Nachtmahr von Peter Schünemann

Rezension von Ellen Norten

 

Diese Rezension erschien zuerst in Kultura-Extra.

 

Böses Erwachen in Hallberg

Schon der Titel des Buches scheint als Bezeichnung aus der Zeit zu fallen und klingt unmodern. Nachtmahr meint ein ehemals weiblich vorgestelltes Wesen, das sich nachts dem Schlafenden auf die Brust setzt, ein quälendes Nachtgespenst, eine Traumgestalt, die für uns eher der Vergangenheit angehören mag, auch wenn Alpträume unsterblich sind.

 

»Nachtmahr« ist ein Titel wie er nicht besser in die Phantastik passen könnte. Peter Schünemanns Texte spielen in der fiktiven Stadt Hallberg, die jedoch ausgesprochen realistisch daherkommt und beunruhigende Ähnlichkeiten zum Sachsen-Anhaltinischen Halle zeigt. Typisch für die Phantastik beginnen die Geschichten in der Realität. Woraus sich diese Realität speist, findet sich im Nachwort des Erzählers:

 

»Obwohl auf diesem Buch mein Name steht, bin ich doch eigentlich nicht der Verfasser dieser Geschichten, sondern nur ihr Erzähler. Die Grundlagen der Texte entstammen den Akten von Frau Doktor J., einer Psychologin und Psychotherapeutin, die hier in Hallberg aufgewachsen ist und heute auch hier praktiziert. (…)

Man kann diese Geschichten natürlich lesen wir jede Prosa, die sich dem Übernatürlichen und Furchteinflößenden widmet. Manche der hier geschilderten Ereignisse haben sich, abzüglich der erzählerischen Gestaltung, wirklich so zugetragen. Andere existieren lediglich in den Köpfen der Patienten, die davon berichteten; besonders gilt dieses für die Texte Erwachen und Die Pipeline. (…) Dr. J. hält es für möglich, dass gerade diese Geschichten Visionen des Zukünftigen sein könnten. Ich ehrlich gesagt teile diese Meinung.«

S. 214

 

Kurios genug und am Rande der Legalität, doch gibt es die Therapeutin überhaupt? Wo stammen die Geschichten her? Es beginnt mit Ausritt in der sich die beste Freundin der Protagonistin am Haken der Wohnzimmerlampe erhängt. Anne, die den Tod ihrer Freundin trotz psychologischem Beistand nicht verwinden kann und bei einem Ausritt ein düsteres Ende findet …

 

Oder in Selingers Suche begegnen wir einer modernden Kasper Hauser Adaptation. Auch die anderen Geschichten nehmen kein gutes Ende. Im Verlauf unheimlich, steigern sie sich in blanken Horror, der uns, den Leser kalt erwischt. Denn sie entspringen durchaus Situationen, die wir selbst kennen, nehmen einen eigenartigen Verlauf, verlassen den Boden der Realität, ohne dabei abstruse Szenarien vorzugaukeln. Das unterscheidet Phantastik von Fantasy, die wegen ihrer ähnlichen Bezeichnungen gerne in einen gemeinsamen Topf geworfen werden.

 

In der Fantasy beginnt die Handlung im Märchenhaften, nicht Realen. Elfen und Zwerge, oder andere Fantasiegestalten können hier von Anfang an auftreten. Jede Ausgeburt der Fantasie ist erlaubt, der Leser weiß, dass er sich nicht in der Realität bewegt. Anders in der Phantastik. Hier wird unmerklich eine Schwelle überschritten, der Alltag entgleitet und es offenbart sich ein Schrecken, der wohl schon immer dagewesen zu sein scheint, der jedoch erst im Verlauf der Geschichte wahrgenommen wird. Damit dringt gute Phantastik in unseren Alltag ein und erschüttert diesen, hebt Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten auf. Und dies alles erfüllen die Geschichten im vorliegenden Buch. Grafiker Thomas Hofmann, der den Autor gut kennt hat mit seinen Bildern die gespenstischen Situationen eingefangen und unterstreicht damit die Stimmung des Buches.

 

Damit steht das Buch im Fokus der Edition Dunkelgestirn, die Werke der Phantastik aus vergangener und heutiger Zeit veröffentlicht. Die Edition ist ein kleines, nicht-kommerzielles Privatdruck-Projekt, in dem in unregelmäßigen Abständen Bücher in gediegener Ausstattung und limitierter Auflage erscheinen. Durch die geringe Auflage werden diese Bücher schnell zu begehrten Sammlerstücken und sind oft schon wenige Monate nach dem Erscheinen nur noch über den Antiquariatsbuchhandel erhältlich.

 

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