Milli Dreierleibit (Autor: Michael Szameit)
 
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Milli Dreierleibit und andere merkwürdige Geschichten von Michael Szameit

Herausgegeben und illustriert von René Nowotny

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Es geschieht nicht oft, dass man sich plötzlich einem Buch gegenüber sieht, dessen Erscheinen ein kleines Wunder ist.

Die Zusammenstellung von Kurzgeschichten den Autors Michael Szameit ist so eine große Erstaunlichkeit. Ihr Entstehen ist eine Geschichte für sich und wird vom Herausgeber René Nowotny im Nachwort eindringlich erläutert - auch dort spürt man die unbändige Freude darüber, dieses Buch fabriziert zu haben.


Michael Szameit gehörte zu den bekannteren SF-Autoren der DDR und er gehörte zu einer neuen Generation, die deutlich kritische Untertöne in ihre Storys einbrachten. Als SF-Fan in der DDR war man es gewohnt, in den verschiedensten Medien nach seinem Stoff Ausschau zu halten. Neben den Romanen in der Reihe Spannend erzählt, erschienen Kurzgeschichten etwa in der Mini-Heft-Reihe Das neue Abenteuer.

Eine der eindrucksvollsten Ausgaben stellte Planet der Windharfen von Michael Szameit dar. Der Fan erkannte schnell, dass der Hintergrund mit den Romanen des Autors verknüpft war, aber die Faszination betraf auch andere Teile der Geschichte. So ist der Protagonist kein typischer Held oder Funktionär. Ganz im Gegenteil. Der selbstsichere Chef scheitert sogar an seiner Arroganz, ähnlich wie ein weiterer Überlebender des Raumschiffabsturzes. Szameit beschreibt eine so fremdartige, wie schöne Welt, mischt Action mit Melancholie, wie es in der damaligen SF einfach nicht zu finden war. Letztlich las sich die Geschichte wie ein Aufruf zur Selbstverwirklichung und Toleranz jenseits starrer Grenzen.


René Nowotny war davon ebenso in Beschlag genommen, wie später vom Drachenkreuzer Ikarus, ein Roman, der schon unverschämt offen gegen Stasi und Diktatur angeschrieben war. Ein Buch dessen Erscheinen man als Ausrutscher begriff, weniger als Vorzeichen des Zusammenbruchs. Umso erstaunlicher ist es, nun in der Zeit zurückzugehen und die alten Texte wieder zu lesen und dabei die ganze Wucht der Historie erneut zu spüren. Ganz besonders deutlich wird das in der nichtphantastischen Erzählung Lied von der Angst. Ein Erlebnisbericht über die Verhaftung des Autoren während der Montagsdemos 1989 in Leipzig. Vielleicht verdeutlicht gerade dieser Text, welche Brisanz und innere Notwendigkeit das Schreiben über die Verhältnisse in der DDR für Michael Szameit hatten. Es ist diese von Genregrenzen losgelöste Anordnung der Texte, die dieser Sammlung ihre Kraft verleihen.


Man beginnt den Streifzug mit einer eher typischen Story der 70er Jahre. Das Tier (aus der Anthologie Begegnung im Licht) thematisiert die blinde Zerstörungswut der Menschheit, ihr Unvermögen, andere Lebewesen zu verstehen und ihnen ihren Platz im Universum zu lassen. Die durch Aliens geäußerte Botschaft der Story ist dann auch logisch: Die Menschheit ist noch nicht reif für eine Kontaktaufnahme. Schon hier verweigert sich Szameit der Einbindung sozialistischer Themen und deutet jene Richtung an, die er mit seinen Romanen einschlagen wird.





Die beiden folgenden Geschichten Urlaub auf aldebaranisch und Der Apfelmuskreuzer (letztere aus Wege zur Unmöglichkeit ) spielen im »Sonnenstein«-Universum und sind humoristische Parabeln in der Tradition von Stanislaw Lems Sterntagebüchern und Testpilot Pirx. Das Groteske wird zur Normalität, unorthodoxe Lösungen treiben die Geschichte voran und im Zentrum stehen ganz normale Menschen. Man kann über sie, aber auch mit ihnen lachen - die Sympathien verteilen sich aus dem Bauch heraus, wie im gewöhnlichen Leben.


Szameits Helden waren immer Zufallsbekanntschaften, Leute von nebenan, die ihrer Situation einfach dadurch gewachsen waren, dass sie sich mittendrin befanden und einfach sie selbst blieben - nicht ohne über sich hinauszuwachsen.

»Planet der Windharfen« steht hierfür exemplarisch. Die dicht erzählte Story strahlt eine berührende Atmosphäre aus, man befindet sich als Leser unheimlich dicht an der Figur, teilt ihre Verluste und empfindet mit ihr Enthusiasmus, wie auch Verzweiflung. Zu Unrecht in Vergessenheit geraten, ist diese Geschichte ein Meisterwerk der deutschen SF.

Während hier jedoch das Ende verhalten optimistisch ist und zumindest mit persönlicher Erfüllung einhergeht, steht die titelgebende Geschichte um Millidreierleibit ganz im Zeichen der zunehmenden Frustration mit den gesellschaftlichen Umständen. Die engen Grenzen, das Bewusstsein, in einem sterbenden Staat zu leben, der preußisch-dörfliche Mief und und das Gefühl, von »den da Oben« betrogen zu werden – all das findet sich in der Geschichte wieder. Und so erschien sie auch nicht in der DDR. Schade.


Die Wende brachte nicht unbedingt die künstlerische Erfüllung, sondern in erster Linie Nachdenken. Über das Vergangene, den eigen Weg in der Freiheit, man musste neue Themen entdecken, da die alten weggebrochen waren.

So erscheint Dreiäuglein, wache... als depressive No Future Story, in der neues Bewusstsein radikal vernichtet wird. Und auch Happy Independence Day beschreibt sarkastisch eine deprimierende Zukunft, in der Phobien der Amerikanisierung auf die Spitze getrieben werden. Und man spürt, dass Szameit eigentlich über Themen verfügt, die sich zu Geschichten weiten lassen.

So ging es wohl auch dem Herausgeber der Sammlung. Inzwischen mit dem Autor befreundet, kündigte er bereits einen neuen Roman Michael Szameits in seiner kleinen privaten Edition an. Er schreibt wieder, jubelt der Fan, und zu Recht, wie das Stöbern in den alten und neuen Geschichten beweist.


Die Edition Ad:keY ist ein Hobbypojekt. René Nowotny arbeitet hauptberuflich als Lehrer und macht elektronische Musik – das Herausgeben von Büchern hatte private Hintergründe, sodass man Satz und Korrektorat nicht mit professionellen Verlagen vergleichen darf. Wer Fehler findet, sollte sie dem Herausgeber melden, da nur Kleinstauflagen gedruckt werden, sind schon die nächsten Bücher besser. Ein Fanprojekt eben.

Die Illustrationen jedoch sind weitaus mehr als amateurhaft. Sie illustrieren nicht nur hervorragend die einzelnen Geschichten, sie transportieren auch das einmalige Feeling, das wissenschaftliche Phantastik in der DDR und darüber hinaus auslöste. Es sind die passenden Bilder und machen das Buch zu einem ganz privaten Schmuckstück.

 

Fazit:

Sammler lecken sich die Finger, Fans rasten aus – ja, der Storyband von Michael Szameit ist ein kleiner Schatz. Und ein Versprechen für die Zukunft.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240426210304b82eaf45
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Buch:

Milli Dreierleibit und andere merkwürdige Geschichten

Autor: Michael Szameit

Herausgeber und Illustrator: René Nowotny

Edition AD:keY, November 2010

Erhältlich via E-Mail: agro [at] armageddondildos [dot] de


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Erstellt: 12.02.2011, zuletzt aktualisiert: 17.01.2024 18:43, 11544