Nestis und die verschwundene Seepocke von Petra Hartmann
Rezension von Christel Scheja
Petra Hartmann liebt das Meer, auch wenn sie normalerweise tief im Binnenland lebt. Einmal im Jahr, meistens zu der Zeit, in der sich kaum mehr Touristen dorthin verirren und bereits die Herbststürme toben, zieht es sie auf die Insel Helgoland um zu schreiben. So ist dort unter dem Eindruck der Gezeiten auch die Idee zu „Nestis und die verschwundene Seepocke“ entstanden und auch dort gleich niedergeschrieben.
Kleine Meerjungfrauen und vor allem Königstöchter haben es nicht so leicht, wie alle denken. Davon weiß Nestis ein Lied zu singen, gerade wenn es um ihre Schwester Undine geht, die sie liebevoll „Seepocke“ nennt, weil die Kleine immer dann auftaucht, wenn es ihr am wenigsten passt, so wie an dem Tag, an dem sie sich eigentlich mit ihren Freunden treffen will, um ein grusliges Wrack am Meeresboden zu erkunden.
Die kann Undine abwimmeln, aber mit schrecklichen Folgen. Das Meermädchen ist nämlich plötzlich verschwunden und jede noch so intensive Suche des Hofes bringt nur noch ihren Schnuller zutage, so dass sicher scheint, dass sie von irgend einem Hai gefressen wurde.
Aber Nestis, die sich schuldig fühlt, hat eine Ahnung, dass dem nicht so ist. Gemeinsam mit ihren Freunden - dem coolen Wassermann Nick und der zauberhaften Nixe Mira, dem Kraken Otto und dem Zitteraal Kurzschluss macht sie sich auf die Suche nach der „Seepocke“, einem vagen Hinweis folgend, an den sich Nestis erinnert.
Dazu müssen sie sich aber auch in die Welt der Menschen wagen, die sie bisher nur durch ihre Hinterlassenschaften im Meer kennen gelernt haben. Gut, dass sie dort auch Freunde finden, wie den Menschenjungen Tom.
Die zarten und verträumten oder gar tragisch-melancholischen Meerjungfrauen haben ausgedient, nun kommt Nestis, selbstbewusst, klug und frech, ein Mädchen, das die Probleme in die Hand nimmt und sich nicht einschüchtern lässt, so gefährlich die Situation auch sein mag.
Dazu kommen, vielen jungen Lesern und Leserinnen wohlvertraute Probleme mit Eltern und Lehrern, die einen nicht ernst nehmen wollen, und der Ärger, den kleine, anhängliche Geschwister mit sich bringen, die leider auch noch den Niedlichkeitsbonus für sich buchen können.
Petra Hartmann erzählt eine spannende Abenteuergeschichte, die vielleicht von der Handlung her nicht neu ist und jede Erwartung erfüllt, die man an einen solchen Plot hat – aber dennoch niemals langweilig wird. Zum einen ist da die stimmige Atmosphäre, sie schafft es Kleinigkeiten aus dem Alltag jedes Lesers in ihrem Alter mit dem Meer zu verbinden, erschafft mit spielerischer Leichtigkeit glaubwürdige Wortkombinationen und Redewendungen, die in die Wasserwelt passen und sich sofort einprägen. Zum anderen sind da die sympathischen Figuren, die sich durch ihre kleinen Marotten unverwechselbar machen und jedem – auch erwachsenen Lesern ans Herz wachsen.
Die Handlung wird immer wieder durch humorvolle Momente aufgelockert, macht ohne erhobenen Zeigefinger auf die von den Menschen verursachte Verschmutzung der Gewässer aufmerksam und weckt Interesse, demnächst genauer hinzuhören, wenn wieder einmal so etwas angesprochen wird. Die warmherzige, augenzwinkernde Erzählweise und die stimmungsvollen Zeichnungen von Olena Otto-Fradina, die Charaktere und Umgebung zusätzlich zum Leben erwecken, runden den Eindruck ab und machen das Buch zu einem Leseerlebnis – nicht nur für Kinder.
Hinter „Nestis und die verschwundene Seepocke“ versteckt sich ein kurzweiliges, liebenswert erzähltes und vor allem sehr modernes Meermädchen-Abenteuer um eine muntere Heldin und ihre Freunde, dass das Meer so sehr lebt und atmet, dass es auch oder gerade Landratten fesseln dürfte.
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