Miriamslied (Autor: Stefan Blankertz)
 
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Miriamslied von Stefan Blankertz

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Wenn ein Autor einen Text als Sorgenkind bezeichnet, ist auf jeden Fall eine ganz besondere Bindung an den Text zu erwarten. Und natürlich auch Gründe für die Sorgen.

 

Das Miriamslied von Stefan Blankertz beginnt in einer nahen Zukunft im Kölner Dom. Das Miriamsfest wird gefeiert, eine Art Messe in der man der heiligen Miriam huldigt. Man ist hier in erster Linie eine Menge Ratten, einige Ratten-Mensch-Chimären, Metten genannt, sowie Roboter mit Rattenhirn, konsequenterweise als Rotten vorgestellt.

Vor Jahren gab es Krieg zwischen Menschen und Ratten. Die siegreichen Nager bestimmen nun die Geschicke der Welt und auch den Glauben, eben jenen Kult um Miriam.

Doch wie konnte es dazu kommen? Genau davon handelt der Roman.

 

Wer nun vermutet, die spannende Exposition wiese auf einen SF-Roman hin, wird schnell erkennen, dass es Blankertz darum nicht ging. Vielmehr entwickelt er die Vorgeschichte zum Prolog als eine Art Seifenoper oder Volkstheaterstück.

Zunächst jedoch spendiert er der Geschichte einen weiteren Rahmen. Hunnenkönig Attilla erlebt in der Hölle eine böse Überraschung, als man ihm mitteilt, dass im Zuge einer Überprüfung seines Falles festgestellt wurde, dass er gar nicht so böse war und sein Platz in der Hölle in Gefahr sei. Grund der Überprüfung sind politische Änderungen im Jenseits in deren Verlauf sich Himmel und Hölle verschiedener Religionen zur Monotheistischen Jenseitsunion verbanden. Auch sein ehemaliger Widerpart, die Kölner Lokalheilige Ursula, fällt aus allen Wolken, als man ihr offenbart, dass ihre heilige Tat nun nicht mehr ganz so strahlend erscheint.

Beiden wird eine Bewährung samt Bewährungshelfer aufgedrückt und ab geht’s zurück auf die Erde. Attilla findet sich als Computerseele wieder, während Ursula eine Ratte wird.

Nun muss es Atilla nur noch schaffen, Ursula zur Sünde zu verführen, während Ursula dem zu widerstehen hat ...

 

Das klingt schräg und liest sich auch sehr witzig. Allerdings macht es Blankertz dem Leser nicht leicht. Da ist etwa die Jugendsprache von Ursula oder die Computersyntax Attilas. Was im ersten Augenblick als lustiger Einfall erscheint, entwickelt sich zunehmend als nerviges Detail. Die später auftauchenden echten Jugendlichen sprechen nicht einmal annähernd so übertrieben. Irgendwann hat der Leser aber die Intention verstanden und das Weiterbeharren auf den Slang fügt weder der Figur noch dem Roman etwas hinzu.

Ähnlich übertrieben wird der Kölner-Dialekt eine Nebenfigur, die zudem diesen Dialekt nur imitiert.

Rätselhaft bleiben auch diverse umgedrehte Ausrufe- und Fragezeichen, die zum Teil parallel zu typografischen Hervorhebungen verwendet wurden. Da sie im Deutschen normalerweise nicht zu finden sind, erwartet man etwas Besonderes, ohne dass es je folgt.

Eine weitere Seltsamkeit mag dem Heimatdialekt des Autors geschuldet sein, stört den Lesefluss aber immer wieder nachhaltig. Ab und zu rutscht das Wörtchen sich in reflexiven Teilsätzen soweit nach hinten, dass man mit ihm gar nicht rechnet und der gesamte Satz beim Lesen implodiert.

Vielleicht sind diese Eigenarten des Textes seiner langen Editionsgeschichte geschuldet, die Stefan Blankertz im Begleittext des Romans erwähnt.

 

Das größere Problem des Romans ist jedoch, dass sich die zentrale Handlung nicht aus einem engen Korsett herausbewegt. Die Figuren erscheinen eindimensional und obwohl Blankertz mehrmals die Perspektive wechselt, gelingt es nicht, sie dem Leser nahe zu bringen. Vielleicht fehlt eine echte Identifikationsfigur, vielleicht wechseln sie auch zu schnell. Vieles wirkt aneinander gestückelt. Die vorhandenen Konfliktpotentiale jedoch werden nicht ausgeschöpft.

Zwar wird im Verlauf des Geschehens erklärt, wie es zu einem Krieg zwischen Menschen und Ratten kam, die Queste von Attila und Ursula hingegen verpufft irgendwie, was auch am religiösen Hintergrund liegen mag. Attila lässt Kriegsmaschinen bauen, Ursula versucht, militante Ratten zu befrieden. Man könnte die Geschichte des Hunnenkönigs wiederentdecken, also ein Versuch, die Historie auf die Gegenwart zu spiegeln, aber als zentraler Konflikt erweist sich diese Idee als nicht tragfähig. Was hätte man mit einem »echten« Attila alles anfangen können! Blankertz Version bleibt blass und seine Kontrahentin zeichnet sich eher durch ihre Sprache aus als durch Relevanz. Auch hier gäbe es genügend Märchenfiguren, die mehr Potential enthalten.

 

Die hingegen interessanteste Figur, die junge Chimäre Kordula, kommt nie so recht über eine gefällige Beschreibung hinaus. Der Rattenkopf gibt ihr einige besondere Fähigkeiten, die Blankertz auch konsequent einsetzt. Dass sie ihr gesamtes Leben vor der Öffentlichkeit versteckt und von ihren Eltern verschmäht wurde, böte genügend psychologische Ansätze. Blankertz lässt diese möglichen Deformationen aus und übergeht sie mit erstaunlicher Fröhlichkeit. Zwar lädt er die Figur mit Bezügen zu Songs von Grateful Dead auf, aber daraus entwickelt er keine Dynamik. Vielmehr folgt eine schwache Lovestory. Selbst die für sie hochdramatischen familiären Entwicklungen tragen keine persönlichen Konsequenzen.

Dafür gibt es ausführliche Einblicke in das Schicksal von Nebenfiguren, die jedoch weder zur Stimmung noch zur Handlung beitragen und eher wie Vehikel zum Transport moralischer Fingerzeige wirken.

 

Nach der Lektüre bleiben sehr viele Fragen offen und es verstärkt sich das Gefühl, eher den unwichtigeren Teil der Geschichte gelesen zu haben, während der eigentliche Plot nun endlich beginnen müsse.

 

Dem Band beigelegt ist ein dünnes Heftchen Kordula – Die Portraits. Es enthält etliche bearbeitete Fotos von Frauen mit aufmontierten Rattenköpfen, ein Gedicht und ein Essay zum »Miriamslied«, mit denen der Leser tiefer in den Hintergrund und das Buch einsteigen kann.

 

Fazit:

Das privat verlegte »Sorgenkind« von Stefan Blankertz steckt voller Einfälle und Ideen, die sich jedoch nicht zu einem überzeugenden Ganzen zusammenfügen.

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Buch:

Miriamslied

Autor: Stefan Blankertz

Taschenbuch, 263 Seiten

edition g., 2012

 

ISBN-10: 3848218569

ISBN-13: 978-3848218561

 

Erhältlich bei: Amazon

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240426121911cfcb6e56
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Erstellt: 15.12.2012, zuletzt aktualisiert: 17.01.2024 18:43, 12890