NSA – Nationales Sicherheits-Amt (Autor: Andreas Eschbach)
 
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NSA – Nationales Sicherheits-Amt von Andreas Eschbach

Rezension von Torsten Scheib

 

»Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt,

wird blind für die Gegenwart.«

Richard von Weizsäcker (1920 – 2015)

 

Ein Konzept, schlicht wie schlicht brillant – und unweigerlich kommt die Frage auf, weshalb bislang kein anderer darauf gekommen ist und es so konsequent ausspielt(e): das uns vertraute Internet, einschließlich sozialer Medien, Mails, Nachrichten, Foren, den damit aufkeimenden, schier grenzenlosen Überwachungsmöglichkeiten und -optionen … geschlagene 80 Jahre zeitiger und somit unter anderem in Händen des Nationalsozialismus, unendliche Mittel und Wege für den größten Massenmörder der Menschheitsgeschichte. Verständlich, wenn da die Kehle kratzt. Doch gemach. Das Fundament in Andreas Eschbachs aktuellstem Roman NSA – Nationales Sicherheits-Amt, einer Alternativweltgeschichte mit glasklaren Übergängen ins Hier und Jetzt (bereits beim Titel assoziiert man unweigerlich einen ganz bestimmten Übersee-Auslandsgeheimdienst), liegt weniger in deutschem Erfindungsreichtum, vielmehr im Entwurf des englischen Mathematikers Charles Babbage; in dessen mechanischer Rechenmaschine (die Analytical Engine, werte Steampunker) gewissermaßen das Fundament für den modernen Computer. Was einst nicht zum Zuge kam, verkommt bei Eschbach zu einem Erfolg, der so ziemlich alles Anschließende radikal verändert. »NSA« spielt in einem Zeitraum, der vorrangig 13 Jahre währt, von 1933 bis 1945; auch in dieser Alternativwelt ein »interessanter« Abschnitt, diplomatisch ausgedrückt. Hitler ist der Führer des Deutschen Reiches, aus dem Einmarsch in Polen ist ein Kampf gegen der Rest der Welt entwachsen und freilich ist da noch das Judenproblem …

 

Ein nicht ungewichtiger Teil des Überwachungsapparates sitzt in einem unscheinbaren Betonklotz in Weimar: das Nationale Sicherheits-Amt. Man analysiert, forscht, webt (so der Eschbachs Alternativbezeichung für die Programmiersprache), spioniert und vorrangig überwacht man. Denn Freiheit ist im Reich bestenfalls noch ein hübsches Wort mit sentimentaler Schale und ohne Nährwert. Bargeld? Abgeschafft, Telefone überall ortbar; jeder Satz, jede Nachricht, alles, was man auf Komputern (so wurden Computer im Roman getauft) verfasst und löscht, landet weniger wissentlich, dafür umso unwissentlicher in wuchtigen, verborgenen Datensilos. Gebotene Bedachtsamkeit? Definiert es allerhöchstens oberflächlich.

In den Zimmern und Hallen dieses Amtes arbeiten auch die beiden vorangingen Protagonisten und sie könnten nicht unterschiedlicher sein. Einerseits wäre da Progammstrickerin Helene Bodenkamp, Anfang 20, schüchtern, aus gut situiertem Hause, eingangs ein wenig naiv, obgleich man ihr einen gewissen Hang zum Aufmüpfigen nicht abstreiten kann, allerspätestens, als sie einem Fahnenflüchtigem Sicherheit und Unterschlupf gewähren möchte.

Die andere Seite okkupiert der Endzwanziger Eugen Lettke, ein herrischer Zeitgenosse, der den goldenen Löffel in einer sehr bestimmten Körperöffnung nicht als Fortune, sondern als gottgegeben betrachtet und sein Tageswerk und die Spionagemöglichkeiten im Amt nach und nach für ureigene Racheakte zweckentfremdet, ein Missbrauch, den auch Helene als finale Lösung ansieht – und sich der ihrige und der Weg von Eugen Lettke zu kreuzen beginnen, doch – zu welchem Preis?

 

Eine geradlinige, vorrangig auf Unterhaltung zielende Alternativweltgeschichte: das kann, das darf man von einem Schwergewicht Marke Eschbach nicht verlangen. Bekommt man auch nicht. Dafür sehr, sehr viel mehr. »NSA« ist Abrechnung mit dem Totalitären wie auch ein erschreckender Zaunpfahlwink mit dem Heute. Eine Mahnung vor dem Sammeln von Daten, sensibel oder nicht, wie denen, die sie beisammentragen. Der menschliche Faktor trägt zwangsläufig Sorge, dass sie missbraucht werden könnten – und die Resultate eventuell drastisch ausfallen. Vorsehung?, wundert sich Eugen Lettke an einer Stelle des Romans, und stupst somit ein anderes, gewichtiges Thema an, das den Wälzer durchzieht: der freie Wille, dessen Untergang in einem totalitärem Regime, das Ende dessen, was wir Individuum nennen – und uns erst menschlich macht. Mitsamt den Fehlern. Mit oder ohne Künstlichen Intelligenzen. Dabei lassen sich Assoziationen an gewisse aktuelle Strömungen, an erst jüngst zum Denunziantentum auffordernde »Alternativen« nicht umschiffen Das gruselt es bisweilen mehr als diverser blutrünstiger Horror, da das Tor zu staatlichem Datenmissbrauch schon einen beachtlichen Spalt offen steht, ebenso auch die Option demokratieverachtender Tendenzen, die den Missbrauch mit dem Einsatz dumpf populistischer Brachialgewalt koppeln.

 

Wem »NSA« bislang mürbe anmutet – ist es nicht, trotz der gut 800 Seiten. Mag der verbindende Plot da und dort ein bisschen zu geläufig sein, der Zufall, das beschworene Karma ein bisschen zu oft ausgespielt und vereinzelte Längen lästig, wenngleich narrativ notwendig: die Weise mit der Andreas Eschbach Historisches, historische Gestalten, Gegenwart und Zukunft handelt, ist mustergültig. Spannend, erschreckend und erschreckend plausibel. Nicht nur ob der offerierten Perspektiven, dürfte »NSA«, dürften die aufgeworfenen Behauptungen, noch lange durch die Synapsen des geneigten Lesers hüpfen. Für mich der beste wie intensivste Eschbach-Roman seit langem.

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Buch:

NSA – Nationales Sicherheits-Amt

Autor: Andreas Eschbach

gebunden, 800 Seiten

Bastei Lübbe, 28. September 2018

Cover: Johannes Wiebel

 

ISBN-10: 3785726252

ISBN-13: 978-3785726259

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07D18P88V

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 29.10.2018, zuletzt aktualisiert: 28.01.2024 19:17, 17057