein simples Abwatschen weißer Kultur. Vielmehr baut Matt Ruff aus beiden Teilen US-amerikanischer Kultur eine farbenprächtige Mischung und zeigt so viel intensiver, wie blödsinnig Rassismus und Diskriminierung tatsächlich sind. Raffiniert mit witzigen, spannenden, rührenden und brachialen Kapiteln gewürzt, lernen wir das wahre Grauen hinter dem Rassenwahn kennen. Für weiße Deutsche ist das Problem, wegen der Hautfarbe misstrauisch beäugt, instinktiv als kriminell eingestuft zu werden und einer völlig willkürlichen Polizeigewalt ausgesetzt zu sein, wohl noch nie so über die Hintertür ins Herz gerammt worden, wie mit diesem Buch.
Fazit:
In »Lovecraft Country« führt uns Matt Ruff durch die bedrohliche Welt der USA in den 50ern. Geprägt von fundamentalem Rassismus, aber auch von einer kulturellen Kraft, die sich in den phantastischen Episoden des Romans fulminant bündelt. SF, Fantasy, Horror und Märchen – alle Spielarten der Phantastik mischt Matt Ruff in seinem spannenden Gesellschaftsabbild. Ein Roman, der Rassismus zum wahren Horror erklärt und die heilenden Kräfte der Fantasie feiert.