Rezension von Christine Schlicht
Die Klimakatastrophe verlief ganz anders, als alle Voraussagen es andeuteten: Sturm kam auf und verwüstete die Welt, wie wir sie kennen. Vor 15 Jahren.
In dieser Welt ohne Licht und frische Luft, in der man die Erdoberfläche nicht ungeschützt betreten kann, weil man sonst Gefahr läuft, vom Sturm in Stücke gerissen zu werden oder zu ersticken, wachsen Tom und Urs auf. Beide können sich nicht mehr an eine andere Welt erinnern, denn damals waren sie gerade erst geboren worden. Toms Vater hatte sich einst mit seiner Frau des verwaisten Urs angenommen und ihn mit ihrem eigenen Kind zusammen wie Brüder groß gezogen. Toms Mutter lebt nicht mehr und der bärenstarke Urs ist in dieser anarchistischen Welt, in der sie existieren müssen, der eigentliche Beschützer des Männerclans.
Es gilt das Recht des Stärkeren und die letzten Menschen, die in Kellern und Schächten vor sich hin vegetieren sind abhängig von den „Nachtläufern“. Den Mutigen, die sich, in schwere Rüstungen gepackt, nach draußen trauen, um alles Lebensnotwendige zu organisieren. Innerhalb der Unterkünfte gibt es immer einen, der mit physischem wie psychischem Druck über die anderen herrscht.
In einer anderen Kolonie lebt das Mädchen Eo mit seiner Mutter und deren Liebhaber, dem religiösen Eiferer Odys. Eo ist klar, dass Odys, wenn er ihrer Mutter überdrüssig ist, sich auch an ihr vergreifen wird und flieht, obwohl sie damit ihren einzigen Vertrauten, einen alten Arzt, zurücklassen muss.
Nahezu ungeschützt dringt sie nach draußen. Dort wird sie von den Brüdern gefunden und in deren Kolonie gebracht. Das Mädchen nistet sich in der gewachsenen Männerwirtschaft ein und wird von den Brüdern gleichermaßen begehrt. Doch sie fürchtet den riesigen Urs und fühlt sich mehr zu dem gelehrten Tom hingezogen. Doch sie akzeptiert den Schutz, den Urs ihr bietet.
Doch sie hat Angst um den Doc und überredet die Brüder zu einer gefährlichen Befreiungsaktion. Diese gelingt ihnen und der Doc krempelt, nachdem er von den üblichen Drogencocktail entwöhnt ist, in seiner neuen Heimat einiges um. Und er ist nicht der, der er vorgibt zu sein...
Ganz sicher kann sich wohl niemand sein, wie eine kommende Klimakatastrophe aussehen wird, Reinhold Zieglers Vision mag nur eine von vielen Varianten sein. Überraschend, so wie es sich auch für den Doc herausgestellt hatte. Die Folgen werden in ein spannendes, gut zu lesendes und anrührendes Abenteuer verpackt. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und glaubwürdig in ihren Handlungsweise und Ansprüchen, von Anfang an.
Ziegler hat eine beklemmende Atmosphäre geschaffen, der man einige kleine Unstimmigkeiten gern verzeiht. Dinge, wie zum Beispiel die Art und Weise der Ernährung und woher eben diese Nahrungsmittel – und auch die Drogen - stammen, erwähnt er gar nicht. Was auch gut so ist, denn unter den Umständen, die er beschreibt, könnten vermutlich die Menschen nicht 15 Jahre lang ausharren, egal wie viele Nachläufer unter widrigsten Umständen die Gegend nach Brauchbarem durchkämmen. Abgesehen von den Mangelerscheinungen und der fehlenden ärztlichen Versorgung. Aber das würde wohl zu weit führen – das hätte, wenn man das Ganze noch plausibel erklären wollte, ein mindestens 5-fach so dickes Buch ergeben.
So wird „Nachtläufer“ zu einer kurzen und kurzweiligen, mitreißenden Lektüre für Jugendliche, die sich einfach nur in die Hauptpersonen hineinversetzen und mit ihnen mitfühlen wollen. Und mit ihnen den Hoffnungsschimmer am Ende erleben können....